Psychische Gesundheit während und nach Corona

Die Kontaktbeschränkungen treffen psychisch Erkrankte besonders hart. In einem Leserinnenbrief wirft Julia Maria Zimmermann die Frage auf, welche Lehren wir daraus ziehen können.

Bildquelle: www.pikist.com

Im Dezember 2019 schockierte die Nachricht, dass Luxemburg die höchste Rate an Depressionen in Europa verzeichnet. 10 Prozent der Befragten gaben an, an depressiver Symptomatik zu leiden, Frauen etwas mehr als Männer. Vier Monate später stecken wir in einer Pandemie, müssen physischen Abstand zu unseren Mitmenschen halten, am besten unsere Wohnung nicht verlassen, wenn es nicht unbedingt sein muss. Noch können wir nicht absehen, in welcher Weise die Corona-Pandemie unser Leben in Zukunft verändern wird. Man muss nicht psychisch beeinträchtigt sein, um diese Situation belastend zu finden. Zu Recht informieren Prévention Luxembourg und das Gesundheitsministerium auf einer eigenen Internetseite über die psychischen Folgen der Kontaktsperre, bieten Tipps zum Erhalt der psychischen Gesundheit und Hilfsangebote im Fall psychischer Krisen an. Auch die 20-tägige Challenge zum Erhalt der psychischen Gesundheit von Prévention Luxembourg ist eine nette Idee.

Keine Frage, diese Aktionen sind uneingeschränkt gut, sinnvoll und nützlich. Vor allem für Menschen ohne Vorgeschichte psychischer Erkrankung. Wie hilfreich sie für Menschen sind, die bereits mit Depressionen zu kämpfen haben, scheint mir weniger sicher. Die Belastungen, mit denen viele Menschen nun zu kämpfen haben – Einschränkungen der sozialen Kontakte oder zumindest Hürden in deren Aufrechterhaltung, das Fehlen geregelter Tagesabläufe durch Homeoffice, Homeschooling oder Kurzarbeit, die Dauerbeschallung mit schlechten Nachrichten über Krankheit, Tod, wirtschaftlichen Abschwung, möglicherweise ein Gefühl des Sinnverlusts oder der Ohnmacht: All das sind Risikofaktoren für eine Depression.

Nur, wer bereits depressiv ist, hatte möglicherweise bereits zuvor Schwierigkeiten, gegen soziale Isolierung und negative Gedanken anzukämpfen und einen geregelten Tagesablauf aufrechtzuerhalten. Für Menschen mit Depressionen sind diese Herausforderungen harte Arbeit, auch wenn gerade keine sanitäre Krise stattfindet. Die derzeitige Situation kann für einige Vorerkrankte der Tropfen sein, der das Fass zum Überlaufen bringt. Und dann?

Ja, viele Psychiater*innen bieten Telekonsultationen an. Aber nicht alle. Prévention Luxembourg weist darauf hin, dass es schwieriger sein kann, den behandelnden Arzt oder die behandelnde Ärztin zu erreichen. Die Alternative ist dann oft nur, das Notfallgespräch mit einer fremden Person zu führen – oder eben nichts zu tun. Geplante Klinikaufenthalte müssen auf unbestimmte Zeit verschoben, psychologische Behandlungen gegebenenfalls unterbrochen werden.

Die gesundheitlichen Folgen der Krise für psychisch Erkrankte lassen sich derzeit noch nicht abschätzen. Psychische Erkrankungen wie Depressionen, aber auch Suchterkrankungen, bipolare Störungen und Persönlichkeitsstörungen, sind potenziell tödlich. Mindestens jede zehnte Person, die an Depressionen leidet, begeht Selbstmord. Neun von zehn Suiziden stehen in Verbindung mit einer psychischen Vorerkrankung. Wie werden sich die Suizidraten während der Corona-Krise entwickeln, wenn die üblichen Auffangnetze nicht wie sonst zur Verfügung stehen?

Es ist vielleicht nicht möglich, mehr zur Erhaltung der psychischen Gesundheit zu tun, als derzeit getan wird. Es ist aber hoffentlich möglich, aus der Krise klüger, besser mit Statistiken ausgestattet und mit mehr Sensibilität und Akzeptanz für die Gesundheitsversorgung psychisch Erkrankter herauszugehen. Eine Möglichkeit könnte ja zum Beispiel sein, die psychiatrische Versorgung zeitnah und auch in Krisenzeiten verpflichtend sicherzustellen. Oder auch eine Revision der strikten Ausgangsregelungen im Falle von Arbeitsunfähigkeit wegen psychischer Erkrankungen vorzunehmen (https://cns.public.lu/de/assure/vie-professionnelle/arret-de-travail/maladie/regime-sorties-malade.html), die den Betroffenen geradezu Corona-ähnliche Zustände auferlegen und von denen wir nun merken sollen, wie wenig sie der psychischen Gesundheit nutzen.


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