Dritte Impfung oder Dritt-Welt-Impfung?

WHO und Vereinte Nationen stehen der Idee von Auffrischungsimpfungen kritisch gegenüber. Sie prangern die enormen Unterschiede der Covid-Impfquoten zwischen globalem Süden und Norden an.

(Pixabay; Alexandra Koch)

„Ich verstehe, dass alle Regierungen ihre Bevölkerungen vor der Delta-Variante schützen wollen“, sagte am vergangenen Mittwoch Tedros Adhanom Ghebreyesus, Generaldirektor der Weltgesundheitsorganisation (WHO). „Aber wir können nicht akzeptieren, dass Länder, die bereits den größten Anteil der verfügbaren Impfstoffe verbraucht haben, noch mehr davon verbrauchen, während die weltweit am meisten gefährdeten Bevölkerungsgruppen ohne Schutz verbleiben“, hieß es weiter auf der wöchentlichen WHO-Pressekonferenz.

Stein des Anstoßes sind die Überlegungen in den Ländern des globalen Nordens, Auffrischungsimpfungen einzuleiten, was bei den meisten Impfstoffen einer „dritten Dosis“ entspricht. Dies obwohl, wie Tedros Adhanom hervorhob, „Hunderte von Millionen Menschen noch auf ihre erste Dosis warten“. Die WHO ruft deshalb zu einem Moratorium für Auffrischungsimpfungen auf – stattdessen soll der größte Teil der derzeit produzierten Impfdosen in die ärmeren Länder gehen.

Claude Muller zweifelt an der Logistik

In Luxemburg, einem der reichsten Länder der Welt, reagierte am Donnerstag der Immunologe Claude Muller im 100,7-Interview mit Skepsis. Zu argumentieren, man müsse in der Dritten Welt impfen, um das Entstehen von neuen Varianten zu verhindern, sei eine sehr „eurozentrische“ Sichtweise. „Herdenimmunität zu erreichen, damit keine neuen Varianten entstehen, ist ein Ziel, das nicht realistisch ist – in dieser Welt“, so Muller. Auch wenn die Länder der Dritten Welt Impfstoffe erhielten, stellten sich dennoch logistische Probleme. Als Beispiel nannte Muller Ägypten, das noch immer eine niedrige Impfquote habe, „obwohl sie eigentlich schneller vorankommen könnten“. Realistischer sei, die Priorität auf die Impfung des medizinischen Personals zu legen.

Der Appell des WHO-Generaldirektors bezog sich allerdings nicht nur auf das Moratorium für Auffrischungsimpfungen. Er forderte die Industrienationen auch zum Handeln auf: „Der Fortgang der Pandemie hängt vom Leadership der G20-Länder ab“, so Tedros Adhanom, der seine Erwartungen an ein Treffen der G20-Gesundheitsminister*innen im September knüpfte. UN-Generalsekretär António Guterres brachte ebenfalls die G20 ins Spiel, als er am Donnerstag das von China organisierte erste internationale Forum für Zusammenarbeit bei Covid-Impfstoffen eröffnete. Guterres begrüßte, dass das Gastland über 500 Millionen Impfdosen zum WHO-Impfprogramm Covax beisteuern will (siehe woxx-Beiträge zu Covax).

António Guterres setzt auf Covax und G20

Die WHO strebt an, über den Sommer in allen Ländern 10 Prozent der Bevölkerung zu impfen. Bis Ende des Jahres sollen es dann 30 Prozent sein, um möglichst schnell 70 Prozent zu erreichen. Um auf diese Weise die akute Phase der Pandemie zu beenden, werden insgesamt noch über 11 Milliarden Dosen benötigt. „Das wird die größte Anstrengung in Sachen öffentliche Gesundheit in der Geschichte erfordern“, so der Generalsekretär. Die Welt brauche einen globalen Impfplan, mit dem die Produktion verdoppelt und die Verteilung gerechter gestaltet würde, auf Basis des Covax-Programms. „Wir brauchen auch einen Krisenstab auf der Ebene der G20, um die Umsetzung zu koordinieren“, erläuterte Guterres. Unabdingbar sei ein Transfer von Technologie und Know-how, aber auch eine Stärkung der lokalen Produktionskapazitäten und Lösungen für die Engpässe bei der Logistik.

Unser Kommentar: Drittimpfung – es lohnt sich!

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