Superheldin gegen den Missbrauch von sexting

Der Comic „Envoie moi une photo…“ thematisiert die illegale Weitergabe intimer Inhalte unter Jugendlichen. Ein Thema, das bereits im Grundschulalter aufkommt – und in Luxemburg an Aktualität gewinnt.

Copyright: Ecpat

„Sexuelle Inhalte sind frei zugänglich. Die Medien sind hypersexualisiert. Sexting wird banalisiert“, sagt Serena Boukelmoun von Ecpat You(th) Together. „Das Problem ist: Nur die wenigsten sind informiert.“ Informiert darüber, dass das verschicken von Bildern, Texten und Videos (sexting) zu sexuellen Themen oder zur Erregung des Gegenübers Risiken mit sich bringt. Zum Beispiel die unerlaubte Weitergabe des Materials oder seine Verwendung zwecks Erpressung. In dem Fall spricht man von „sextorsion“: dem Einfordern explizit sexueller Kommunikation oder finanzieller Gegenleistungen zum Schutz der Privatssphäre. Boukelmouns Aussage fiel gestern morgen, am internationalen Tag gegen die sexuelle Ausbeutung von Kindern, anlässlich der Vorstellung des Comics „Envoie-moi une photo…“. Sie saß am Tisch neben Andy Genen, dem Zeichner, der das Buch auf Anfrage der NGO Ecpat und in enger Zusammenarbeit mit deren Jugendgruppe erarbeitet hat.

Die Handlung ist schnell erzählt: Ein junges Mädchen verschickt ihrem Schwarm Nacktbilder und die Bilder geraten in die Schulgemeinschaft. Es folgen öffentliche Bloßstellung, „victim blaming“ und die Verzweiflung des Mädchens. Genen, der zugibt eine Affinität für Superheld*innen zu haben, stellt ihr eine Retterin im grünen Cape und mit dem Logo von Ecpat zur Seite. Sie klärt über mögliche Schritte auf: raus aus der Isolation und rein in die Gegenwehr. Das Mädchen geht gestärkt aus der Situation hervor und wird selbst zur Mediatorin.

Dass es sich bei diesem Plot nicht um reine Fiktion handelt, bestätigt die Schülerin Boukelmoun aus eigener Erfahrung: Ihr sind viele solcher Fälle bekannt. Sie verweist auch auf die Debatte um das Lloret-Video, bei dem eine junge Frau öffentliches „slut shaming“ erfuhr, weil jemand ein privates Video von ihr veröffentlichte, in dem sie Sex mit zwei Männern hatte. Die Jugendgruppe Ecpat You(th) Together organisiert seit ihrer Gründung 2016 Filmvorführungen, Diskussionsrunden, Flashmobs und Fotoausstellungen zum Thema. Boukelmoun hält es für wichtig, dass Jugendliche sich gegenseitig informieren, sich untereinander helfen. Auch, um Opfern zu zeigen, dass sie weder alleine sind noch in einer aussichtslosen Situation feststecken. „Lasst uns diesen Situationen nicht machtlos gegenüberstehen“, wiederholt sie die Überzeugung der Jugendgruppe bei der Pressekonferenz. Sie spielt damit nicht nur auf den Missbrauch privater, sexueller Inhalte an, sondern auch auf Fälle von „sextorsion“. Fabienne Becker, Projektleitern bei Ecpat, bestätigt, dass auch dies immer mehr zum Thema wird.

Illegalität

„Bei der Arbeit mit Jugendlichen stellen wir immer wieder fest, dass sextorsion ein wichtiges Thema für sie ist. Es ist schwer für sie, damit umzugehen“, sagte Becker bei der Buchvorstellung. „Sexting beginnt gegen Ende der Grundschule, sobald die Kinder ein Smartphone besitzen.“ Die Bilder würden oft nicht nur innerhalb der Schulgemeinschaft zirkulieren, sondern auch auf pädopornographischen Netzwerken landen. Oft seien die dortigen Inhalte ursprünglich von Minderjährigen selbst produziert worden. Sind die Bilder so explizit, dass sie die gesetzlichen Kriterien für Pornographie erfüllen, fällt die Weiterleitung der Fotos unter den Strafbestand der Verbreitung von Jugendpornographie, beziehungsweise von Kinderpornographie (wenn das Material jemand unter 18 Jahre zeigt). Auch dann, wenn es die Jugendlichen selbst sind, die die Bilder untereinander verschicken.

Verlässliche Zahlen über Sexting in Luxemburg gibt es, so Becker, nicht. Warum? Die Opfer würden die Fälle oft nicht melden. Die Polizei habe Ecpat gegenüber aber bestätigt, dass die Zahl der unerlaubten Weitergabe explizit sexueller Inhalte unter Jugendlichen steige. „Mobbing ist in der Grundschule oft mit sexuellen Inhalten verbunden“, bejaht auch Françoise Fandel, Vorsitzende der Schulmedizin der Stadt Luxemburg. „Die Kinder und Jugendlichen müssen sensibilisiert werden. Dieser Comic ist ein wertvoller Begleiter für alle, die in den betreffenden Berufsfeldern arbeiten. Er bietet eine gute Diskussionsgrundlage.“ Einen Unterschied zwischen den Geschlechtern streitet in der Runde niemand ab: Das Problem betreffe mehr Mädchen als Jungs. Die Folgen seien aber für beide Geschlechter ähnlich dramatisch.

Andy Genen nannte den Ecpat-Comic einen seiner anspruchsvollsten Aufträge. Er habe lange über das passende Maskottchen – die Superheldin Ella – nachgedacht und sich mit vielen Akteur*innen aus dem Bildungswesen ausgetauscht, um die eigenen Vorstellungen der realen Situation anzupassen und ein neutrales Setting zu gestalten. Auch sei es schwer gewesen die wichtigen Informationen kompakt in den Comic-Bläschen zusammenzufassen.

Der Comic ist derzeit nur auf französisch erhältlich und kann bei Ecpat bestellt werden. Die finale Version, die vor den Weihnachtsferien erscheint, enthält sowohl den französischen als auch den deutschen Text.

Aktionstage

Das Buch wurde im Rahmen der Aktionstage gegen die sexuelle Ausbeutung von Kindern veröffentlicht. Heute Abend, dem 19. November, wird in dem Kontext der Film „Les chatouilles“ im Ciné Utopia gezeigt (18:30 Uhr), gefolgt von einer Diskussionsrunde. Am Donnerstag, dem 21. November, lädt Ecpat zum themenbezogenen „Pub Quiz“ ins Escher Café „Ratelach“ ein (19:30 Uhr). Die Aktionstage enden mit einem Rundtischgespräch im Auditorium des „Cercle Cité“ (18:00 Uhr) über „Volontourism“: eine Kombination aus Reisen und kurzen Volontariaten. Ecpat will Interessent*innen Alternativen hierzu aufzeigen, nämlich langfristige Volontariate in vertrauenswürdigen Organisationen. Bei der Wahl der Institutionen, die Volontariate vergeben, sei generell Vorsicht geboten. Weltweit gebe es Waisenheime, die Kinder absichtlich von ihrer Familie trennen würden, um Volontär*innen als billige Arbeitskräfte anzulocken und finanzielle Hilfsmittel zu erhalten. Es ist ein Thema, das eine andere Form von Kindesmissbrauch darstellt. Weitere Informationen zu den Veranstaltungen gibt es hier.

Die NGO Ecpat setzt sich weltweit für den Kampf gegen die sexuelle Ausbeutung von Minderjährigen ein. In Luxemburg thematisiert sie vor allem Sextourismus und sensibilisiert Jugendliche.


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