AIDS: Unwissen tötet

Die HIV-Infektionsrate in Luxemburg steigt weiter, meldet das nationale Komitee, das die Entwicklung der Krankheit überwacht. Wer überwacht die Regierung?

Es gibt Fortschritte in der Anti-Aidspolitik. War beispielsweise noch der vorige Aidsbericht nur auf persönliche Nachfrage bei der Gesundheitsdirektion zu bekommen, ist der soeben erschienene Band nach einigen Mausklicks auf der Regierungsseite zu finden.

Ansonsten scheint es mit dem Fortschritt nur langsam voran zu gehen. Im Dezember 2004 hatte der Gesundheitsminister Kondomapparate für alle Oberschulen angekündigt. Anderthalb Jahre dauerte es bis zur Umsetzung der konkreten Maßnahme. Etwa genauso viel Zeit brauchte die Ausarbeitung des Aktionsplans, den Mars di Bartolomeo damals ebenfalls in Aussicht gestellt hatte. Er soll demnächst vorgestellt werden.

Zu hoffen ist, dass dieser Plan auf detaillierterem Zahlenmaterial aufbaut als der neue Jahresbericht des „Comité de surveillance du sida“. Wir erfahren darin vor allem, dass die absolute Zahl an jährlichen Neuinfektionen beängstigend steigt, dass Frauen immer stärker betroffen sind und dass die heterosexuellen Kontakte der Hauptansteckungsfaktor sind. Die meisten Ansteckungen gab es in der Altersklasse der 20-35- jährigen.

Präzisere Angaben fehlen jedoch. Man muss schon internationale Berichte wie jene des „European Centre for the Epidemiological Monitoring of Aids“ (EuroHIV) bemühen, um herauszufinden, dass die Entwicklung nicht einfach auf das Bevölkerungswachstum zurückzuführen ist, sondern dass auch in relativen Zahlen der Anteil HIV-Infizierter in der Bevölkerung steigt. Und dass Luxemburgs Neuinfektionsrate 2004 nach Estland, Lettland und Portugal die vierthöchste in der Union war. Im reichen Luxemburg ist der Input in die Zusammenstellung und Veröffentlichung von Basisdaten zur Entwicklung der gefährlichen Krankheit fast schon schäbig.

Nur auf klarem Datenmaterial lässt sich aber eine Aktionsstrategie aufbauen. Aus dem Aktivitätsbericht des Komitees wird zum Beispiel ersichtlich, dass der weitaus überwiegende Teil der Informationskampagnen sich an die Schulen wendet. Die Zahlen deuten jedoch darauf hin, dass auch andere Zielgruppen anzusprechen sind, wie etwa Jugendliche, die schon früh die Schulbank verlassen haben. Besonders die immigrierte Bevölkerung ist von HIV-Infektionen betroffen. Da ist ein Infotelefon in portugiesischer Sprache während drei Stunden pro Woche wohl kaum ausreichend. Massivere Informationskampagnen bei ImmigrantInnen und Flüchtlingen tun Not.

Solche Forderungen stellt das „Comité de surveillance du Sida“ eher zaghaft. Kein Wunder: Anders als der Name es denken lassen könnte, ist das Gremium nicht besonders unabhängig, sondern funktioniert unter der Kontrolle des Gesundheitsministeriums. Und das Ministerium scheint zumindest bislang kaum Mittel zur Verfügung gestellt zu haben, um ernsthaftere Studien zur Überwachung der Situation in Luxemburg durchzuführen. Ob sich etwa die HIV-Opfer in Luxemburg anstecken oder schon mit der Infizierung ins Land einreisen, macht einen Riesenunterschied, wenn es um das Ausarbeiten von Konzepten zur Prävention und zum Umgang mit der Pandemie geht. Welche spezifischen Herangehensweisen beispielsweise in der portugiesischen Gemeinschaft angebracht sind, um über den Virus und die Prävention aufzuklären, das kann nur eine gezielte Untersuchung an den Tag bringen. Die Tatsache, dass HIV-Infektionen bei Frauen zunehmen, müsste ebenfalls genauer auf ihre Ursachen hin untersucht werden.

Länder wie Kanada oder die Schweiz haben ihre Anti-Aidsprogramme von UNAids, der Aidsbekämpfungsstruktur der Vereinten Nationen, auswerten lassen. Eine Übung, die in Luxemburg – in Ermangelung einer unabhängigen Überwachungsstelle – dringend angebracht wäre.


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