WAHLEN IN DEUTSCHLAND: Haltungsnoten statt Tor

Die Play-offs im Bundestagswahlkampf haben begonnen. Das Sommertheater aus Bonusmeilen und Hunzinger-Millionen gehört der Vergangenheit an. Doch der erste große Fernseh-Showdown mit Bundeskanzler Gerhard Schröder und Herausforderer Edmund Stoiber enttäuschte nicht nur, sondern langweilte.

Ein Duell sollte es sein, ein Frage-Antwortspiel ist es geworden. Vor allem der Medienkanzler hatte darauf gesetzt, seine Stärke im spontanen Schlagabtausch auszuspielen. Doch davon war keine Spur. Wie bei einem bedeutungsschwangeren Fußballfinale bestimmte vor allem die Taktik das Spiel. Den Rest tat das strenge Reglement, dem beide Kontrahenten zugestimmt hatten und das von ihren Wahlkampfmanagern ausgearbeitet worden war: Es erstickte jegliche Spontaneität im Keim. Eine richtige Diskussion kam beim TV-Duell zwischen Gerhard Schröder und Edmund Stoiber nicht zustande, die beiden Moderatoren intervenierten bei jedem Überschreiten des Zeitkontos, was zu einem nervtötenden Running Gag verkam. Man stelle sich vor: Der Schiedsrichter würde jedes Dribbling abpfeifen, wenn der Stürmer zu lange am Ball war.

Wer geglaubt hatte, es sei ein Leichtes für Schröder, sich im direkten Vergleich in Szene zu setzen und die besserwisserischen Attacken von Stoiber in souveräner Manier abzuschmettern, hatte sich gewaltig getäuscht. Der sonst so coole Kanzler zog sich in die Defensive zurück und kehrte den Staatsmann heraus, ohne auch nur ansatzweise zu brillieren. Derweil tat Stoiber, was er konnte, vermied seine legendären „Ähs“ und versuchte, seine rhetorische Unzulänglichkeit mit einem penetranten, antrainierten Lächeln zu verbergen. Gesichtsstarre statt Pokerface!

Dabei hat der bisher recht dröge Wahlkampf zuletzt mit der Frage um die Finanzierung des Wiederaufbaus nach der großen Flut ein neues Thema und damit an Dramatik gewonnen. Titelverteidiger Schröder ist nach einer langen Niederlagenserie wieder in Fahrt gekommen. Bei der Flutkatastrophe hatte er in Gummistiefeln „leadership“ bewiesen und das Image als Krisenmanager gepflegt, was ihm steigende Umfragewerte einbrachte.

Während der Kanzler am Sonntag versuchte, die vier Jahre rot-grüner Regierungspolitik als Erfolgsmodell zu verkaufen, hackte Stoiber genüsslich auf der Achillesferse der Bundesregierung herum: Vier Millionen Arbeitslose statt der von Schröder bei seinem Amtsantritt versprochenen Reduzierung auf 3,5 Millionen. Zudem verschont die Steuerreform die großen Konzerne und belastet den Mittelstand – für Stoiber ein gefundenes Fressen. Schröders Zweifel am Sinn einer militärischen Intervention im Irak und sein Nein zu einer deutschen Beteiligung an einem Militärschlag war derweil für den Unionspolitiker ein Appetithappen.

Dass der Genosse der Bosse aus Sicht der Zuschauer rechts stand und Stoiber links, besaß Symbolcharakter, war doch zuletzt immer wieder hervorgekehrt worden, wie gering die Unterschiede zwischen den politischen Positionen von Schröder und Stoiber seien. In den Reaktionen auf die „Show“ ging es auch gar nicht mehr so sehr um politische Inhalte, sondern eher darum, wie sich die beiden aus der Affäre gezogen hatten. Mangels „Tore“ zählten vor allem die „Haltungsnoten“. Guido Westerwelle nannte es einen „Ähnlichkeitswettbewerb“. Letzterer hat jedoch nicht erst begonnen, seit „Stoiber light“ auf Wählerjagd in der vielzitierten politischen Mitte geht und sich volksnah als Kämpfer für die Interessen des „kleinen Mannes“ zeigt. Auch Schröders rot-grüne Regierung trägt dazu bei: Unter Innenminister Otto Schily, nicht zu verwechseln mit seinem bayerischen Kollegen Günther Beckstein, ist der Rechtsstaat nach dem 11. September 2001 weiter nach rechts gerückt (Recht und Ordnung erhielten Priorität vor bürgerlichen Individualrechten); zudem waren nie so viele deutsche Soldaten an internationalen Einsätzen beteiligt wie unter Rot-Grün.

Doch so dürftig die Ergebnisse der derzeitigen Bundesregierung auch ausfallen, Atomausstieg, Ökosteuer und Zuwanderungsgesetz wären unter Stoiber nie zustandegekommen. Der Bayer kann sich noch so oft als Mann der Mitte gerieren, keiner nimmt’s ihm ab. Das frühere „blonde Fallbeil“ von Franz-Josef Strauß bezeichnet das Zuwanderungsgesetz und die Ökosteuer als schwere Fehler, steht für Atomkraftwerke und mehr Abschiebungen. Und er möchte vor allem eines: die wenigen rot-grünen Errungenschaften aus den Gesetzbüchern tilgen und in den Papierkorb der Geschichte befördern. So ist zumindest eines klar: Wenn Schröder schon nicht links ist, dann steht Stoiber immerhin rechts.


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