An den Zersetzungserscheinungen der LSAP lässt sich gut ablesen, dass es nie ein progressives Regierungsprojekt gegeben hat.
Es sieht ganz danach aus, dass eine Neuauflage der rot-blau-grünen Koalition nach den Wahlen im Oktober rechnerisch nicht mehr möglich ist. Die Umfragewerte des Politmonitors, den RTL und das Luxemburger Wort in Auftrag gegeben haben, sind eindeutig; vor allem die LSAP wird bei den kommenden Wahlen Federn lassen. Natürlich können Wahlumfragen nur einen Hinweis darauf geben, wohin die Reise gehen könnte. Der luxemburgische Nationalsport des Panaschierens wird nicht berücksichtigt, Piratenpartei und PID sind getrennt erfasst worden, die Schwankungsbreite ist besonders in den beiden kleinen Bezirken groß. Ein Trend lässt sich dennoch herauslesen: Die Sozialdemokratie wird mit großer Wahrscheinlichkeit geschwächt aus den Wahlen hervorgehen, und ihre Koalitionspartnerinnen werden die Verluste nicht auffangen können.
Es gebe kein gemeinsames Projekt der Regierungsparteien mehr, sagte Alex Bodry in einem „reporter.lu“-Interview. Die Aussage – der Titel des Artikels – schlug hohe Wellen, sogar Wirtschaftsminister Étienne Schneider fühlte sich bemüßigt, zurückzurudern und zu bekräftigen, die LSAP wolle die Dreierkoalition fortführen. Es wirkt so, als arbeite man bei den Sozialdemokrat*innen weiterhin nicht nur am Wahlprogramm, sondern auch an der Strategie. Bodry mag mit seiner Antwort zu ehrlich gewesen sein (vermutlich auch, weil er sie einem Onlinemedium gab), aber er hatte Unrecht: Ein wirkliches rot-blau-grünes Projekt hat es nie gegeben.
Ein wirkliches rot-blau-grünes Projekt hat es nie gegeben.
Was es dagegen in den letzten Jahrzehnten stets gegeben hat, ist eine Kultur des Konsens, ganz besonders im Parlament. Untersucht man das Abstimmungsverhalten der letzten und der aktuellen Legislaturperiode, so schält sich eine Tatsache heraus: Die vier großen Parteien CSV, LSAP, DP und die Grünen sind meist einer Meinung. Das „Projekt“ der Koalition war 2013 vor allem der Widerwille der Beteiligten mit der CSV zu koalieren; viel weniger als jenes des Neuanfangs und der progressiven Politik.
Natürlich muss man der Dreierkoalition zugutehalten, dass sie einige gesellschaftspolitische Reformen angestoßen oder zu Ende gebracht hat, allem voran die Trennung von Kirche und Staat. Eine tatsächliche Aufbruchstimmung ist jedoch nie zu spüren gewesen. Viele Elemente progressiver Politik waren einfach nicht vorhanden, weil die politischen Schnittmengen – oder auch der Mut, gegen innerkoalitionäre Widerstände anzugehen – zu gering gewesen sind. Mehr öffentlicher Wohnungsbau und mehr Verantwortung für Immobilienbesitzer*innen wären wohl an der DP gescheitert, die Legalisierung weicher Drogen wie Cannabis hat, wie man aus der politischen Gerüchteküche hört, die LSAP verhindert, und mehr Rechte für trans und intergeschlechtliche Personen haben einfach niemanden interessiert. Immerhin für eine von diesen Ideen gibt es Zustimmung in der Bevölkerung, wie eine rezente Petition zeigt.
Auch die Projekte, die realisiert wurden, wirken oftmals so, als seien sie den Köpfen einzelner Minister*innen entsprungen und nicht der gemeinschaftlichen Anstrengung der Regierung – Spacemining, Assises culturelles, Modu 2.0, usw. Der Rifkin-Prozess, dessen Resultate weiter auslegbar sind als mancher religöse Text, ist vielleicht noch das bestimmendste Element der Dreierkoalition. Dass diese nicht weit von der CSV entfernt ist, sieht man auch daran, dass sie sich von rechten Kräften sowohl das Burkaverbot als auch den Aktionsplan zur luxemburgischen Sprache hat aufoktroyieren lassen.
In Luxemburg werden traditionell keine Koalitionsaussagen gemacht, obwohl die Wähler*innen sich – laut Umfrageergebnissen – solche wünschen. Das verwundert, denn im Endeffekt ist es ziemlich egal, welche der vier großen Parteien miteinander koalieren: das Programm wird in jedem Fall zu 80 Prozent das gleiche sein. Die Ursache der großen Probleme Luxemburgs, wie der Wohnungsnot, der sozialen Ungleichheiten, der ökologischen und der Klimakatastrophe – den entfesselten Kapitalismus nämlich – wollen sie sowieso nicht angehen.