Nach dem Tod von Camille Gira: Stühlerücken bei den Grünen

Überraschend für die einen, logische Konsequenz für die anderen: Claude Turmes soll die Aufgaben von Camille Gira im blau-rot-grünen Kabinett übernehmen.

Foto: Wikimedia Commons

Der Europaabgeordnete Claude Turmes soll Staatssekretär im Nachhaltigkeitsministerium werden. Das jedenfalls soll ein Sonderkongress von déi Gréng am kommenden Dienstag entscheiden. Drei Fünftel der anwesenden Parteimitglieder müssten dazu der einstimmigen Empfehlung des „CEX“, des Exekutivrats der Partei, Folge leisten. Turmes, dem dreimal die Wiederwahl in sein Europa-Mandat gelungen war, soll im Herbst als Spitzenkandidat der Grünen im Norden antreten und Camille Gira somit auch dort ersetzen.

Eine „logische“ Entscheidung insofern, als außer Claude Turmes kaum ein anderes Mitglied der Partei, das nicht bereits in der Regierung sitzt, ähnlich viel politisches und vor allem elektorales Gewicht auf die Waage bringt. Die von Claude Turmes angeführte Europaliste erreichte, seit seiner ersten Wiederwahl 2004, immer Werte über 15 Prozent – weit mehr als der landesweite Durchschnitt, den die Grünen bei Nationalwahlen einfahren konnten.

Auch von der Sachkompetenz her dürfte Claude Turmes die Erwartungen erfüllen: Viele der noch anstehenden Dossiers im Energie-, Natur- und Umweltbereich haben auch mit europäischem Recht zu tun, und Claude Turmes war an der Ausarbeitung der entsprechenden Direktiven und Reglemente unmittelbar beteiligt.

Seine Kandidatur im Norden kann, drückt man ein Auge zu, noch als glaubwürdig hingenommen werden: Bevor er sein Europamandat angetreten hat, war der in Diekirch geborene Turmes lange Jahre Sportlehrer im hohen Norden. Er hat aber auch schon einmal für den Gemeinderat in Esch-Alzette kandidiert.

Für die Grünen besteht gleichwohl ein nicht geringes Risiko, ihren einzigen Sitz im Norden zu verlieren. Bei den vorgezogenen Wahlen 2013 erreichten sie zwar einigermaßen sicher den ersten Restsitz, aber einen „echten“ Sitz konnte die grüne Liste in dem Bezirk, der insgesamt neun Abgeordnete auf den Krautmarkt entsendet, nicht erreichen. Ohne die von Camille Gira erkämpften Stimmen wären die Grünen wohl leer ausgegangen.

Von den 28.646 Stimmen, die die Grünen insgesamt auf sich vereinigen konnten – 9,01 Prozent Stimmenanteil im Bezirk – entfielen 7.548 auf ihn – also mehr als ein Viertel aller abgegebenen Stimmen. Und selbst bei den Listenstimmen, die auf alle Kandidat*innen einer Liste gleichmäßig verteilt werden, dürfte in manchen Fällen vor allem der Spitzenkandidat das Wahlverhalten beeinflusst haben. Ohne das Stimmenpotenzial von Camille Gira wären die Grünen jedenfalls gefährlich nahe an die 20.000-Stimmen-Marke geraten – so viel wie die (gespaltene) ADR einfuhr, die damit ohne Sitz blieb.

Als sichtbarer Effekt wird die Nominierung von Claude Turmes als Staatssekretär nun ein großes Stühlerücken hervorrufen – Tilly Metz rückt für ein Jahr ins Europaparlament nach, ihren (frisch bezogenen) Posten als Gemeinderätin in der Hauptstadt wird Christa Brömmel übernehmen. Doch dieser Wechsel birgt auch einige Gefahren.

Die Grünen scheinen vom Vertrauensverlust, den die drei Regierungsparteien laut Umfragen erlitten haben, zwar am wenigsten betroffen, doch waren schon die Nationalwahlen 2013 nicht unbedingt zufriedenstellend. Zwar lag der landesweite Rückgang nur bei etwa 1,7 Prozent, dennoch kam den Grünen damals der dritte Sitz im Zentrum abhanden, und selbst die von Camille Gira geführte Nordliste hatte mit Einbußen zu kämpfen.

Ginge diesmal der Sitz im Norden verloren, stünde Claude Turmes im Oktober ganz ohne Mandat da. Und dann wenige Monate danach noch einmal glaubwürdig für Europa kandidieren könnte er wohl kaum – und will es auch nicht, wie er selber bekundete. Außerdem müsste er seiner Parteikollegin den frisch überlassenen Sitz streitig machen.

In jedem Fall sind die europapolitischen Ambitionen von Claude Turmes, der sich ja auch als mögliches Kommissionsmitglied ins Gespräch gebracht hat, durch die jetzige Nominierung erst einmal auf Eis gelegt.

Hätte Turmes im Norden Erfolg, dürfte ein zweites Wahlziel von déi Gréng der Verbleib in der Regierung sein. Dafür reicht ein gutes Abschneiden im Norden allein natürlich nicht aus, aber auch in dieser Perspektive ist die Nominierung ein guter Schachzug: Claude Turmes kann nicht nur die Fraktion retten, ja vielleicht sogar dynamisieren – sondern darüber hinaus auch die Regierungsbeteiligung seiner Partei. Letztere hängt allerdings vor allem vom guten Willen der anderen staatstragenden Parteien ab. Die gehen in letzter Zeit doch auffallend oft in Distanz zur Fuchs-, Fledermaus- oder gar Antiwachstumspartei.


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