Satirisches Märchen: Die Frau ist kaputt

In ihrem neuen Roman „Barbara stirbt nicht“ seziert Alina Bronsky die Figur eines Mannes, der sich plötzlich mit seiner Urangst konfrontiert sieht. Als seine Frau Barbara sich eines Morgens weigert, das Bett zu verlassen, muss sich Herr Schmidt auf unbekanntes Terrain vorwagen – die eigenen vier Wände.

Wie ein ergrauter, missgelaunter Robinson Crusoe irrt Walter Schmidt durch die Wohnung, die er immerhin schon seit 52 Jahren mit seiner Ehefrau Barbara bewohnt. Zwischen Kaffeemaschine und Tiefkühltruhe lauern zahlreiche Gefahren und Herausforderungen, die es zu meistern gibt.

Die Ausgangssituation des „Barbara stirbt nicht“ betitelten Romans birgt jede Menge komisches Potenzial und seine Autorin Alina Bronsky schöpft dieses Potenzial voll aus: Nachdem sie ihren Protagonisten aus seiner Komfortzone herauskatapultiert hat, lässt sie ihn im Minutentakt in absurde Erlebnisse hineinstolpern und paart dabei Situationskomik mit Humor, der fast so schwarz ist, wie der Kaffee, den Herr Schmidt erfolglos zusammenzubrauen versucht. Das klingt dann so: „Herr Schmidt machte sich auf den Weg, hoffend, dass sie nicht die Treppe runtergefallen war. Wobei ihn das Gepolter vermutlich geweckt hätte. Andererseits, vielleicht auch nicht: Barbara war eine leise Frau, schon immer gewesen.“ Als Schmidt im Supermarkt die Kassiererin zusammenstaucht, wundert er sich, dass sie nicht weint: „Früher kam es schon mal vor, dass junge Verkäuferinnen nach einem Wortwechsel mit ihm in Tränen ausbrachen.“

Die deutsch-russische Autorin Alina Bronsky, deren 2008 veröffentlichter Erstlingsroman „Scherbenpark“ gleich zu einem Publikumserfolg wurde, genießt es in ihrem neuen Buch, Herrn Schmidt mit Vorliebe politisch möglichst Unkorrektes in den Mund zu legen. Der Mann ist eine Zumutung, frauen- und fremdenfeindlich, ein Wutbürger par excellence. Luxemburgische Leser*innen könnten Parallelen zu Hoppen Théid und seiner verbal malträtierten unsichtbaren Ehefrau Irma entdecken.

Es ist dann auch unschwer vorherzusehen, dass Herr Schmidt einen Prozess der Läuterung durchlaufen wird: Beim Kochen entpuppt er sich – wie sollte es auch anders sein – als Naturtalent, dem die sich abmühenden Hausfrauen nicht das Nudelwasser reichen können. Nur das Küche-Putzen überlässt er dann doch lieber der eigens angeheuerten Haushaltshilfe. Bronsky möchte uns davon überzeugen, dass unter der rauen Schale nach vielem Pulen doch noch ein weicher Kern zum Vorschein kommt.

Der Roman ist jedoch weniger eine komplexe Charakterstudie als ein satirisches Märchen. Barbara, ebenso wie die beiden erwachsenen Kinder des Ehepaars, dienen hauptsächlich als Stichwortgeber für den Protagonisten.

Obgleich Barbara, wie im Romantitel versprochen, tatsächlich nicht stirbt, gelingt es der Autorin auch nicht, sie wirklich zum Leben zu erwecken. Ein paar Mal deutet Bronsky an, dass die Ehepartner, beide mit osteuropäischen Wurzeln, auf grundverschiedene Art mit dem Gefühl der Fremdheit umgehen, jedoch vertieft sie das Thema nicht. Sinnbildlich dafür steht der Borschtsch, den sich Barbara wünscht und den ihr Herr Schmidt als Liebesbeweis zubereitet, obwohl ihm diese Heimattümelei peinlich ist. Ist es einem Gefühl der Entfremdung geschuldet, dass Barbara eines Tages so unvermittelt aus dem Leben fällt?

Erst nach und nach entwickelt der Roman einen faden Beigeschmack.

Anfangs stört es nicht, dass Bronsky an der Oberfläche verharrt, denn ihre Pointen sind treffsicher gesetzt, der Rhythmus stimmt und das macht die Geschichte, wenn auch nicht besonders tiefgründig, doch unterhaltsam. Erst nach und nach entwickelt der Roman einen faden Beigeschmack. Am Ende fällt das Konstrukt dann vollends in sich zusammen wie ein – aufgepasst Wortspiel – Soufflé, wenn Bronsky anstatt Satire plötzlich Friede, Freude, Eierkuchen serviert. Um die gestörte Dynamik der Familie aufzulösen, führt die Autorin nämlich einen Deus ex Machina in die Geschichte ein, der jedoch so unvermittelt auftaucht, dass er aufgesetzt wirkt. So vorhersehbar das alles angelegt war, so unvermittelt folgt die Katharsis. Aus pechschwarz wird rosarot und aus bitterböse moralinsauer.

Dadurch, dass Bronsky ihren Protagonisten rehabilitieren will, lädt sie erst dazu ein, sein Verhalten moralisch zu bewerten und entzieht so ihrer Geschichte die Grundlage. Denn Herr Schmidt ist kein liebenswertes Ekel, er ist ein Mensch, dessen Verfehlungen nicht durch eine symbolische Wiedergutmachung aus der Welt zu schaffen sind. Gerade so als müsse man einem Mann, der seiner Familie jahrzehntelang das Leben zur Hölle machte, vergeben, bloß weil er so luftigen Sandkucken backen kann.

Alina Bronsky: Barbara stirbt nicht. Kiepenheuer & Witsch, 256 Seiten.

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