Die Festung Breendonk war einer der zentralen Schreckensorte des nationalsozialistischen Besatzungsregimes in Belgien. 75 Jahre später ist die heutige Gedenkstätte im Ausland nahezu unbekannt.
Sanft spiegelt sich an diesem Sommertag die Nachmittagssonne auf der Oberfläche des Wassers, das den Graben füllt, von dem die Festungsanlage umschlossen wird. Gänse watscheln über eine vorgelagerte Zugbrücke, grasen auf der fett bewachsenen Böschung. Grillen zirpen in den umliegenden sommerlichen Wiesen. Ansonsten ist es still.
Beinahe friedlich wirkt das daher alles. Wäre da nicht der Wachtturm, der sich im Hintergrund drohend über die Kulisse erhebt. Und der Deportationswaggon, der jenseits der Festungsmauern abgestellt wurde, obwohl hierher nie ein Zug gefahren ist.
Breendonk. So heißt die Festung, die auf halbem Weg zwischen Brüssel und Antwerpen liegt und in Belgien wie kein anderer Ort für den Terror der Naziherrschaft steht. Hier wurden die Widerstandskämpfer eingekerkert, bevor man sie in die Konzentrationslager nach Deutschland verschleppte. Hier wurden auch Juden eingesperrt, ehe man mit ihrer Deportation in die Vernichtungslager begann, und ehe die SS zu diesem Zweck im nahen Mechelen ein eigenes „Sammellager“ errichtete.
Die Festung Breendonk wirke auf den ersten Blick „sehr alt, fast historisch“, schreibt ein Besucher über die Anlage „mit ihren grasüberwachsenen Kuppen und schwarzgrauen Mauern“. Doch der Zitierte weiß, dass nichts an diesem Bau einfach nur „historisch“ und abgegolten ist.
Er war schon einmal da. Damals hat ihn die Gestapo hierher verschleppt, für die Folter. Der ehemalige Häftling heißt Jean Améry, stammt aus Österreich und ist inzwischen ein bekannter Schriftsteller und Philosoph. Seinen Bericht über das Schreckliche, „Die Tortur“, die ihm hier geschehen ist und die ihn für immer aus der Welt gerissen hat, lässt er mit seiner Rückkehr nach Breendonk, 22 Jahre danach, beginnen.
Die von ihm beschriebenen „feuchten, kellerigen Korridore“ und die schweren Gittertore die man durchschreitet, nachdem man das Haupttor passiert hat, prägen auch heute noch den ersten Eindruck, wenn man die Festung betritt.
Einer dieser Flure führt zu Dimitri Roden, dem wissenschaftlichen Kurator von Fort Breendonk, das heute eine nationale Gedenkstätte ist. Sein Büro ist ein großes Arbeitszimmer mit vielen Metallschränken und gekacheltem Boden. Gemälde, die das Lagerleben festhalten, hängen an der Wand. Wer sie gemalt hat, vermag Roden, der in seinem Bürostuhl sitzt, nicht zu sagen. Hinter ihm hängt ein Plakat, das an die Schlacht an der Yser-Front im Oktober/November 1914 erinnert, wo belgische Truppen den Vormarsch der Deutschen im Ersten Weltkrieg dauerhaft stoppen konnten. Ein Großteil der belgischen Städte und Befestigungsanlagen hatte zu diesem Zeitpunkt schon kapituliert.
„Die Festung wurde kurz vor der deutschen Invasion 1914 fertiggestellt“, erklärt der Historiker. „Breendonk war Teil des zweiten Verteidigungsrings, der die strategisch bedeutsame Hafenstadt Antwerpen schützen sollte.“ Damals war das Fort noch komplett mit Erde bedeckt, um die dicken, abgerundeten Betonmauern noch zusätzlich gegen Artilleriebeschuss zu bewehren. Genutzt hat das nichts. „Neun Tage lang wurde Breendonk mit Granaten beschossen, danach kapitulierte die belgische Arme an diesem Frontabschnitt.“
Auch im Zweiten Weltkrieg hatte das Fort zunächst eine wichtige militärische Funktion: Nach der Invasion der Deutschen am 10. Mai 1940 wurde an diesem Ort das Hauptquartier der belgischen Armee eingerichtet. Von hier aus informierte der belgische König Leopold III. seine Landsleute im Rundfunk über den deutschen Überfall. 18 Tage später kapitulierte Belgien bedingungslos.
„Die SS wollte ihr eigenes Gefängnis, und am 20. September 1940 bekam sie es auch“, so Roden: „hier in Breendonk“. Zwar blieb Belgien anders als die meisten besetzten Länder fast bis zum Schluss unter militärischer Verwaltung. Dennoch wurde die in ein Lager umfunktionierte Festung de facto nicht von der Wehrmacht, sondern von der mit ihr konkurrierenden SS geführt. „Die Zahl der Gefangenen war bis zum Sommer 1941 eher niedrig. 40 bis 60 Gefangene, nicht mehr“.
Zunächst wurden dort nicht nur politische Oppositionelle, sondern etwa auch Straffällige, Taschendiebe und Zuhälter eingesperrt. Rund die Hälfte der Gefangenen waren während dieser ersten Zeit Juden ohne belgische Staatsbürgerschaft, die einen schon vor den Pogromen aus Osteuropa geflohen, die anderen später vor den Nationalsozialisten. In der Nazidiktion wurde Breendonk nicht als Konzen- trations-, sondern als SS-Auffanglager bezeichnet. „Eine administrative Nuance, denn die Art, wie die Leute behandelt und umgebracht wurden, war vergleichbar“, so Laurence Schram, die als Historikerin in der Gedenkstätte Kaserne Dossin arbeitet, jenem Ort in Mechelen, wo ab 1942 alle als Juden Verfolgten vor ihrer Deportation nach Auschwitz eingesperrt wurden.
Einer der ersten Räume, die man beim Besuch der Festung Breendonk betritt, ist das ehemalige Kasino der SS. Ein Kohleofen, eine mit Ornamenten verzierte Wandbeleuchtung, die wie eine groteske Persiflage auf den Jugendstil wirkt, sowie ein riesiges Wandgemälde von Reichsadler und Hakenkreuz im Lorbeerkranz prägen das Bild. Unter dem Gemälde steht der Wahlspruch der SS-Soldaten: „Meine Ehre heißt Treue.“ An die Opfer der Schergen, die es sich hier gemütlich machten, erinnern stellvertretend einige großformatige Fotos. Hier im Kasino fanden abends und am Wochenende laute Gelage statt. Hier wurde auch gefeiert, wenn am Richtplatz vor dem Gebäudekomplex wieder einmal jemand hingerichtet worden war. Einige Räume weiter kauerten in Hörweite die Gefangenen in ihren feuchtkalten Gemeinschaftszellen.
Jean Améry wurde von der Gestapo zur Folter nach Breendonk verschleppt.
Umgebracht wurden die Insassen von Breendonk nicht nur bei Hinrichtungen. Misshandlung, Brutalität und Mord waren allgegenwärtig. Wie im Fall eines jüdischen Gefangenen, der von einem Floß aus an der Böschung des Wassergrabens arbeiten musste. Ohne Zutun des Häftlings begann das Floß in Richtung des vom Fort abgewandten Ufers zu treiben. „Ein SS-Mann hat nicht gezögert, sein Gewehr genommen und den Mann erschossen“, sagt Schram.
Andere erlagen den Verletzungen, die ihnen durch Schläge zugefügt wurden. Pavel Koussonsky, ehemaliger General der antibolschewistischen russischen Weißen Garden, war nach Belgien geflüchtet und wurde dort als Russe von der deutschen Militärverwaltung festgenommen. In Breendonk musste der 61-Jährige schwerste Arbeiten verrichten und wurde auch seines militärischen Stolzes wegen von den SS-Männern häufig geschlagen. Am Tag vor seinem Tod konnte er kaum mehr atmen, sein Gesicht war rot angelaufen, Arme und Beine waren stark geschwollen. Am Morgen des 26. August 1941 konnte er nicht mehr aufstehen. Um 12.15 Uhr war er tot. „Todesursache: Debilitas, Bronchopneumonie, Kreislaufinsuffizienz“, ist auf dem Totenschein zu lesen, der in Kopie in der ehemaligen Krankenstation von Breendonk ausgestellt ist.
Von den insgesamt 3.600 während der Naziherrschaft in Breendonk inhaftierten Personen sind laut Dimitri Roden 301 dort gestorben. „Das erscheint ‚wenig‘“, sagt Roden. „Dennoch hat nur rund die Hälfte der Breendonk-Häftlinge den Krieg überlebt.“ Die meisten von ihnen, Luxemburger waren keine darunter, seien nur relativ kurz im Fort gewesen. „Doch wenn sie Breendonk verließen, waren sie in einem so schlechten Zustand, dass ihre Chancen, das Konzentrationslager zu überstehen, nicht mehr sehr groß waren.“ Roden blickt kurz in seinen Computer, um ein Beispiel zu geben. „Wenn ein Gefangener, der um 1942 ins Lager kam und 70 Kilo wog, Breendonk fünf Monate später verließ, wog er vielleicht noch 38 Kilo.“
Anfangs wurden längst nicht alle Häftlinge von hier aus deportiert. Manche saßen einige Monate in Haft, mussten Zwangsarbeit verrichten und kamen danach wieder frei. Der deutsche Überfall auf die Sowjetunion im Juni 1941 brachte die Situation in Belgien und in Breendonk an einen Wendepunkt. „Hitler fürchtete die Entstehung kommunistischer Widerstandsgruppen in Belgien und in Europa, die den Deutschen in den Rücken fallen könnten“, sagt Dimitri Roden.
Nun gingen die Besatzer gezielt gegen tatsächliche und vermeintliche Widerstandskämpferinnen und Widerstandskämpfer vor. Zunächst mit der gegen die Kommunistinnen und Kommunisten gerichteten „Aktion Sommersonnwende“, im Dezember 1941 dann mit dem so genannten Nacht und Nebel-Erlass, der unter anderem auch Personen der Öffentlichkeit wie Politiker, Journalisten und Intellektuelle ins Visier nahm. „Das bedeutete auch einen Zuwachs der Insassen in Breendonk“, sagt Roden, „Ende des Sommers 1941 waren es etwa 200.“
Um diese Zeit, im September 1941, wurde der erste Konvoi aus Breendonk in Richtung Deutschland auf den Weg gebracht. Laut Roden bestand er hauptsächlich aus Kommunisten, die ins Konzentrationslager Neuengamme gebracht wurden.
Wer vorerst in Breendonk eingesperrt blieb, der musste unter Bedingungen vegetieren, die von der deutschen Militärverwaltung in Belgien nach einem Kontrollbesuch im September 1941 als „eng, aber erträglich“ bezeichnet worden waren. Ein Gefangener beschrieb die Situation zur gleichen Zeit hingegen wie folgt: „Alles ist feucht, Wasser tropft von der Decke, das Stroh in den Matratzen stinkt nach Mehltau und die Zudecken sind klamm.“
Feucht und klamm fühlt sich hier in diesem düsteren, unförmigen Beton- und Mauerkoloss, auch heute noch alles an. Wer den auf das Haupttor folgenden Längsflur der Festung durchquert hat, kommt rechterhand in den Teil des Innenhofs, in dem eine kleine Baracke steht. Sie diente vormals der SS als Büro. „Hier wurden die Gefangenen registriert und vom Bürger zur Nummer gemacht“, erläutert ein Audioguide den früheren Zweck des Gebäudes. Heute sind hier großformatige Fotos ausgestellt, auf denen die maßgeblichen Quäler von damals abgebildet sind, mustergültige Exemplare der „Gegenmenschen“, wie Jean Améry sie in seinen Erinnerungen nennt.
Einer von ihnen ist Philipp Schmitt, Major der SS und „Lagerführer“. „Die meiste Zeit hielt er sich in seinem Büro auf“, gibt Roden die Berichte der Zeitzeugen wieder. „Wenn er im Lager umherlief, wurde er immer von seinem Hund ‚Lump‘ begleitet, der darauf abgerichtet war, die Gefangenen zu beißen.“
„Schmitts Herrschaft war so schrecklich, so geprägt von schwersten Misshandlungen, Demütigungen, Folterungen bis hin zum Tode, dass sogar die deutsche Militärverwaltung Belgiens über die Situation in Breendonk beunruhigt war“, sagt dazu Laurence Schram. „Schon Ende 1940 sorgte sich Eggert Reeder, der Leiter des Militärverwaltungsstabs, er wolle nicht, dass das Lager als ‚Hölle von Breendonk‘ in die Geschichte eingehe.“
Dieser Anschein von Skrupel ging nicht zuletzt auf den Ruf zurück, den die Deutschen bereits im Ersten Weltkrieg in Belgien hinterlassen hatten: Massaker an Tausenden von Zivilisten, Brandschatzung, Plünderung sowie Verschleppung zur Zwangsarbeit nach Deutschland hatten das damalige Besatzungsregime ebenso geprägt wie ein brutales und rücksichtsloses Vorgehen gegen die Résistance. An diese Tradition wollte die Besatzungsbehörde der deutschen Wehrmacht unter dem Militärbefehlshaber General Alexander von Falkenhausen im Zweiten Weltkrieg zunächst ungern anknüpfen. Der dann zunehmende Widerstand aus der Bevölkerung werde die zügige Ausbeutung der Ressourcen des Landes empfindlich stören, so die Überlegung.
Dennoch war das Maß an Gewalt, das im Fort angewendet wurde, beispiellos. „Breendonk wurde zugleich zum Propagandainstrument. Man wollte in Belgien vermitteln: Wer sich nicht unterordnet, wer Widerstand leistet, kann sich schnell in Breendonk wiederfinden“, erläutert Schram.
„Gestehst du nicht, dann geht’s nach Breendonk, und was das heißt, weißt du“, bekam auch Jean Améry beim ersten Verhör im Brüsseler Gestapo-Hauptquartier in der Avenue Louise zu hören, nachdem er am 23. Juli 1943 als Angehöriger einer deutschsprachigen Organisation innerhalb der belgischen Widerstandsbewegung verhaftet worden war.
Wusste er, was Breendonk bedeutet? „Ich wußte und wußte nicht.“ Améry hatte die „KZ-Literatur der deutschen Emigration von 1933 an“ gelesen und glaubte „vorauszusehen, was mir bevorstand“. Zudem war ihm vielleicht der Bericht von Paul Levy, dem früheren Chef des belgischen Radionachrichtensenders, zu Ohren gekommen. Dieser hatte, nachdem er aus Breendonk entkommen war und nach England flüchten konnte, die Zustände im Lager mit drastischen Worten beschrieben.
Wie die Konzentrationslager in Deutschland und andernorts, war auch Breendonk auf die Erniedrigung und Dehumanisierung der Insassen hin organisiert. Das lässt sich auch heute noch erkennen. Etwa an den Toiletten, die im Sanitärblock dicht an dicht angeordnet sind: Keramikschalen, mit gerillten Tritten für die Füße, ohne jede Privatheit vor dem Nebenmann.
Die Gefangenen waren unterernährt, Schläge an der Tagesordnung. Ebenso die Zwangsarbeit. Eine Arbeit, die „komplett sinnlos war“, betont Dimitri Roden: „Es ging nicht um die Produktion von Panzern oder Uniformen, sondern darum, die Erde, die das Fort umgab, wegzuschaufeln, um sie auf die andere Seite des Grabens zu befördern.“ Bereits im Februar 1941 hatte es in Breendonk den ersten Toten gegeben, den 65-jährigen jüdischen Gefangenen Julius Tann. Obwohl herzkrank, wurde er wie alle anderen zur Arbeit gezwungen. Binnen drei oder vier Tagen starb er an den körperlichen Folgen der Schinderei.
Ab September 1941 wurde die Wachmannschaft durch Männer der Allgemeinen SS-Flandern verstärkt, die bald die Mehrheit der Bewacher stellten. Befehligt wurden sie von SS-Untersturmführer Arthur Prauss, aus Berlin-Charlottenburg stammend und im zivilen Leben Metzger. Er war Schmitts Stellvertreter und übernahm die alltägliche Leitung des Lagers.
„Er war klein, von gedrungener Gestalt und hatte jenes fleischige, sanguinische Gesicht, das man wohl in der Banalphysiognomik ‚bärbeißig-gutmütig‘ nennen würde“, beschreibt Jean Améry den Mann, dem oft ein Ochsenziemer am Handgelenk baumelte. Er war nicht nur Herr über das Lager, sondern auch über die Folterkammer, die man noch heute besichtigen kann.
„Breendonk diente auch zur Propaganda: Wer Widerstand leistet, landet hier.“
In den kleinen kahlen Raum gelangt man über einen schmalen Flur links vom Gewölbekorridor aus. Auf einem unscheinbaren Tisch, der an eine Schulbank der damaligen Zeit erinnert, liegen grobe Werkzeuge aus schwarz angelaufenem Metall, die wie Schürhaken aussehen. An der Decke hängt eine Spule, über die ein Strick läuft, daran ein eiserner Haken. An ihm wurden Menschen zur Folter aufgehängt, im Reich des Arthur Prauss. „‘Jetzt passiert’s‘, sagte er rasselnd und gemütlich zu mir“, erinnert sich Jean Améry in „Die Tortur“ an die letzten Momente, ehe Prauss die Folter begann. Was dann geschah, berichtet er nur bruchstückhaft, denn: „Es wäre ohne alle Vernunft, hier die mir zugefügten Schmerzen beschreiben zu wollen.“
Der Quäler Arthur Prauss war es damals auch, der die flämischen SS-Leute anspornte: Allesamt Freiwillige, die sich an die Ostfront gemeldet hatten, dann jedoch wegen Verwundung oder aus anderen Gründen nach Breendonk kamen. Prauss zeigte ihnen, dass er sie als der deutschen SS nicht ebenbürtig betrachtete. Um sich zu beweisen, benahmen nicht zuletzt sie sich daher äußerst brutal. „Bei den meisten Todesfällen und Misshandlungen war die flämische SS im Spiel“, sagt Dimitri Roden und nennt die Namen der beiden berüchtigtsten unter ihnen: Fernand Wyss und Richard De Bodt. „Das ist die Hölle und ich bin der Teufel”, soll etwa Wyss seine Rolle in Breendonk beschrieben haben.
Der Herbst 1942 stellte einen weiteren Wendepunkt im Verhalten der Besatzer gegenüber der Bevölkerung dar. Obwohl die Militärverwaltung anfangs behauptet hatte, es werde nicht dazu kommen, wurden nun Hunderttausende zur Zwangsarbeit nach Deutschland verschickt.
„Das verstärkte den Widerstand in Belgien und bedeutete auch, dass die Deutschen andere Maßnahmen ergreifen mussten als zuvor“, so Roden. Neben der Einrichtung der Folterkammer im Herbst 1942 zählte die Hinrichtung von Geiseln als Vergeltung für Aktionen der Résistance dazu. Im November desselben Jahres wurden erstmals acht Gefangene aus Breendonk erschossen, als Vergeltung für ein tödliches Attentat auf den mit den Nationalsozialisten kollaborierenden Bürgermeister von Charleroi.
Frauen waren in der Regel nicht in Breendonk untergebracht. „Die einzige Ausnahme waren die Widerstandskämpferinnen, die als mögliche Informationsquelle galten und zum Verhör und zur Folterung nach Breendonk gebracht wurden“, sagt Roden. „Breendonk war der einzige Ort in Belgien und Nordfrankreich, an dem offiziell ein Verhör unter Gewaltanwendung geführt werden durfte.“ Nach ihrer Folter wurden die Frauen meist ins Konzentrationslager Ravensbrück oder zurück in andere belgische Gefängnisse gebracht.
Indes verließen mehr und mehr Transporte Breendonk in Richtung der Konzentrationslager, etwa nach Flossenbürg oder Mauthausen. Juden waren zu diesem Zeitpunkt kaum mehr in Breendonk, denn am 27. Juli 1942 war in Mechelen die Kaserne Dossin als sogenanntes „Sammellager für Juden“ eröffnet worden. Die Kaserne war ans Gleisnetz der belgischen Bahn angeschlossen und von hier wurden die belgischen bzw. nach Belgien geflüchteten Jüdinnen und Juden ins Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert, wo viele nicht einmal mehr als „Eingänge“ registriert, sondern sofort ermordet wurden.
„Das SS-Sammellager Dossin wurde viel diskreter geführt und war viel weniger bekannt“, sagt Laurence Schram, die als Historikerin in der Gedenkstätte arbeitet, die heute in der Kaserne beheimatet ist. 24.906 als Juden verfolgte Personen aus Belgien und Nordfrankreich wurden über Mechelen nach Auschwitz deportiert.
Doch auch nach der Eröffnung der Kaserne Dossin wurden manchmal noch Juden nach Breendonk gebracht. So wie Jean Améry, der nicht als Jude, sondern aufgrund seiner Widerstands-tätigkeit verhaftet worden war. Oder die Betroffenen der „Affäre Jacoby“, die sich in der Neujahrsnacht 1942/43 abgespielt hat. „Die SS hat entdeckt, dass verschiedene jüdische Insassen Brot und Zigaretten in die Kaserne Dossin hineingeschmuggelt haben“, so Laurence Schram. „Sie begann daraufhin mit Repressionsmaßnahmen unerhörten Ausmaßes.“
Davon betroffen waren 37 jüdische Häftlinge, darunter die Gebrüder Jacoby. Philipp Schmitt, der inzwischen auch das Lager in Mechelen leitete, ließ sie nach Breendonk bringen. „Innerhalb von wenigen Tagen waren elf dieser 37 Personen tot“, sagt Schram. „Acht oder neun von ihnen wurden ertränkt. Sie wurden in den Wassergraben geworfen, wollten wieder rausklettern, doch Wyss und De Bodt stießen sie ins Wasser zurück, schlugen mit Schaufeln und Gewehrkolben auf sie ein.“
Angesichts all dessen nahm der Widerstand in Belgien im Verlauf des Jahres 1943 weiter zu, weshalb die Militärverwaltung nach neuen drakonischen Maßnahmen suchte. Künftig sollten für „terroristische Akte“ Verurteilte nicht mehr erschossen, sondern erhängt werden. Der deutschen Soldatenlogik gemäß galt dies als „ehrlose“ Tötungsart. „Der Bevölkerung wollte man vermitteln: Wir haben keine andere Wahl, als zu solchen Mitteln zu greifen, wenn ihr nicht euer Verhalten ändert‘“, so Roden.
Den Balken, an dem die Menschen in Breendonk aufgehängt wurden, sieht man, wenn man nach dem endlos erscheinenden Gang durch die Katakomben des Forts endlich wieder ins Freie gelangt und längs der Außenmauern der Festung Richtung Ausgang strebt. Dort passiert man auch die Stelle, wo Erschießungen stattgefunden haben. Abgebrannten Streichhölzern gleichend, ragen kohleschwarze Pfähle in die Luft. Vor ihrem Abzug hatte die SS laut Roden versucht, die Spuren der hier begangenen Grausamkeiten zu verwischen, bevor das Lager im Spätsommer 1944 angesichts der heranrückenden alliierten Truppen geräumt wurde. Als deren Vorhut vor 75 Jahren am 2. September 1944 Breendonk erreichte, war das Lager leer. Die Gefangenen hatte man in Konzentrationslager nach Deutschland und in die Niederlande gebracht, ihre Bewacher waren nach Deutschland geflohen.
Nach dem Krieg waren zunächst mutmaßliche belgische Kollaborateure in Breendonk inhaftiert. Im August 1947 wurde das Fort zur nationalen Gedenkstätte erklärt. 100.000 Menschen besuchen laut Dimitri Roden seither im Schnitt pro Jahr die Stätte, die meisten davon aus Belgien. Die Kaserne Dossin hingegen bleibt bis zum heutigen Tag auch hier im Land nahezu unbekannt. 3.600 Menschen waren in Breendonk inhaftiert, in Mechelen waren es 25.000.
„Das Andenken an die Juden wird kaum wachgehalten“, sagt Laurence Schram und führt dies auch darauf zurück, dass die Zahl der Juden, die in Belgien leben, stark zurückgegangen ist. Vor der deutschen Besatzung waren es 100.000, heute sind es nicht einmal mehr 30.000.
Lagerleiter Philipp Schmitt wird 1949 in Antwerpen der Prozess gemacht, 1950 wird er im nahen Hoboken erschossen. Es ist das letzte Mal, dass der belgische Staat die Todesstrafe verhängt. Auch der flämische SS-Mann Fernand Wyss wird von einem belgischen Gericht zum Tode verurteilt und bereits 1947 erschossen. Von seinem Kollegen Richard De Bodt, der sich 1944 nach Deutschland abgesetzt hatte, fehlt zunächst jede Spur. 1951 wird er aufgegriffen, als er unter dem Namen Richard Verstraeten nach Belgien einzureisen versucht. In Deutschland hat er inzwischen in der französischen Besatzungsarmee gedient. Bei seiner Festnahme ist er noch in französischer Uniform. Auch er wird zunächst zum Tode verurteilt, doch die Strafe wird in lebenslängliche Zwangsarbeit umgewandelt. 1975 stirbt er 66-jährig im Gefängnis von St. Gilles.
Jean Améry, den man am 5. November 1943 in die Kaserne Dossin verlegt, von wo aus er mit dem 23. Transport aus Mechelen am 15. Januar 1944 nach Auschwitz deportiert worden war, überlebt und wird sich in Brüssel ansiedeln, nur wenige Kilometer von seinem Schreckensort. „Er sagte nachher, das was er in Breendonk erlebt habe, sei schlimmer als alles gewesen, was ihm später in Auschwitz widerfahren sei“, so Laurence Schram.
Von Arthur Prauss, der ebenfalls 1944 nach Deutschland flüchtet, verliert sich nach dem Krieg jede Spur. Ein Augenzeuge will Prauss noch im Februar 1947 gemeinsam mit Richard De Bodt in Hannover gesehen haben. „Es geht ihm vielleicht gut zur Stunde und er fühlt sich wohl in seiner gesundgeröteten Haut, wenn er vom Sonntagsausflug im Auto heimkehrt“, denkt Jean Améry, als er den 1965 erstmals veröffentlichten Text „Die Tortur“ verfasst, an den Folterer von Breendonk.
„Daß man aber den lebenden Menschen schon im Leben halb und halb zum Raub des Todes machen kann, dies wird erst in der Tortur erfahren. Die Schmach solcher Vernichtung läßt sich nicht mehr tilgen. Wer gemartert wurde, bleibt waffenlos der Angst ausgeliefert. Sie ist es, die fürderhin über ihm das Szepter schwingt“, schreibt Jean Améry. 1978 nimmt er sich im Alter von 65 Jahren das Leben.