Während die linke Partei „Syriza“ immer mehr Auflösungserscheinungen zeigt, formiert sich jenseits des griechischen Parlaments der Widerstand gegen die repressive Regierungspolitik. In Athen und in Iráklio auf Kreta sind im Spätsommer geräumte Häuser erfolgreich wiederbesetzt worden.
Seit der Wahl von Stéfanos Kasselákis zum neuen Vorsitzenden der einst als Bündnis der radikalen Linken angetretenen Partei Syriza Ende September 2023 zerlegt diese sich selbst (siehe Artikel „Der politische Unbekannte“ in woxx 1755). Inzwischen haben 13 der 48 Parlamentsabgeordneten der Partei diese verlassen und eine eigene Parlamentsfraktion gebildet. Die Kleinstpartei „Pléfsi Eleftherías“ (Kurs der Freiheit), ebenfalls eine Syriza-Abspaltung, mitgerechnet, bekämpfen sich im Parlament nun drei Zerfallsprodukte der einstigen Regierungspartei und linken Hoffnung für viele Menschen in Europa.
Während es diesbezüglich also prima läuft für die reaktionär-neoliberale „Néa Dimokratía“ unter Ministerpräsident Kyriákos Mitsotákis, trifft die repressive Regierungspolitik außerparlamentarisch auf immer entschlosseneren Widerstand. So wehrt sich die anarchistische Hausbesetzerbewegung entschieden gegen die Räumung besetzter Häuser und konnte zuletzt mehrere schon geräumte Objekte wiederbesetzen.
Im August und September hatte die griechische Polizei mit Großeinsätzen und schwerem Gerät mehrere besetzte Häuser und Universitätsräume in Athen und in Iráklio auf Kreta geräumt. Darunter der seit 27 Jahren bestehende Infoladen „Áno-Káto Patissíon“, das seit fünf Jahren besetzte Haus „Zizánia“ im Zentrum Athens, der selbstverwaltete Treff im Polytechnikum, der anarchistische Queer-Treffpunkt an der Juristischen Fakultät sowie das seit 23 Jahren besetzte Haus „Evangelismós“ in Iráklio. Dem besetzten Haus „Notará“ im Athener Szenestadtteil Exárchia wurde im Zuge der Angriffe zum wiederholten Mal der Strom abgestellt.
Am vorvergangenen Samstag wurde der Infoladen „Áno-Káto Patissíon“ mittags von gut 80 Aktivist*innen im Rahmen der landesweiten Aktionstage in Solidarität mit den besetzten Häusern erfolgreich wiederbesetzt. Zugemauerte Eingänge und Fenster wurden geöffnet. Mehr als 250 Unterstützer*innen versammelten sich daraufhin vor dem Gebäude und wurden kurze Zeit später von starken Polizeikräften mit Schlagstockeinsatz, Blendschockgranaten und Tränengas angegriffen. Im Zuge des Einsatzes wurde ein in der Nähe befindliches Studierendenwohnheim gestürmt und mit Tränengas ausgeräuchert. Es gab mehrere Verletzte und 19 vorläufige Festnahmen von Demonstrant*innen. Obwohl Polizeisondereinheiten den Infoladen umstellten und Tränengasgranaten hineinschossen, gelang es den Aktivist*innen, die Wiederbesetzung zu verteidigen. Nach zwei Stunden zogen sich die Polizeikräfte unverrichteter Dinge zurück.
In ihrer Erklärung betonen die Besetzer*innen: „Wir haben gesagt, dass wir nicht gehen werden, und meinen es ernst. Wir sind froh, dass wir unsere Worte in Taten umsetzen konnten und mit Beharrlichkeit und Zuversicht ein Stück unseres Lebens zurückgewonnen haben. (…) Es geht uns nicht um Profite, sondern darum, unsere kollektiven Bedürfnisse und Wünsche zu befriedigen. Wir betrachten besetzte Häuser als Laboratorien, in denen wir mit kollektiven, kämpferischen, fürsorglichen und solidarischen Beziehungen experimentieren können – jenseits der Institution Familie, jenseits von Religion und Staat.“
Schon am 1. Dezember hatten mehr als 200 Aktivist*innen in Iráklio auf Kreta das zwei Monate zuvor geräumte Haus „Evangelismós“ wiederbesetzt. Dieses hatten Polizeikräfte über einen Monat lang rund um die Uhr bewacht. Mit Vorschlaghämmern und Schneidbrennern wurde nun das zuvor zugemauerte und zugeschweißte Haus erneut für die Nachbarschaft zugänglich gemacht. Eine zweimonatige öffentliche Kampagne hatte die Wiederbesetzung vorbereitet, sie wurde von weiten Teilen der Bewohner*innen des umliegenden Viertels begrüßt und tatkräftig unterstützt. In den auf die Wiederbesetzung folgenden zwei Wochen fanden täglich Veranstaltungen, Diskussionen und Konzerte mit bis zu 600 Besucher*innen statt.
„Wir betrachten besetzte Häuser als Laboratorien, in denen wir mit kollektiven, kämpferischen, fürsorglichen und solidarischen Beziehungen experimentieren können.“
Während der Räumung Anfang September war einer der 14 vorläufig Festgenommenen schwer verletzt worden. Die Polizei hatte dem jungen Mann die Hände mit Kabelbindern auf dem Rücken gefesselt. Nach einer Rangelei mit Beamten war er drei Stockwerke von der Dachterrasse des Hauses in die Tiefe gestürzt und hatte wohl nur deshalb überlebt, weil ein Baum seinen Sturz gebremst hatte.
Auch das im Zentrum Athens gelegene besetzte Haus „Zizánia“ war fünf Wochen nach der Räumung von Hunderten Menschen erfolgreich wiederbesetzt worden. Ebenso der queer- anarchistische Treff an der Juristischen Fakultät, der schon eine Woche nach der Räumung wiedereröffnet werden konnte. Schwieriger gestaltete sich die Verteidigung des selbstverwalteten Raums am Polytechnikum. Hier waren seit Mitte August vier Wiederbesetzungen nach drei erneuten Räumungen nötig, bis sich die Polizeikräfte im November zurückzogen. Und auch den erneuten Anschluss der Besetzung von „Notará“ ans Stromnetz nahmen Aktivist*innen selbst vor.
Wie auf „Indymedia“ Athen zu lesen war, verhinderten im Athener Stadtteil Výronas am 14. Dezember 150 Menschen spontan die Zwangsräumung eines Hauses. Eine 78-jährige Frau sollte aus ihrer Wohnung entfernt werden, um diese zu versteigern. Als der Gerichtsvollzieher mit Polizeischutz anrückte, versammelten sich 150 Nachbar*innen und blockierten den Eingang des kleinen Hauses. Auf Antrag eines Anwalts wurde die Räumung nun gerichtlich gestoppt.