ASYLPOLITIK: Menschenrechte – Made in Europe

Laut Gerichtsbeschluss gehört die kurdische Journalistin Zübeyde Ersöz weiterhin hinter Gitter. Ein türkischer Haftbefehl steht also über dem Recht auf Asyl.

Um in der Asylpolitik hart durchzugreifen, muss man nicht Luc Frieden heißen und dem konservativen Lager angehören. Der weithin als „gemäßigter“ geltende LSAP-Mann Jean Asselborn erweist sich zunehmend als würdiger Nachfolger Friedens auf dem Stuhl des Immigrationsministers. Sei es das geplante Centre de Rétention, in dem Flüchtlinge künftig bis zu 12 Monaten eingesperrt werden können, oder die Abschaffung eines Rekursrechtes im Asylverfahren. Jean Asselborn macht nicht nur mit, er erweist sich auch als engagierter Verfechter dieses neuen Asylrechtes.

Aber auch im Alltagsgeschäft der Asylprozeduren erweist sich der Immigrationsminister alles andere als zimperlich. Keine 24 Stunden brauchte er, um den Antrag der kurdischen Journalistin Zübeyde Ersöz auf politisches Asyl abzulehnen (siehe woxx Nr. 842). Der Grund: Die Kurdin wird wegen krimineller Aktivitäten in einer terroristischen Vereinigung in der Türkei gesucht. Und weil das so ist, wurde sie auf der Stelle im Luxemburger Strafvollzug weggesperrt. Unter besonders strengen Sicherheitsvorkehrungen sitzt sie seitdem in Schrassig in Isolationshaft.

Doch nicht nur für den Außenminister, auch für Luxemburger Gerichte scheinen die Aussagen türkischer Behörden mehr zu gelten als eigene Recherchen. Am Mittwoch lehnte die Chambre du conseil du tribunal d’arrondissment einen Antrag von Zübeyde Ersöz auf vorläufige Freisetzung ab. Dies, obwohl dem Gericht die notwendigen Kautionen und Garantieren angeboten wurden. Laut Ersöz‘ Rechtsanwalt zweifelt die Chambre du conseil an der Glaubwürdigkeit der Journalistin und verwies unter anderem darauf, die Gesuchte würde von den türkischen Behörden als „gewalttätig“ eingestuft.

Die Referenz auf solche Aktennotizen lässt allerdings berechtigte Zweifel an der Glaubwürdigkeit Luxemburger Gerichte aufkommen. Dafür, dass türkische Instanzen weit davon entfernt sind, gegenüber von KurdInnen „unvoreingenommene“ Einschätzungen auszusprechen, gibt es ausreichend Beweise. Doch damit nicht genug. Die Chambre de Conseil weist zudem darauf hin, dass die Strafe, die Ersöz in der Türkei erwarte sehr hoch sei, damit steige aber auch die Fluchtgefahr. Kein Wort wird hingegen darüber verloren, dass in der Türkei Folter und Misshandlungen ebenso wenig abgeschafft sind wie zweifelhafte Gerichtsurteile. Stattdessen verschanzt sich die Luxemburger Behörde hinter der Aussage, sie sei nicht befugt, den „fond de l’affaire criminelle“ zu untersuchen.

Die türkische Anklage wird hier also ebenso wenig hinterfragt wie bei der Bearbeitung des Asylantrags im Immigrationsministerium. Laut Genfer Konvention darf eine Asylbewerberin nicht ausgeliefert werden. Dank des im Eilverfahren abgelehnten Antrags gilt Zübeyde Ersöz jedoch bislang gar nicht als Asylbewerberin sondern als potentielle Terroristin. Was hinter der Anklage steckt, ist in Luxemburg bislang nicht nur bei den Behörden auf wenig Interesse gestoßen. Dies obwohl die türkische Anklageschrift laut mehrerer Beweismittel, die der Verteidiger den Luxemburger Instanzen keineswegs vorenthielt, mehr als zweifelhaft ist. Welche Chance hat also ein Flüchtling wie Zübeyde Ersöz? Auf welches Recht kann sich die Kurdin berufen, der nun die Abschiebung in die Türkei droht?

Erst vor wenigen Tagen wurden bei Auseinandersetzungen zwischen KurdInnen und türkischen Sicherheitskräften in Diyarbakir drei Menschen getötet, 250 wurden verletzt. Der Menschenrechtsverein IHD meldet allein für vergangenes Jahr über 800 Fälle von Folter und Misshandlungen in türkischen Gefängnissen. Das alles tut jedoch im Fall Ersöz rein formal nichts zur Sache.

Wenn es um die Aufnahme in die EU geht, wird auch von Außenminister Asselborn gerne betont, die Türkei „sei noch nicht so weit“. Dass umgekehrt türkische Haftbefehle über dem Recht auf Asyl stehen, zeigt, welche Doppelmoral die Politik der Luxemburger Regierung und auch die der Europäischen Union leitet. Menschenrechte sind nicht überall gleich – und der erhobene Zeigefinger gegenüber dem zweifelhaften EU-Kandidaten Türkei richtet sich schnell gegen diejenigen, die unter den zuvor vollmundig angeprangerten Menschenrechtsverletzungen leiden.


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