Debütroman
: „Blaustufen“ von 
Faby Schintgen


Faby Schintgens Debüt „Blaustufen“ spricht von Mutterschaft, romantischen Beziehungen, Emanzipation und Selbstverwirklichung. Schafft Schintgen es, diese komplexen Themen zu einem gelungenen Ganzen zu verarbeiten?

Der erste Roman der 1982 geborenen Faby Schintgen, „Blaustufen“, handelt von der Protagonistin Melanie, einer jungen, verheirateten Mutter. Zusammen mit ihrem Mann Paolo hat sie drei Kinder: Elias, Lio und Maya. Eigentlich dachte Melanie, das Muttersein sei der Sinn ihres Lebens. Sie fühlte sich, als hätte sie „ohne Kinder keine Daseinsberechtigung“. Dafür hat sie auch ihren Job als Innendesignerin bei der Agentur ihrer Schwester Layssa aufgegeben. Nach sieben Jahren als Vollzeitmutter ist sie aber an einem Punkt angelangt, an dem sie nicht mehr so weitermachen kann wie bisher. Sie beginnt, ihr Leben in Frage zu stellen.

Geschlechterrollen und Care-Arbeit

Die Begegnung mit einem Unbekannten lenkt das Geschehen schließlich in eine neue Richtung und auch sonst verändert sich Mels Alltag: Sie nimmt ihre Arbeit als Designerin wieder auf, um „wieder ein vollwertiger Mensch“ zu sein. Doch das löst längst nicht alle Probleme, denn zwischen Mel und Paolo kriselt es gewaltig; vor allem, weil Mel sich regelmäßig von ihrem Ehemann bei der Erziehung und im Haushalt im Stich gelassen fühlt.

An dieser Stelle behandelt Faby Schintgen ein besonders brisantes Thema: Während der Coronapandemie fanden sich auf einmal ungewöhnlich viele Männer im Homeoffice wieder und beteiligten sich, falls nicht alleinstehend, an der Care-Arbeit. Diese vermeintliche Überwindung alter Rollenbilder währte jedoch nur kurz, wie mehrere Studien offenbaren. Der Gleichstellungsreport des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der Hans-Böckler-Stiftung kommt etwa zu dem Schluss, dass besagte Männer schnell wieder in alte Verhaltensmuster zurückfielen. Letztendlich bleiben es in heterosexuellen Beziehungen weiterhin hauptsächlich die Frauen, die die unbezahlte Care-Arbeit leisten.

Ähnlich verhält es sich in der Beziehung zwischen Melanie und Paolo. Während sie vorerst zu Hause blieb und sich um die Kinder kümmerte, arbeitete er weiter in Vollzeit. Bereits auf der ersten Seite zeigt Faby Schintgen, wie Paolo sich als Partner verhält. „Ich geh’ nach der Arbeit noch joggen, ok?“, sagt er dort zu der sichtlich überforderten Mel. Immer wieder lässt er seine Frau im Stich und trinkt lieber ein Bier mit seinem Kumpel, als nach den Kindern zu schauen. Apropos Alkohol: Auch Mel trinkt gerne und oft ein Glas Sekt oder Wein, damit „alles leichter von der Hand geht.“ Alkohol wird im Roman regelmäßig missbraucht, um dem Alltag zu entfliehen oder diesen ertragbar zu machen. Die Autorin wirft auf diese Weise einen durchaus kritischen Blick auf die Gesellschaftsdroge.

Provokativ und humorvoll

Aufgelockert werden diese ernsten Themen immer wieder mit einer Portion schwarzem Humor. „Morgen lernen wir dann ein Messer zu benutzen, Schnürsenkel zu binden, den Po abzuwischen und was man sonst noch alles vor seiner Hochzeit können sollte“, kommentiert Mel beispielsweise das Treiben ihrer beiden Jungs. An anderer Stelle erzählt sie davon, dass sie früher nie Pferde wie ihre Freundin Mirna haben wollte, weil sie zu viel Respekt vor diesen großen Tieren hatte – und zieht im Nachhinein den Schluss, dass sie besser Respekt vor dem Leben mit Kindern hätte haben sollen. Die provokative Erzählweise ergänzt die inhaltliche Thematik von „Blaustufen“: Schintgen gelingt es so, die klassische Rollenverteilung und das konservative Familienbild ironisch aufzubrechen.

Auch die heteronormative Beziehung von Mel und Paolo verändert sich im Lauf der Handlung. Nicht nur Melanie, auch Paolo sucht Zuflucht bei einem anderen Menschen und schlägt Mel sogar eine offene Beziehung vor. Diese stellt eine neue Herausforderung für das Paar dar. Zuerst sieht es so aus, als könnte die neue Struktur für die junge Familie funktionieren. Im weiteren Verlauf des Romans wird das traditionelle Gefüge jedoch noch weiter aufgesprengt und etwa Bisexualität und Solomutterschaft werden behandelt.

Die neue Beziehungsdynamik zeigt bald Risse. Mel gibt sich wie selbstverständlich die Schuld an der Gesamtsituation, will eine Scheidung unbedingt verhindern. Ihre traditionelle Vorstellung von Mann, Kindern und Eigenheim lässt den Gedanken an eine Trennung nicht zu. Sie ist gefangen zwischen Anforderungen an sich selbst und Gesellschaftsnormen.

Schuldzuweisungen und gesellschaftliche Zwänge

Der Drang der Protagonistin, es immer allen recht machen zu wollen, die Schuld immer bei sich zu suchen und sich dem sozialen Druck zu beugen, wirkt an manchen Stellen etwas überzogen. Doch vielleicht liegt auch gerade darin die Stärke von „Blaustufen“, denn der Roman vermittelt somit eindrücklich, welche Last auf den Schultern der Frauen – in diesem Fall Melanie – liegt. Ihre Entwicklung im Roman zeigt Parallelen zu den vertrackten sozialen Strukturen auf, in denen wir leben. So wie die Protagonistin muss auch unsere Gesellschaft sich klar werden, in welcher gesellschaftlichen und privaten Situation sich Frauen mehrheitlich immer noch befinden. Faby Schintgen liefert hier ein rundum gelungenes Debüt, das schwierige Themen überzeugend behandelt – und Lust auf mehr macht.

Faby Schintgen: Blaustufen, Op der Lay 
(ISBN 978-2-87967-268-7), 238 Seiten.
Anmerkung: Der Autor hat diesen Text bereits Ende Dezember bei der woxx eingereicht.

 


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