ULRICH SEIDL: Im Bett mit Jesus

Im zweiten Teil seiner Film-Trilogie „Glaube. Liebe. Hoffnung“ zeigt Ulrich Seidl in starken Tableaus das Porträt einer fanatischen Katholikin, die ihr Leben ganz der Missionierung verschrieben hat.

Die Muttergottes liebt auch die Nackten …

Sicher wird man ihm Blasphemie vorwerfen. Denn gerade auf gläubige Katholiken muss „Paradies: Glaube“ wie eine Ohrfeige wirken. Ulrich Seidl selbst verarbeitet in dem zweiten Teil seiner Filmtrilogie offenbar ein Kindheitstrauma, kommt er doch selbst aus einer streng katholischen Familie und auch wenn die Religion nicht das bestimmende Element seiner Kindheit gewesen sein mag, so zeugt das kleinbürgerliche Arrangement in der Wohnung seiner Protagonistin Anna (Maria Hofstätter) von einem tiefen Knacks. Denn in ihrem Mikrokosmos, dem heilen Eigenheim, hat alles seinen Platz und ist sorgsam arrangiert – von der Heimorgel über die gestärkten Gardinen bis hin zur biederen Brotschneidemaschine.

Wie schon in dem Vorläufer „Paradies: Liebe“ verstört Seidl auch in „Paradies: Glaube“, indem er die Kameras gnadenlos draufhält und den Blick freilegt auf das intime Leben von Anna, die ihren Urlaub dazu nutzt, ihren Glauben gewaltsam in die Welt zu tragen. Der Zuschauer versinkt immer tiefer im Sessel und sieht einer großartig spielenden Maria Hofstätter beklemmt dabei zu, wie sie betet, sich vor einem Kreuz auspeitscht, wie sie auf den Knien durch ihre Wohnung rutscht und Rosenkränze betet, bis die Knie bluten und schließlich hinauszieht in die lasterhafte Welt, um die frohe Botschaft zu verkünden. Immer mit dabei: Die Wandermariamuttergottes, eine Marienstatue, mit der sie umherzieht, um Menschen in sozialen Wohnungsbauten zu bekehren.

Und unabhängig davon, ob sie nun auf dickbäuchige Messies, zugewanderte Familien oder osteuropäische alkoholisierte Prostituierte trifft – Anna gibt alles, um den Menschen hartnäckig zu vermitteln, dass sie von Jesus geliebt werden. Im Kreise ihrer Gebetsgruppe, der „Legio Herz Jesu“, der „Speerspitze des rechten Glaubens“ schwören sie gemeinsam, dass Österreich wieder katholisch wird. Wie schon beim Sextourismus in Kenia stützt sich Seidl auch hier auf fundierte Recherchen, hat die Missionierungen von Mitgliedern der „Legio Mariae“, einer katholischen Laienorganisation lange Zeit begleitet.

Auch „Paradies: Glaube“ lebt filmtechnisch von großartigen statischen Tableaus, die an die klassische Fotografie erinnern. Wenn Anna kniend vor dem Kruzifix betet, so erscheint der Ausschnitt, wie perfekt in einen Rahmen gesetzt. Die Außenaufnahmen sind hingegen mit einer wackligen Handkamera abgefilmt. Auf diese Weise transportiert Seidl überzeugend den Unterschied zwischen beiden Welten: Auf der einen Seite das statische Heim, eine hermetisch abgegrenzte (vermeintlich) heile Welt, auf der anderen Seite die sündige und bedrohliche Außenwelt, in der die Gefahren, ob in Gestalt öffentlicher Sexorgien oder Gewittern, an jeder Ecke lauern.

Dass mit Annas Exmann Nabil ein Feind in ihre Welt einzieht und durch die Rückkehr des muslimischen Macho zwei Kometen aufeinanderprallen, wäre gar nicht mehr nötig gewesen. So wirkt der Ehekrieg, der hier als Glaubenskrieg ausgetragen wird, etwas konstruiert.

Anna ist ihrerseits so überzeugt von ihrer Gottesliebe, dass Jesus in jedem Fall die einzige sexuelle Alternative darstellt. Und hierin liegt wahrscheinlich Seidls größter Tabubruch. Denn wer wagt es schon filmisch katholische Religion und Sexualität soweit auf die Spitze zu treiben, dass gezeigt wird, wie sich eine Frau mit einem Kruzifix befriedigt? So bleibt „sexuelle Frustration“ das bestimmende Leitmotiv der seidlschen Trilogie. Und mehr noch als diese eine Einsamkeit in der Welt, die sich scheinbar nur durch Glaube, Liebe oder Hoffnung lösen lässt.

Im Utopia.


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