Wachstumsdebatte in Luxemburg: Weniger mit mehr

Wahlkampf mit Zukunfts- und Wachstumsdebatte? Die zahlreichen Positionierungen aus Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft sprechen dafür.

Happy-End trotz GDP-Wachstum im von Randers vorgestellten globalen „Giant Leap“-Szenario.


„Solange das Luxemburger Modell auf dem Wachstumszwang basiert, wird es nicht möglich sein, ein zukunftsfähiges Luxemburg aufzubauen.“ Das schrieb der Mouvement écologique im Oktober vergangenen Jahres, als Reaktion auf die Rede zur Lage der Nation, die genau diese Fragestellung „ausgeklammert“ habe. Zu jenem Zeitpunkt wurde die Wachstums-
kritik vor allem im rechten Teil des parteipolitischen Spektrums thematisiert, mit konservativen und fremdenfeindlichen Akzenten. Die CSV dürfte sich nach der Nominierung des wirtschaftsnahen Spitzenkandidaten Luc Frieden hier künftig eher zurückhalten – trotzdem wird das Thema Wachstum im Wahlkampf wohl nicht „ausgeklammert“ werden, trotz der entmutigenden jüngsten Entwicklungen – oder vielleicht gerade deswegen.

Einerseits haben Ukrainekrieg und weltweite Spannungen die internationalen Klimaschutzbemühungen erst einmal zurückgeworfen, andererseits dämmert in Luxemburg die Erkenntnis, dass zehn Jahre Déi Gréng als Juniorpartnerin in der Regierung nur eine Kursänderung, nicht aber eine Wende bewirkt haben. Das ermutigt dazu, die Globalisierung und den Kapitalismus, aber auch das Luxemburger Wachstumsmodell, grundsätzlich in Frage zu stellen. Nicht nur Umweltfreund*innen, auch Wirtschaftslobbyist*innen machen sich Sorgen. Ein „Weiter wie bisher“ gefährde die Akzeptanz des Wachstums an sich, so der wirtschaftsnahe Thinktank Fondation Idea in einer Anfang März vorgestellten Studie. Wirtschaftsminister Franz Fayot (LSAP) hat das Projekt ECO2050 vorangetrieben, in dem Wachstumsszenarien in eher düsteren Farben gemalt werden. Der Mouvement écologique versucht seinerseits, die Wachstums- und Zukunftsdebatte voranzutreiben, unter anderem durch Diskussionsabende mit internationalen Expert*innen.

Fußabdruck und Reichtum

„Ich kämpfe seit 50 Jahren dafür, den ökologischen Fußabdruck zu reduzieren, also die Tonnage der verbrauchten Ressourcen und des emittierten CO2. Das ist es, was die Erde zugrunde richtet“, so Jørgen Randers bei der Méco-Konferenz am 20. Februar. Er beantwortete eine Publikumsfrage nach der Wachstumsfalle in Ländern mit hohem GDP (gross domestic product, Bruttoinlandsprodukt) wie Luxemburg. „Wenn in unseren stinkreichen Gesellschaften das BIP steigt, dann durch Kauf und Verkauf von Dienstleistungen – das hat fast keine Auswirkung auf den Fußabdruck“, versicherte der norwegische Wissenschaftler und schloss: „Wer Fußabdruck und GDP verwechselt, sollte genauer hinsehen, was das GDP in sehr reichen Gesellschaften ausmacht und verstehen, dass es um den Fußabdruck geht, und nicht um das GDP.“

Szenarien mit und ohne

Randers sieht in der Wachstumskritik eine Ideologie des Verzichts, die Ursache und Wirkung verwechselt. Das mag eine Übertreibung sein, doch sie erinnert daran, wo die Wachstumsdebatte herkommt. Die Kritik am Wachstum ist eigentlich eine Kritik an den Argumenten der Gegner*innen der ökologischen Transition. Geht es um die Machbarkeit von nachhaltiger Politik, dann wird häufig behauptet, diese gefährde das BIP-Wachstum. Für nachhaltige Politik eintreten, obwohl sie zu einem Schrumpfen führt oder führen könnte, ist wichtig – es ist aber nicht das gleiche, wie offensiv für „Degrowth“ einzutreten. Allerdings hinterließ Randers’ undifferenzierte „Klima über alles“-Rhetorik einen schalen Beigeschmack und könnte verstanden werden als Zurückstufung von Aspekten wie Biodiversität und Menschenrechte. Dabei hat der Experte sich bei seinem Luxemburg Besuch aber auch für die in der Umweltbewegung nicht immer selbstverständlichen Prinzipien der internationalen Zusammenarbeit und der sozialen Umverteilung starkgemacht.

Die Fondation Idea will, anders als die vom Méco eingeladenen Referent*innen, nicht Welt und ihr Klima, sondern Luxemburg und seinen Wohlstand retten. Die Probleme beim Erhalt von Natur und Lebensqualität in den vergangenen Jahrzehnten sind nicht nur auf das rapide Wirtschafts- und Bevölkerungswachstum zurückzuführen, so die These des Thinktanks, sondern auch auf eine unangemessene Politik, insbesondere bei Infrastrukturen und Raumplanung. Das liege unter anderem an einer systematischen Unterschätzung der Wachstumstrends. Idea warnt davor, bei einer Zukunftsdiskussion für 2050 erneut den gleichen Fehler zu begehen – stattdessen solle man sich auf ein Szenario mit einem Wachstum „au fil de l’eau“ (seinem natürlichen Lauf folgend) basieren. Die Politik soll aber nicht weitermachen wie bisher, sondern in den Bereichen Landesplanung und regionale Zusammenarbeit alle Register ziehen.

Idea hat auch zwei alternative Szenarien in Betracht gezogen – interessant sind die Gründe, aus denen sie verworfen wurden. Das eine basiert auf einer höheren Produktivität, bei der das GDP gleich viel, die Beschäftigung und die Bevölkerung aber weniger schnell wachsen würden – häufig als „qualitatives Wachstum“ bezeichnet. Ein solches „idyllisches Szenario“ hält der Thinktank für unwahrscheinlich, weil hierfür der Anteil des Finanzsektors noch stärker wachsen müsste. Eine wirtschaftliche Diversifizierung in Richtung lokaler Produktion führe quasi automatisch zu einer niedrigeren mittleren Arbeitsproduktivität. Das andere Szenario entspricht der Vorstellung, die Politik könne das Wachstum progressiv abbremsen und so die Probleme entschärfen. Mit „nur“ 770.000 statt 1,1 Millionen Einwohner*innen im Jahr 2050 prognostiziert der Thinktank aber Probleme für den Staatshaushalt und das Rentensystem. Vor allem warnt er davor, dass eine solche Politik eine Lawine negativer Rückwirkungen hätte, die zu einer Beschleunigung der wirtschaftlichen Probleme führen könnten.

Transition, aber welche?

Konzentriert sich Idea auf Wirtschaft und Demografie, so will die ECO2050-Studie des Wirtschaftsministeriums das gesamte Spektrum der Nachhaltigkeit berücksichtigen. Die erstellten Szenarien ähneln sich, wobei der „techno-digitale Optimismus“ im Rahmen eines triumphierenden Neoliberalismus und internationaler politischer Krisen eigentlich als Albtraum gezeichnet wird. Im Gegenzug basiert das 770.000-Einwohner*innen-Szenario auf Regionalität und ökologischer Kreislaufwirtschaft („Circularité bio-régionale“), ein Abbremsen des Wachstums wird als realistisch dargestellt.

Pascale Junker, die Leiterin des ECO2050-Projekts, hatte im Mai 2022 bei einer Paperjam-Veranstaltung gegen die Tabuisierung der Degrowth (oft mit Postwachstum übersetzt) plädiert. Dabei handle es sich nicht um eine Rezession oder einen Kollaps, sondern um eine „geplante Senkung des Energie- und Ressourcenverbrauchs“. Ziel sei, so Junker, das Gleichgewicht zwischen Wirtschaft und Natur wiederherzustellen und dabei die Ungleichheiten zu reduzieren und die Lebensqualität zu verbessern. Interessanterweise argumentierte sie weniger mit der Machbarkeit einer solchen Degrowth als mit ihrer Notwendigkeit: Klimawandel und Ressourcenverteuerung würden das auf wachstumsbasierte Entwicklungsmodell des 20. Jahrhunderts untergraben – deshalb stehe jetzt ein Übergang in eine resiliente Postwachstums-Ökonomie an.

Nochmal andere Akzente setzte der österreichische Experte Ulrich Brand, den der Méco am 31. Januar eingeladen hatte. Im Zentrum seiner Kritik stand nicht das Wachstum als ökonomisches Phänomen, sondern die Abhängigkeit des kapitalistischen Systems vom stetigen Wachstum des GDP. Gerade deswegen hält er den „grünen Kapitalismus“ für einen Irrweg: Er bricht nicht mit dem Prinzip, auf Kosten der Natur und anderer, insbesondere auf Kosten des globalen Südens den „Wohlstand“ abzusichern. Es geht für Brand aber nicht einfach um ein Ja oder Nein zu Wachstum, sondern darum, „gesellschaftliche Tendenzen und Entwicklungen zu fördern, um die Wachstumsabhängigkeit kleiner werden zu lassen“. Im vorherrschenden kapitalistischen System bedeute das einen Konflikt mit den Wachstumsinteressen, also den Profit-
interessen. Der Ansatz des österreichischen Experten ist bisher in der Luxemburger Debatte wenig präsent – Stoff für eine weitere wissenschaftliche Studie?


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