Parlamentswahlen: Queer wählen

Die amtierenden Regierungsparteien werben mit alten Versprechen, von der Oppositionsbank gibt es Gegenwind: ein Blick auf die LGBTIQA+-Politik in den Wahlprogrammen.

Rechte von LGBTIQA+-Menschen: Wer ist die richtige Wahl? (Copyright: Canva)

Die LSAP verkündet auf der zweiten Seite ihres Wahlprogramms in einer Notiz: Das Dokument wurde in inklusiver Sprache verfasst. Mit Frauen seien alle Menschen gemeint, die gesellschaftlich als solche wahrgenommen würden, unabhängig von ihrem Geschlecht; dasselbe gelte für Männer. Eine unklare Aussage, aber immerhin ein Zeichen dafür, dass sich die LSAP mit queeren Geschlechtsidentitäten befasst … Und doch lassen die darauffolgenden Seiten des Wahlprogramms ambitionierte Forderungen im Hinblick auf LGBTIQA+-Rechte vermissen – das trifft allerdings auf die meisten amtierenden Regierungsparteien zu.

Allgemein wiederholen diese eher alte Versprechen, als neue Anreize zu geben. So sind sich die DP, Déi Gréng und die LSAP beispielsweise einig: Es braucht die automatische Anerkennung der Co-Elternschaft bei homosexuellen Paaren und ein Verbot von Genitalverstümmlungen an intergeschlechtlichen Kindern. Beides ist im aktuellen Koalitionsvertrag vermerkt, wurde in dieser Legislaturperiode jedoch nicht umgesetzt. Was die Genitalverstümmlungen angeht, wirken die Wahlprogramme der LSAP, der DP und von déi Gréng sogar widersprüchlich zu dem, was die Regierung noch vor wenigen Wochen verlauten ließ.

In der Antwort auf eine parlamentarische Anfrage von Octavie Modert (CSV) an das Gesundheits-, das Justiz- und das Familienministerium hieß es: Ein pauschales Verbot habe sich nach Untersuchungen einer Arbeitsgruppe und Expert*innen als schwierig erwiesen, deshalb stünde inzwischen auch die Einberufung eines Gremiums im Raum, das Eingriffe – sofern von den Eltern des Kindes erwünscht – legitimieren oder ablehnen könnte. Intersex & Transgender Luxembourg, dessen Vertreter Erik Schneider an dem Austausch beteiligt war, äußerte sich diese Woche dazu: Die Vereinigung hält an einem pauschalen Verbot fest, außer es liegt ein medizinischer Notfall vor.

Auch die bereits erwähnte Co-Elternschaft hätte längst reformiert werden können. Stattdessen gilt nach wie vor: Entscheidet sich ein gleichgeschlechtliches Paar für ein eigenes Kind, muss der nicht-gebärende Elternteil dieses weiterhin nach einer obligatorischen Frist von drei Monaten adoptieren. Hierfür muss das Paar übrigens verheiratet sein. Ein Gesetzesentwurf zum Abstammungsrecht, das solche Bestimmungen ändern soll, liegt seit 2013 vor und wird seit Jahren hitzig diskutiert. Unabhängig davon, wollen alle drei Parteien das Adoptionsrecht, wie ebenfalls schon im Koalitionsvertrag von 2018 angekündigt, überarbeiten: Die Adoption soll künftig auch Alleinstehenden und Paaren in eingetragener Lebenspartnerschaft ermöglicht werden.

Ein weiterer Dauerbrenner ist die Vollblutspende: Seit 2021 dürfen Personen, die im Jahr vor der Spende Sex mit einem nicht-heterosexuellen Mann hatten, Blutplasma abgeben. Dieses wird vier Monate in Quarantäne gelagert, bevor die Spender*innen bestätigen, keine Geschlechtskrankheit zu haben. Eine Vollblutspende ist in den meisten Fällen nach wie vor unmöglich. Zwar ist im Koalitionsvertrag nicht explizit die Rede von einer Öffnung der Vollblutspende, dafür aber von der Befürwortung der individuellen Risikobewertung, unabhängig von der sexuellen Orientierung der Spender*innen. Dafür sprechen sich die DP und Déi Gréng in ihren Wahlprogrammen erneut aus; die LSAP schweigt zu dem Thema. Die DP verspricht hingegen sogar die Einrichtung eines allgemeinen Fonds für das Rote Kreuz: „Da zurzeit das Rote Kreuz haftbar ist, sollten Probleme in Verbindung mit Blutspenden auftreten, wird dieser Entschädigungsfonds auch dazu beitragen, der Diskriminierung homosexueller Männer beim Blutspenden endlich ein Ende zu setzen.“ Ein Blick in den Koalitionsvertrag offenbart allerdings: Dieser Fonds wurde ebenfalls bereits versprochen.

In Vergessenheit geraten

Andere Gesundheitsthemen fanden keinen Einzug in die Programme der Regierung, wie etwa der leichtere Zugang zu PrEP-Therapien. Vereinfacht erkärt ist PrEP (Prä-Expositionsprophylaxe) ein Medikament, mit dem HIV-negative Menschen einer HIV-Infektionen vorbeugen können. Dafür muss das Medikament maximal drei Monate nach einem Risikokontakt eingenommen werden. In Luxemburg ist das Medikament seit 2016 auf Rezept nach einem Termin beim Dienst für Infektionskrankheiten im Centre hospitalier de Luxembourg (CHL) erhältlich. Die LGBTIQA+-Organisation Rosa Lëtzebuerg verlangt in ihrem Forderungskatalog zu den Parlamentswahlen eine Ausweitung auf alle Apotheken und einen niederschwelligen Zugang zur Behandlung. Momentan käme es zu Engpässen für Termine im CHL, wodurch die empfohlene Frist zum Behandlungsbeginn oft nicht eingehalten werden könne.

Auffallend ist auch, dass keine der Regierungsparteien ausdrücklich auf den „Plan d’action LGBTI“ von 2018 eingeht, der immerhin 93 Forderungen enthält. Im Frühjahr sollte eine erste Zwischenbilanz zu den erreichten Zielen und neuen Herausforderungen vorliegen. Dies ist nie passiert. Umso mehr leuchtet es ein, dass etwa Rosa Lëtzebuerg eine zeitliche Begrenzung für den Aktionsplan verlangt. Es brauche verbindliche Zielvorgaben sowie einen verpflichtenden Evaluierungsmechanismus, der queere Interessenvertretungen einbinde.

Die Regierungspartei, die sich am Ende am meisten für LGBTIQA+-Belange interessiert, sind die Grünen. Vor allem geht die Partei Bereiche an, die ihre Regierungspartner*innen außen vor lassen. Sie versprechen die Schaffung einer inklusiven Umgebung für LGBTIQA+-Senior*innen und themenbezogene Schulungen für das Personal in Altenheimen; die Verfahren bei der Bestimmung und Betreuung von unter anderem LGBTIQA+-Geflüchteten zu verbessern; Drag und andere queere Kunstformen zu unterstützen sowie das Bewusstsein von Polizist*innen für den „diskriminierungsfreien und sensiblen Umgang mit allen Bürger*innen“ zu stärken. Vorhaben, die sich beispielsweise stark mit denen von Rosa Lëtzebuerg decken. Die Organisation ist erfreut, betont der woxx gegenüber aber: „Trotz der Fülle an Positionen, bleiben viele Versprechen wage oder nur mäßig ambitioniert.“

Sie zieht den Vergleich zur DP, die zwar nicht mit der Menge an queeren Themen mithalten könne, dafür aber eine der mutigsten Forderungen vorlege: die Einführung der altruistischen Leihmutterschaft, bei der die Motivation auf der selbstlosen Hilfeleistung beruht. Momentan ist die Leihmutterschaft in Luxemburg untersagt. Rosa Lëtzebuerg erhält eigenen Aussagen nach jedoch immer häufiger Anfragen zu der aktuellen Gesetzgebung und zu Alternativen.

Wer dabei an Adoption denkt, liegt laut der Organisation falsch: „Adoptionen sind selten eine Möglichkeit, da nur wenige Länder, die mit Luxemburg eine Konvention unterhalten, eine Adoptionsprozedur für gleichgeschlechtliche Paare erlauben.“ Männerpaaren mit Kinderwunsch bliebe deshalb oft nur der Weg ins Ausland, wo Leihmutterschaft etwa in Belgien oder in Kanada unter bestimmten Bedingungen erlaubt ist.

Die Anerkennung der Elternschaft in Luxemburg ist in der Folge mit den bereits erwähnten administrativen Hürden für gleichgeschlechtliche Eltern verbunden. In dem Zusammenhang treten die DP und Déi Gréng für vereinfachte Prozeduren im Sinne der Kinder ein, die im Ausland von einer Leihmutter ausgetragen wurden, aber in Luxemburg ansässig sind. Im Programm von déi Gréng ist sonst keine Angabe zu Leihmutterschaft zu finden, genauso wenig wie im Programm der LSAP.

Copyright: Anete Lusina/Pexels

Und die Opposition?

Starken Gegenwind gibt es in dem Kontext von der derzeitigen Oppositionsbank: Sowohl die CSV als auch die ADR sprechen sich klar gegen die Leihmutterschaft aus. Die CSV argumentiert dies mit der „Nichtverfügbarkeit des menschlichen Körpers“, die ADR mit der Kommerzialisierung von Babys. „DʼKanner hunn Recher, mee et gëtt kee Recht op e Kand“, so die rechtskonservative Partei in ihrem Wahlprogramm. Im selben Zuge will sie ein Verbot von künstlicher Befruchtung, allerdings ohne die sexuelle Orientierung der Eltern zu präzisieren. Die Partei begründet ihre Position unter anderem damit, dass durch die künstliche Befruchtung der direkte Bezug zu beiden Erzeuger*innen fehle.

Die CSV ist da offener: Die Partei will die künstliche Befruchtung auch für alleinstehende Frauen öffnen. Das sagt aber natürlich nichts über die Queerfreundlichkeit der Partei aus. Zwar solidarisiert sie sich in ihrem Programm mit nicht-binären Personen und verlangt mehr Akzeptanz für sie, genauso wie für homosexuelle oder trans Sportler*innen – einen konkreten Plan legt die sie aber nicht vor. Gleichzeitig erwähnt sie, die Modalitäten zur „Geschlechtsumwandlung“ prüfen und gegebenenfalls anpassen zu wollen. Abgesehen davon, dass der korrektere Begriff für solche Eingriffe „Operationen zur Geschlechtsbestätigung“ lautet, bleibt die konkrete Haltung der Partei ungewiss.

Die ADR zeigt hingegen klare Kante gegen queere Geschlechtsidentitäten und teilt gegen jegliche Form von Genderpolitik, die sie als Ideologie diskreditiert, aus. In ihrem Programm befinden sich ein Verbot für minderjährige trans Personen, ihren Geschlechtseintrag anzupassen, eine Hormontherapie zu beginnen oder geschlechtsangleichende Operationen vorzunehmen sowie der Ausschluss von trans Personen aus Sportwettbewerben. Die Partei bleibt ihrer transfeindlichen Gesinnung treu, wenn es um die Anpassung des Geschlechtseintrags im Zivilstandsregister geht. Sie verlangt eine Re-Pathologisierung von trans Identitäten, wenn sie einfordert: „Fir eis steet fest, datt e Geschlechtswiessel beim Zivilstand ganz kloer op enger medezinescher Grondlag baséiere muss.“ 2018 trat in Luxemburg ein Gesetz in Kraft, das es Menschen ermöglicht ihre Geschlechtsangabe ohne medizinisches oder psychologisches Gutachten im Zivilstandsregister anzupassen. Minderjährige benötigen hierfür das Einverständnis ihrer Erziehungsberechtigten.

Die ADR ist auch gleichgeschlechtlichen Paaren mit Kinderwunsch feindselig gesinnt. Die Partei gesteht homosexuellen Paaren eine reformierte eingetragene Lebenspartnerschaft zu, die ihrer eigenen Auffassung nach der Ehe nahekommt. Ein Recht auf Familie untersagt sie den Paaren jedoch. „Et gëtt keng Diskriminatioun vun esou Partnerschaften, esoulaang dʼRechter vun Drëtten – also besonnesch vun de Kanner – doduerch net beréiert ginn“, schreibt die Partei. Ob die ADR also darauf abzielt, die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare rückgängig zu machen, die 2015 in Luxemburg eingeführt wurde, bleibt offen. Genau wie die Frage, wessen Rechte gleichgeschlechtliche Paare noch gefährden, außer angeblich jene der Kinder.

Im Kontrast dazu stehen die beiden anderen Oppositionsparteien Déi Lénk und die Piratenpartei, die grundsätzlich queerfreundliche Positionen vertreten. In den Wahlprogrammen der Parteien fehlt es allerdings, genauso wie in denen der Regierungsparteien, an neuen, ambitionierten Zielen für die LGBTIQA+-Politik.

So sprechen sie sich ebenfalls für die überfällige automatische Anerkennung gleichgeschlechtlicher Eltern aus. Déi Lénk präzisiert in ihrem Wahlprogramm, dass dies die Voraussetzung dafür ist, dass homosexuellen Eltern die geplante und von einem Großteil der Parteien unterstützten Ausweitung des „congé de naissance“ zugute kommt: Solange das nicht-gebärende Elternteil in gleichgeschlechtlichen Beziehungen das eigene Kind erst adoptieren muss, damit seine Elternschaft anerkannt wird, kann es auch keinen Geburtsurlaub in Anspruch nehmen – dieser muss nämlich innerhalb von zwei Monaten genommen werden.

Déi Lénk und die Piratenpartei setzen vereinzelt Akzente: Die Piratenpartei fordert beispielsweise, dass die sexuelle Orientierung oder die Geschlechtsidentität als Asylmotiv anerkannt werden sowie die separate Unterbringung von LGBTIQA+-Schutzsuchenden gewährleistet wird. Darüber hinaus befürwortet sie die Bemühungen des Cigale (Zentrum der lesbischen, schwulen, bisexuellen, trans, inter und queeren Gemeinschaften), das Personal in den entsprechenden Foyers für die Thematik zu sensibilisieren. Das Cigale bietet in dem Sinne, zusammen mit dem Weiterbildungszentrum Alter & Ego, die Schulung „Lʼarc en ciel“ an.

Die Linken wollen derweil Studien zu gynäkologischer Gewalt vorantreiben, Projekte und Maßnahmen dagegen ausarbeiten – dabei will die Partei den Bedürfnissen von trans, inter und nicht-binären Menschen Rechnung tragen. Abgesehen davon wollen Déi Lénk weitere Maßnahmen gegen die Diskriminierung von LGBTIQA+-Menschen auf dem Austausch mit Expert*innen basieren. Die Partei geht schließlich als eine der wenigen auf die Situation queerer Student*innen ein: Sie will die Forderungen von Studierendenorganisationen aufgreifen, um die Rechte von LGBTIQA+-Student*innen zu stärken. „All Persoun muss sech kënne mat där Identitéit an deem Geschlecht bei der Administratioun aschreiwen, déi se selwer gewielt huet“, schreiben die Linken hierzu. Laut dem „LGBTQI Inclusive Education Index 2022“ des internationalen Studierenden- und Jugendverbands Iglyo gibt es in Luxemburg keine nationale Reglung zur Verwendung von Gendermarkern und Pronomen an der Universität.

Die Parteien, die dieses Jahr zum ersten Mal in den Wahlring steigen, haben übrigens wenig zu LGBTIQA+-Themen zu sagen. Fokus, mitbegründet von Frank Engel (Ex-CSV), gibt sich lediglich queerfreundlich, wenn die Partei die Benachteiligung homosexueller Paare verurteilt und verspricht, trans und nicht-binäre Menschen zu unterstützen. Liberté – Fräiheet, gegründet von Roy Reding (Ex-ADR), geht ebenfalls nur marginal auf LGBTIQA+-Menschen ein, wettert jedoch gegen die vermeintliche Frühsexualisierung von Kindern und die angebliche Verherrlichung einzelner „Orientatiounen“.

In den Wahlprogrammen scheinen LGBTIQA+-Rechte demnach präsent zu sein, aber von den wenigsten bevorzugt oder in mehreren Bereichen mitgedacht zu werden. Und wie steht es um den Wahlkampf, in dem sich die Parteien in öffentlichen Debatten Paroli bieten? Im Austausch mit Rosa Lëtzeuberg, dessen Team zur Zeit die Wahlprogramme mit seinen eigenen Forderungen abgleicht, zeigt sich zumindest diese Organisation enttäuscht: „Uns sind keine Wahlkampfaktionen, Werbung oder Beiträge im Namen der Parteien oder Kandidierenden bekannt, die sich öffentlich tiefgehend mit LGBTIQ+-Themen auseinandergesetzt haben. Das gleiche gilt für den Großteil der Medien, die sich bisher hauptsächlich auf die üblichen Themen wie Wirtschaft und Sicherheit fokussiert haben.“


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