Auf eine Gassirunde durch die Wahlprogramme: Welcher Tierschutz erwartet Luxemburg nach dem 8. Oktober?

Rehkitze sollen besser geschützt werden, aber was ist mit den anderen Tieren? (Copyright: Charlie Cronenwett/Pexels)
Die Tierheime platzen aus allen Nähten, Tierschützer*innen klagen über die hohen Kosten, die sie jährlich für die per Gesetz obligatorische Kastration und Sterilisation abgegebener oder streunender Katzen zahlen müssen: Im Tierschutz liegt einiges im Argen, trotz des 2018 reformierten Tierschutzgesetzes. Mehrere Organisationen, darunter die „Lëtzebuerger Déiereschutzliga“ (LNPA) und der „Schëfflenger Déiereschutzveräin“ (Apas), luden 2022 deshalb zur Konferenz. Wenig später trafen sie sich mit dem noch amtierenden Landwirtschaftsminister Claude Haagen (LSAP) und der Administration des services vétérinaires auf ein Gespräch über die akutesten Probleme. Beide Seiten bezeichneten den Austausch als konstruktiv. Das Landwirtschaftsministerium versprach, Infokampagnen über die Kastration und Sterilisation bei Katzen sowie über das Tierschutzgesetz zu unterstützen; auch über einen geeigneten Ort für ein Tierheim im Norden Luxemburgs wollte man nachdenken. Und wie schlägt sich dies in den Wahlprogrammen nieder? Zu wenig, wie ein Blick in die einzelnen Dokumente offenbart.
Bei Fokus, der KPL, Liberté – Fräiheet und Volt gibt es kaum nennenswerte Forderungen zum Tierschutz. Immerhin bleibt die LSAP den Versprechen von Claude Haagen treu: Im Wahlprogramm ist sowohl die Rede von der finanziellen Unterstützung von Tierheimen und Pflegestationen als auch von der Ausweitung der Tierauffangstrukturen mit finanzieller Beteiligung des Staates. Die Idee einer Infokampagne zur Kastration und Sterilisation streunender Katzen taucht ebenfalls im Programm der LSAP auf, ergänzt durch die Zusicherung von Subventionen. Wie hoch diese sein sollen und wer sie erhält, das präzisiert die Partei nicht. Welche Kosten anfallen, belegen Zahlen aus den Vorjahren: 2021 gab beispielsweise die Apas 35.000 Euro für die Kastration und Sterilisation von Hunden und Katzen aus, hinzu kamen 45.000 Euro für allgemeine medizinische Behandlungskosten von 579 Tieren – der Staat übernahm 30.000 Euro der Gesamtkosten.
Neben der LSAP sind es nur die Grünen, die auf diesen konkreten Hilferuf der Tierschützer*- innen reagieren. Ähnlich wie die Sozialist*innen, wollen sie den Tier- heimbetreiber*innen stärker unter die Arme greifen, die Auffangstationen vergrößern und neue Strukturen eröffnen. Über die Kastration und Sterilisation von Katzen schreiben die Grünen nichts, dafür treten sie für eine Kampagne zum Thema „Adoption statt Kauf“ ein. Ob sie den Fokus dabei auf lokale Tierheime setzen, betonen die Grünen nicht.
Um das Wohl der Tiere zu schützen, ist aber auch die Einhaltung des Tierschutzgesetzes vonnöten. Klagten Tierschutzorganisationen 2022 über mangelnde Kontrollen durch die zuständige Administration des services vétérinaires, war sich das betreuende Landwirtschaftsministerium auf Nachfrage der woxx keiner Schuld bewusst. Kontrollen, die das Tierwohl zum Gegenstand hätten, würden prioritär abgearbeitet. Zu Verzögerungen sei es noch nie gekommen. Aus der Antwort auf eine parlamentarische Anfrage von Jeff Engelen (ADR) an das Landwirtschafts- und das Justizministerium ging im April 2023 allerdings hervor: Zu dem Zeitpunkt führten landesweit täglich sechs Inspektor*innen Kontrollen durch, davon kümmerte sich nur eine Person in Vollzeit um den Tierschutz. Im Laufe des Jahres soll in dem Bereich eine weitere Stelle geschaffen worden sein. Verstärkung war also doch nötig. Im Zuge der Parlamentswahlen beschäftigt der Personalschüssel der Administration allerdings nur Déi Gréng, die eine Aufstockung fordern.
Mehr Personal braucht es derweil auch in der Tiermedizin, darüber berichtete zuletzt RTL im August. Der Beitrag erschien, nachdem eine Tierärztin der „Clinique Bereldange“ in der Praxis körperlich angegriffen worden war. Zwar soll dies eine Seltenheit sein, verbale Attacken kämen jedoch öfter vor. Die Tierhalter*innen seien zunehmend gestresst und gereizt; die Kapazitäten der Praxen wegen Personalmangel begrenzt. Nach Informationen von RTL steht in Luxemburg derzeit knapp ein*e Veterinär*in pro 1.000 Tiere zur Verfügung. Einzig die ADR will diesem Problem entgegenwirken, jedoch nicht ohne ihre nationalistische Haltung hervorzubringen: Für die ADR ist die Lösung die Gründung einer veterinärmedizinischen Fakultät in Luxemburg, „fir eis Veterinären hei am Land auszebilden“. Dabei scheint das Auslandsstudium kein Grund für den Personalmangel zu sein. Dieser ist vielmehr auf die körperlich harte und zeitintensive Arbeit zurückzuführen.
Arbeiten sich die wenigsten Parteien an strukturellen Problemen ab, sind sich bei öffentlichkeitswirksamen Themen fast alle einig: Die meisten Parteien wollen Tierversuche limitieren und durch Alternativen ersetzen (ADR, Déi Gréng, Déi Lénk, DP, CSV, LSAP, Piratepartei), sind gegen lange Lebendtiertransporte (ADR, Déi Gréng, DP, Piratepartei, LSAP) und gegen den Pelzverkauf oder Zuchtfarmen (ADR, Déi Gréng, DP, Piratepartei, LSAP). Alles Themen, die seit Jahren auf nationaler und europäischer Ebene diskutiert, aber nicht konsequent im Sinne der Tiere durchgezogen werden. Die woxx berichtete erst kürzlich über die einzelnen Sujets, wie etwa die systematische Missachtung der Bestimmungen zu Lebendtiertransporten in der EU oder die Schlupflöcher in Bezug auf das Verbot von Tierversuchen für kosmetische Inhaltsstoffe.
Mit anderen Forderungen heben sich einzelne Parteien hingegen hervor. So setzt sich die ADR für Tierbestattungen in Luxemburg und die Kostenrückerstattung von Tierarztkosten für Assistenzhunde ein; die für ihre Tierschutzpolitik bekannte Piratepartei will die Hundesteuer abschaffen und der Diskriminierung von Haustierbesitzer*innen bei der Wohnungssuche entgegenwirken. Wie, das erklärt die Partei nicht. Sie betont lediglich, dass die Tierhaltung kein Ausschlusskriterium für einen Mietvertrag sein darf. Darüber hinaus verlangen die Piratepartei wie auch die DP ein Ombudsstelle für Tiere. Die Piratepartei will, dass diese Stelle nationale Empfehlungen ausarbeitet und als Kontrollinstanz funktioniert; die DP stellt sich darunter eher eine Meldestelle für Verstöße gegen das Tierschutzgesetz vor.
Tierschutz hört für viele Parteien dort auf, wo gesellschaftliche Gewohnheiten anfangen.
Die ADR sowie auch die Demokrat*innen möchten Rehkitze stärker schützen, indem sie Projekte wie „Sauvons Bambi“ ausbauen wollen. Bei dem Pilotprojekt ermittelt eine Drohne mit Wärmebildkamera vor dem Mähen der Felder, ob sich Rehkitze im hohen Gras befinden, die durch die Maschinen verletzt werden könnten. Die ADR möchte diesen Vorgang zur Pflicht machen. Zuständig sollen die Jagdpächter*innen oder die Naturverwaltung sein, die der Staat dafür bezuschussen und mit dem nötigen Material ausstatten soll.
Tierschutz hört für viele Parteien jedoch dort auf, wo gesellschaftliche Gewohnheiten anfangen. Rehkitze werden vor dem Mähdrescher gerettet – die Schlachtung und die Haltung von sogenannten Nutztieren hingegen weiter geduldet, solange die Umstände mit dem eigenen Gewissen vereinbar sind. Wenigstens Déi Lénk, die sonst wenig zum Tierschutz sagen, wollen eine weniger intensive Milchwirtschaft zum Schutz der Tiere. Und Déi Gréng spricht sich als einzige Partei explizit für die Förderung einer vegetarischen und veganen Ernährung aus – als „Mittel gegen Ressourcenausbeutung, Klimawandel und Zivilisationskrankheiten“. In dem Sinne wollen sie beispielsweise die Mehrwertsteuer auf vegetarische und vegane Produkte prüfen. Radikale Tierrechtsaktivist*innen hoffen jedoch vergeblich auf ein Ende der Tierausbeutung und müssen sich stattdessen mit Schadensbegrenzung zufriedengeben.
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