Rechtsextremismus auf Youtube: Wolf im Schafspelz

Auf Youtube in eine rechtsextreme Filterblase zu rutschen, ist leichter, als viele denken. Mit diversen Taktiken wird versucht, das Problem in den Griff zu bekommen.

Franziska Schreiber familiarisiert ihr Publikum mit einer Argumentationsweise und Weltsicht, die den Sprung zu radikaleren Ansichten kleiner werden lässt. (Screenshot aus „Schluss mit der Nazikeule! | Franziska Schreiber“/Youtube.com)

Eine junge, weiße Frau steht vor einem blauen Hintergrund. Sie trägt ein schwarzes T-Shirt, auf dem in weißer Schrift „Awesome“ geschrieben steht. Ihr Sidecut ist blau-violett gefärbt, sie ist kaum geschminkt. Wenn sie spricht, blickt sie direkt in die Kamera, immer wieder werden Jump-Cuts eingesetzt.

Es ist ein Youtube-Video, wie es unzählige weitere gibt. Was dieses von anderen unterscheidet, ist, dass das von ARD und ZDF betriebene Content-Netzwerk Funk dahinter steckt. Die Person im Video wurde zudem nicht durch Youtube bekannt, handelt es sich doch um die 29-jährige Franziska Schreiber. Seit fünf Monaten veröffentlicht die ehemalige AfDlerin für Funk Videos mit Titeln wie „Warum Feminismus peinlich und nutzlos ist“ oder „Seid stolz auf Schwarz-Rot-Gold“. Sie sagt darin Dinge wie: „Wenn wir zu vielen Konservativen erzählen, sie wären Nazis, dann könnte es passieren, dass sie anfangen, uns zu glauben, und sich nach politischen Kräften umsehen, die besser dazu passen.“

Auch wenn die Inhalte meist nuancierter sind als die Titel, so orientiert sich Schreiber doch generell stärker an ihrem Bauchgefühl als an wissenschaftlich belegbaren Fakten. So kommt es, dass sich zwischen sachliche Informationen auch immer wieder Sätze schieben, die eigentlich nicht so stehen gelassen werden können. Im Video wird uns jedoch einzig Schreibers Meinung präsentiert, eine größere Kontextualisierung bleibt aus. Auch in der Kommentarspalte sind die Nutzer*innen auf sich alleine gestellt, denn weder Schreiber noch Funk tauchen hier zum Moderieren auf.

Gefährliches Kontinuum

Auch wenn die Distanz zwischen Videos wie die von Schreiber und rechtsextremen Inhalten recht groß zu sein scheint – auf Youtube sind sie oft nur wenige Klicks voneinander entfernt. Eine kürzlich veröffentlichte Studie der US-amerikanischen Cornell Universität liefert Daten darüber, wie Youtube-User*innen über Videos mit konservativen, nationalistischen und anti-feministischen Inhalten in rechte Filterblasen geraten. Der brasilianische Informatiker Manoel Ribeiro und sein Team haben dieses Phänomen anhand eines großen Datensatzes analysiert. 331.849 Videos von 360 Kanälen sowie die jeweiligen Klickzahlen und die Anzahl an Kommentaren wurden hierzu unter die Lupe genommen. Zur Analyse wurden neben einer Kontrollgruppe drei weitere Kategorien benutzt: „Alt-lite“, „Intellectual Dark Web“ (IDW) und „Alt-Right“. Unter die erste fallen nationalistische Inhalte, unter die zweite die Kritik an politischer Korrektheit und Feminismus. Dazu zählen etwa Philosoph Sam Harris, Psychologieprofessor Jordan Peterson und der ehemalige Komiker Joe Rogan. Die „Alt-Right“ geht von der Überlegenheit der weißen christlichen Bevölkerung aus. Zu ihnen zählen White Supremacists, Rechtsextremist*innen und Neonazis. Bekannte Alt-Right-Youtuber sind etwa Richard Spencer und Jared Taylor.

Im Vergleich zur Kontrollgruppe sind Video- und Kommentaranzahl sowie Klickzahlen bei den drei anderen Kategorien in den vergangenen Jahren stark angestiegen. Um Radikalisierungswege nachzuvollziehen, schauten sich die Forscher*innen das Kommentierungsverhalten an. Bei der IDW- und Alt-Lite-Kategorie ist die Wahrscheinlichkeit, dass irgendwann auf zustimmende Weise unter Alt-Right-Videos kommentiert wird größer als bei der Kontrollgruppe. Die Studie zeigt zudem, dass ein nicht unerheblicher Teil der Nutzer*innen über den Empfehlungsalgorithmus von Youtube zu rechtsextremen Videos gelangt. Mehr Empfehlungen führen von der Kontrollgruppe zu Alt-Lite als umgekehrt.

Die Ergebnisse der Studie helfen nachzuvollziehen, weshalb Videos wie die von Schreiber nicht völlig losgelöst von rechtsextremen Youtuber*innen betrachtet werden sollten. Wie auf der Internetseite von Funk zu lesen ist, richten sich die Videos an 14- bis 29-Jährige. Vor allem bei den Jüngeren besteht die Gefahr, dass sie das, was Schreiber sagt, für bare Münze nehmen. In der Tat braucht es gewisser Vorkenntnisse, um rechte Argumentationsweisen als solche zu erkennen. Im Video „Schluss mit der Nazikeule“ warnt sie davor, mit Begriffen wie „Rassist“ oder „Nazi“ „wild um uns zu werfen“. Sie vermeidet es nicht nur, über die Ursachen zu sprechen, dass Menschen als Nazis bezeichnet werden, oder darauf einzugehen, wie man auf rassistische Aussagen seiner Mitmenschen reagieren kann: Sie verharmlost die Gründe für rechtsextreme Radikalisierung und schiebt einen Teil der Schuld denjenigen zu, die Widerspruch erheben. Das Publikum wird so mit einer Argumentationsweise und Weltsicht familiarisiert, die den Sprung zu radikaleren Ansichten kleiner werden lässt.

Öffentlich-rechtlich legitimierte und finanzierte Kanäle wie der von Franziska Schreiber bilden eher die Ausnahme. In den meisten Fällen bietet Youtube politisch rechts eingestellten Betreiber*innen von Kanälen gerade deshalb eine willkommene Plattform, weil es möglich ist, völlig unabhängig und mit geringen Mitteln riesige Menschenmassen zu erreichen und damit Geld zu verdienen. Selten war es so leicht, eine alternative Öffentlichkeit zu schaffen und zu erreichen. Schreibers Videos gehören zu der Sorte, durch die viele wohl eher per Zufall mit rechtem Gedankengut in Berührung kommen. Ähnlich sind zum Beispiel Kochshows, Computerspiel-Übertragungen oder Musik-Kanäle einzuordnen, bei denen sich nebenbei etwa über Ausländer*innen aufgeregt wird.

Hinzu kommt oben erwähnter Algorithmus. Youtubes Business-Modell ist danach ausgerichtet, Nutzer*innen durch automatisierte Empfehlungen zum Weiterklicken zu verleiten. Schaut man sich ein bestimmtes Video an, werden einem in der Folge weitere mit ähnlichem Inhalt empfohlen. Es ist also möglich, sich mehr oder weniger per Zufall einen „IDW“-Kanal anzuschauen und wenige Stunden später wesentlich radikalere Videos in der Empfehlungsspalte vorzufinden.

Der Sprachforscher Raymond Serrato hat die Wirkweise von Youtubes Algorithmus anhand eines konkreten Falls untersucht. So schaute er sich an, welche Videos Youtube User*innen empfahl, die sich im August 2018 zu den Ereignissen in Chemnitz informieren wollten. Wie er erschreckt feststellte, führten ihn die Suchergebnisse recht schnell in ein „Alt-Right rabbit hole“. Die meistgeklickten von den 200 in der letzten Augustwoche produzierten Videos spiegelten Ansichten von Alt-Right-Anhänger*innen, White Supremacists und anderen rechtsextremen Akteur*innen wider. Er stellte zudem fest, dass rechts neben diesen Videos vornehmlich solche mit Donald Trump und AfD-Politikerin Alice Weidel sowie solche, die Ressentiments gegenüber Geflüchteten bedienen, empfohlen wurden. Youtube ist sich dieser Problematik mittlerweile bewusst und versucht verstärkt, die Verbreitung von Desinformation und Verschwörungstheorien zu reduzieren. So werden nun vornehmlich Videos etablierter Massenmedien empfohlen.

Hoher Unterhaltungswert

Schuld ist natürlich nicht nur der Algorithmus, sondern auch die Videos an sich beziehungsweise die Menschen, die sie produzieren. Was Schreibers Kanal mit anderen dieser Art gemeinsam hat, ist, dass sie ihre Ansichten damit rechtfertigt, dass sie nur ihre Meinung sage oder die unangenehme Wahrheit ausspreche. Die professionelle Produktionsart erweckt den Anschein, dass es sich bei den Videos um eine seriöse und sachliche Informationsquelle handelt. Der Anreiz der Videos ergibt sich aus der Präsentation simplistischer Kausalzusammenhänge und Lösungsmöglichkeiten. Menschen, die sich abgehängt fühlen und nach Halt suchen, liefern sie nicht nur Feindbilder, denen die Schuld zugeschoben werden kann, sondern auch ein Gefühl von Gemeinschaft.

Das intellektuelle aber auch kumpelhafte Auftreten Schreibers ist vergleichbar mit dem heutigen Auftreten rechtsextremer Influencer*innen in den sozialen Medien. Gezielt wird eine Mainstream-Ästethik bedient, die „Neue Rechte“ will sympathisch und harmlos rüberkommen.

Der Unterhaltungswert ergibt sich zu einem großen Teil aus den provokativen, gegen den dominanten Diskurs gerichteten Inhalten. Wurde einst vor allem durch reißerische Titel versucht, möglichst hohe Klickzahlen zu erreichen, so wird seit 2012 versucht, sich die Aufmerksamkeit der Zuschauer*innen mit den Videos an sich zu sichern. Das liegt an einer damals in Kraft getretenen Bestimmung, beim Empfehlungs-Algorithmus die Sehdauer gegenüber den Klickzahlen zu bevorteilen. Youtube erhoffte sich, auf diese Weise mehr Menschen mit Werbung zu erreichen. Im selben Jahr entschied Youtube, sämtlichen Creators die Möglichkeit zu geben, in ihren Videos Werbung zu schalten und einen Teil der Einnahmen zu kassieren. Auch hiervon konnten rechte Youtuber*innen profitieren: Die Geldeinnahmen ermöglichten es ihnen, eine noch weitaus größere Anzahl an Videos mit gesteigerten Produktionswerten in Umlauf zu bringen.

Linkes Gegengewicht

Seit Juni ist Hassrede auf Youtube explizit verboten. Inhalte, die zu Gewalt oder Hass gegenüber Individuen oder Gruppen aufgrund von Geschlecht, Nationalität, Religion, Ethnie oder sexueller Orientierung aufrufen oder gut dokumentierte gewalttätige Ereignisse wie den Holocaust leugnen, werden gesperrt. Die verschärften Richtlinien waren eine Reaktion auf den Terroristen, der im Mai seine Attacke auf eine Moschee in Christchurch live im Internet verbreitet hatte.

Die neuen Richtlinien sind jedoch einzig auf besonders extreme Fälle fokussiert. Dass Videos gelöscht werden, wie rezent einige des österreichischen Identitären-Chefs Martin Sellner, ist immer noch verhältnismäßig selten. Gängiger ist die Praxis der Demonetisierung, was bedeutet, dass die Youtuber*innen keine Einnahmen mehr durch Werbung erhalten können. So wurden Kanäle wie die von White Supremacist James Allsup und dem schwedischen rechtsextremen Bodybuilder „The Golden One“, Marcus Follin, mittlerweile allesamt demonetisiert.

Videos, die vordergründig ein anderes Ziel als die Verbreitung von Hass verfolgen, können, auch wenn sie demonetisiert wurden, dennoch auf Youtube verbreitet werden. Viele Rechtsextremist*innen haben zudem gelernt, ausreichend subtil vorzugehen, um Hate-Speech-Richtlinien zu umgehen. Sie verleugnen jede Affinität zu rechtsextremem Gedankengut, benutzen Euphemismen oder geben das Gesagte als Satire aus.

Zahlreiche Youtuber*innen versuchen ein Gegengewicht zu den rechten Haltungen zu schaffen. Unter den Bezeichnungen LeftTube und BreadTube (eine Referenz auf das Buch „The Conquest of Bread“ von Peter Kropotkin) sind solche Creators versammelt, die rechtsextremen Influencer*innen die Stirn bieten. Philosophy Tube, Hbomerguy, Contrapoints und Destiny sind einige solcher Kanäle. Mittels Humor, Rollenspielen, ansprechender Ästhetik und minutiös recherchierten Beiträgen zielen sie sowohl auf Aufklärung wie auch auf Unterhaltung ab. Am Beispiel des Youtube-Kanals von Journalist Rayk Anders wird deutlich, wie progressive Youtuber*innen bewusst auf Rhetorik und Ästhetik rechtsextremer Videos zurückgreifen. Durch entsprechende Titel und Vorschaubilder sollen gezielt Menschen erreicht und angesprochen werden, die sich sonst eher in der rechten Filterblase aufhalten. „AfD enthüllt GRETA-Lügen! JETZT KOMMT ALLES RAUS!“ heißt eins von Anders’ Videos. Inhaltlich wird sich allerdings kritisch mit der AfD auseinandergesetzt. Diese Youtuber*innen produzieren häufig direkte Reaktionsvideos auf solche rechtsextremer Betreiber*innen. Das alles erhöht die Wahrscheinlichkeit, in rechte Filterblasen einzudringen und jenen, die dort hineingeraten sind, eine linke Perspektive auf Problematiken zu vermitteln.

Das Netzwerk Funk ist für linke Inhalte bekannt, Schreiber sollte um des Pluralismus willen, eine rechte Perspektive einbringen. Statt pluralistischer zu sein, hat das Netzwerk seither vielmehr an Glaubwürdigkeit verloren. Besonders absurd wird es, wenn auf Funk ein Video veröffentlicht wird, das den Nazikeulen-Mythos kritisch aufgreift. Bohemian Browser Ballett versucht darin, das Bewusstsein dafür zu schärfen, dass nur weil jemand rechtsextremes Gedankengut von sich weist, dem nicht notwendigerweise Glaube geschenkt werden sollte. Den User*innen bleibt es jedoch selbst überlassen, nach dem Video von Franziska Schreiber sich zusätzlich das andere anzusehen.


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