Biolandwirtschaft: Wo Milch und Honig fließen

Mit dem Fall der europäischen Milchquote ist die Luxemburger Milchbauernschaft in Bedrängnis geraten. Die Biobauern-Genossen-
schaft musste ebenfalls nach neuen Wegen für die Überwindung der Krise suchen. Doch mit der Schaffung der betriebseigenen Molkerei in Bascharage sind die grundsätzlichen Probleme der Milchproduktion nicht behoben.

Auch in der Biomilchverarbeitung 
ist Technik angesagt. Hier der Pasteurisator der Biog-Molkerei 
in Bascharage. (Foto: Renée Wagener)

Auch in der Biomilchverarbeitung 
ist Technik angesagt. Hier der Pasteurisator der Biog-Molkerei 
in Bascharage. (Foto: RW)

Die Kleinen hatten gewarnt. Als vor über einem Jahr der Plan konkret wurde, die EU-Milchquotenverordnung abzuschaffen, geschah dies vor allem auf Druck jener Großbetriebe, die bereits den Weg einer stark industrialisierten Milchproduktion eingeschlagen hatten. Sorgen um die Zukunft mussten sich die kleineren Betriebe machen. Auch die Umweltbewegung prophezeite eine noch stärkere Überproduktion; der deutsche Umweltverband „Bund“ etwa warnte: „Die Milcherzeuger geraten unter zusätzlichen Preisdruck, das Höfesterben geht weiter, und die Tierhaltung wird in immer größeren Ställen konzentriert.“ Ökologisch wertvolle Wiesen würden zunehmend zu Ackerland umgepflügt.

Milchpulverberge

Die Entwicklung seither hat den kritischen Stimmen recht gegeben: Auch wenn die Milchquote nie beliebt war, zeigen anderthalb Jahre „freie Marktwirtschaft“ nun hinreichend deutlich, dass die Milchüberproduktion sich noch verstärkt und der Druck auf die Preise noch weiter zugenommen hat. Aus den früheren Milchseen wurden Milchpulverberge. Nächste Woche lädt in Brüssel das „European Milk Board“, ein Interessenverein europäischer Milcherzeuger, zu einem Pressegespräch mit Milchbauern und -bäuerinnen aus Burkina Faso ein. Thema: die Folgen der Überproduktion. „Die Billigimporte von europäischem Milchpulver“, so heißt es in der Einladung, „gefährden die lokale Milchwirtschaft, viele Menschen verlieren ihre Lebensgrundlage. Vor dem Hintergrund der großen Flüchtlingsbewegungen nach Europa, die auch einen starken wirtschaftlichen Hintergrund haben, wird die Bedeutung einer verantwortungsvollen EU-Politik besonders deutlich.“

Doch für die EU ist nicht „Verantwortung“ das Stichwort, sondern „Marktanteil“. Den Nutzen aus der verstärkten Nachfrage, die sich in den letzten Jahren in Asien und Lateinamerika zeigt, möchte man nicht den Produzenten in den USA überlassen. Fein raus scheint in diesem harten Kampf nach dem Modell „Wachse oder weiche“ lediglich die Biolandwirtschaft zu sein. Deren Produkte erfreuen sich weiterhin einer so starken Nachfrage, dass das Angebot nicht Schritt halten kann. Auch die Biolandwirtschaft muss aber auf dem nun „frei“ gewordenen Markt bestehen – und mit seinen Widersprüchen zurechtkommen.

In den letzten 28 Jahren hat sich die Milchproduktion in Luxemburg stark verändert. Nicht nur, dass die Produktion von Biomilch sich etabliert hat, auch die Gesamtproduktion ist weiter gewachsen. Während sie laut Statec im Jahre 1937 im Verhältnis zur Durchschnittsbevölkerung noch bei 1,3 Kilo pro EinwohnerIn und Tag lag, erreichte sie 1990, wenige Jahre nach Einführung der europäischen Milchquotenverordnung (1984), 2,1 Kilo. 2015, kurz vor dem Fall der Verordnung, ist dieser Wert auf 1,5 zurückgegangen. Jedoch dürfte in den letzten Jahrzehnten der Import von Milchprodukten ebenfalls gestiegen sein, genauso, wie verstärkt Luxemburger Milchprodukte ins Ausland exportiert werden. Vor allem aber frappiert, dass die Zahl der Milchkühe seit den Achtzigerjahren rückläufig ist. Gab eine Statec-Kuh 1937 noch 7,3 Kilo Milch pro Tag, so waren es 1980 10,9 Kilo, 1990 13,5 und 2015 20,2 Kilo. „Höchstleistungen“ von hochgezüchteten Kühen liegen freilich noch weit über diesem Wert.

Mit oder ohne Hörner

„Firwat eng Kou ouni Haren?“, fragt ein Konsument in seinem Kommentar zum neuen Werbespot der Biog-Molkerei, der zurzeit nicht nur auf You-Tube, sondern auch in Fernsehen und Kino zu sehen ist. Die Frage kann Änder Schanck, Geschäftsführer der Gruppe Oikopolis, zu der auch die Biog gehört, leicht beantworten: Es sei ein Ausdruck der Aufrichtigkeit gegenüber den KonsumentInnen, wenn eine Kuh ohne Hörner gezeigt wird. „Heute haben nur ein Drittel unserer Kühe Hörner, das sind in der Regel die Demeter-Kühe, bei denen Enthornung verboten ist. Aus unserem Selbstverständnis heraus wäre es nicht richtig, eine Kuh mit Hörnern zu zeigen, wenn zwei Drittel der Tiere gar keine Hörner mehr haben.“ Schanck hat 1988 die „Biog“ mitgegründet, die Biobauern-Genossenschaft, die heute eine feste Größe in der Verarbeitung und Vermarktung von Bioprodukten in Luxemburg darstellt. Dazu gehört auch die Biog-Molkerei, die seit Beginn des Jahres in Bascharage in Betrieb ist. Auch viele „Bio“-Ställe sind laut Schanck so gebaut, dass es dort gar nicht mehr möglich ist, Tiere mit Hörnern zu halten. Rentabilität spielt also auch hier eine Rolle.

Bio-Kriterien wirken sich in der Milchproduktion vor allem auf die Größe des Stallraums aus, der dem einzelnen Tier zukommt, sowie auf die Art der Futtermittel. Das Beispiel der Fütterung zeigt die Widersprüche der konventionellen Milchwirtschaft: Durch die Sojafütterung wird die Produktion gesteigert, jedoch leidet das Wohlbefinden der Kuh durch diese Steigerung massiv – zum Beispiel treten sehr häufig Eutererkrankungen auf. Hinzu kommt, dass das in Europa verfütterte Soja größtenteils in Südamerika erzeugt wird, mit fatalen Auswirkungen auf das dortige Ökosystem. Und: Dieses Soja ist größtenteils gentechnisch verändert.

Hörner ab: Auch in Luxemburg wird ein großer Teil der Biokühe enthornt - meist aus Effizienzgründen. (Foto: Pixabay)

Hörner ab: Auch in Luxemburg wird ein großer Teil der Biokühe enthornt – meist aus Effizienzgründen. (Foto: Pixabay)

Jedoch scheinen die Kriterien zur Biomilchproduktion derzeit recht vage. Besonders die für das Label der EU-Bio-Verordnung sind bemerkenswert lasch – zum Beispiel ist es zulässig, in einem recht großen Umfang Kraftfutter zu verfüttern. Die Kriterien des Biolandwirtschaftsverbandes „Bio Lëtzebuerg“ stützen sich auf diese Verordnung als Mindeststandard, gehen jedoch in einer Reihe von Punkten über sie hinaus: Bei der Tierfütterung zum Beispiel sind Fleisch-, Blut- und Knochenmehl, sowie Komposte aus Haushaltsabfällen verboten. Noch strenger sind die Richtlinien der Fachgruppe „Demeter“ innerhalb der „Bio Lëtzebuerg“: Neben dem Enthornungsverbot gibt es auch für den Stallbau oder die Anbindung von Tieren Kriterien. Doch manche Regeln bleiben vage. So heißt es etwa: „Weidegang, zumindest aber Auslauf ist erforderlich soweit möglich.“ Und an anderer Stelle: „Die Sommerfütterung muss überwiegend aus Grünfutter bestehen; anzustreben ist die Futteraufnahme über Weidegang.“ Dass Bio nicht gleich Bio ist, bestätigt auch Schanck: „Ich bin nicht mit allem zufrieden, was derzeit im Bio-Bereich läuft.“

Auf EU-Ebene stehen nun Änderungen ins Haus. Voriges Jahr wurden die Bio-Kriterien der EU neu diskutiert, eine Novelle der EU-Direktive zu Bio-Produktion und -Import soll 2017 in Kraft treten. Die Milchwirtschaft wird hier besonders bei den Bereichen Futtermittel und Verarbeitung, aber auch bei den Modalitäten der Umstellungsperiode ins Visier genommen. Kritik an den geplanten strengeren Regeln kommt durchaus auch aus den Kreisen der Biolandwirtschaft. Die Umstellung auf Bio, so heißt es aus Deutschland, werde dadurch noch erschwert.

Das neue Luxemburger Agrargesetz betrifft die gesamte Landwirtschaft. Was die Tiere angeht, so wurden in ihm Normen für ihr Wohlergehen festgesetzt. Jedoch birgt das Gesetz so manche typisch Luxemburger „Lösung“. So gibt es nun eine Beweidungsprämie, doch, so Schanck: „Wir hatten dafür gekämpft, dass der Weidegang der Kühe allgemein Pflicht wird.“

Der Markt macht‘s

Enthornung und Weidegang sind nur zwei der zahlreichen Problempunkte, mit der sich die Biomilchwirtschaft zurzeit auseinandersetzen muss. Der Fall der Quote bedeutete für die kleineren Betriebe den Verlust eines gewissen Schutzes und stellte auch die Biobauernschaft vor eine schwierige Situation. Die Zusammenarbeit der Biog mit der konventionellen Milchproduktions- und -vertriebsgenossenschaft „Luxlait“, die seit 2000 Verarbeitung, Verpackung und Vertrieb der Biog-Milch übernommen hatte, geriet durch den Fall des Milchpreises ins Wanken. Anders als bei der konventionellen Milch ist der Preis der Biomilch zwar stabil geblieben. Weil aber die Biomilch nur bis zu einer bestimmten Obergrenze von der Luxlait abgenommen wurde – darüber hinausgehende Mengen nur zum Preis für konventionelle Milch – bekamen auch die Biobauern und –bäuerinnen den Preisverfall zu spüren. Das wollten diese nicht einfach so hinnehmen: Sie kündigten bei der Luxlait und schauten sich im Ausland nach einem neuen Abnehmer um. Die Biog war gezwungen, schnell zu handeln. Es war deshalb ein Glücksfall, dass man in Bascharage das Lokal einer ehemaligen Metzgerei angeboten bekam. In Rekordzeit wurde die neue Molkerei installiert, die nun seit Anfang des Jahres in Betrieb ist. Die überschüssige Milch geht an einen Abnehmer nach Belgien, der immerhin 20 Cent mehr bietet als dies bei Luxlait der Fall war. Auch für den Vertrieb musste eine neue Firma gefunden werden.

Nach dem Fall der Milchquote hat im Kühlregal der Luxemburger Supermärkte die „neue Unübersichtlichkeit“ noch weiter zugenommen. Gab es früher für die EndverbraucherInnen beim Einkauf meist nur die Wahl zwischen Luxlait und Ekabe, so stehen sie heute vor einem buntgemischten Angebot. Neben Luxemburger Milchprodukten gibt es immer mehr ausländische Marken, meist aus Frankreich und Deutschland. Seit einigen Jahren ist auch noch die „faire“ Milch dabei, die ihren konventionellen Luxemburger ProduzentInnen einen besseren Abnahmepreis garantieren soll. Neben konventioneller Milch erhält man im Supermarkt längst auch Biomilch, etwa von der Biog oder vom „Cactus“, die allerdings auch in Zusammenarbeit mit der Biog produziert wird. Nach der Trennung der Biog von der Luxlait hat die Großmolkerei zudem ihr Angebot um eigene Biomilch erweitert. Die woxx fragte bei der Luxlait nach, von wem diese Milch produziert wird, erhielt aber bis Redaktionsschluss keine Antwort.

Starkes Interesse beim Publikum: Tag der offenen Tür in der neuen Biog-Molkerei. (Foto: RW)

Starkes Interesse beim Publikum: Tag der offenen Tür in der neuen Biog-Molkerei. (Foto: RW)

Dass auch die Biomilch-Herstellung mit zur Überproduktion beitragen könnte, lässt der Oikopolis-Manager nicht gelten. Allein schon die Fütterung mit „Gen“-Soja zur Steigerung der Milchproduktion sei in der Biomilchwirtschaft verboten, allgemein sei der Zukauf von Fütterungsmitteln begrenzt. Es gibt hier eine natürliche Begrenzung der Produktion durch die Bindung an das Land. Ganz auf die Kuh verzichten will man aber in der Biolandwirtschaft ohnehin nicht. Die Kuh spielt besonders in der Demeter-Philosophie eine zentrale Rolle, die über die Milch und Fleischlieferung hinausgeht. Denn sie liefert auch Energie und Dünger, die im Landbau notwendig sind. „Ohne Mist geht es hierzulande nicht“, meint Schanck.

Bio-Milch oder gleich vegan?

Artgerechte Tierhaltung und Fütterung, aber auch die von den Kühen produzierte Milchmenge sind in Westeuropa zu Diskussionsthemen geworden. Der deutsche „Bund“ seinerseits fordert aus ökologischen Gründen, die Milchproduktion müsse an den Inlandkonsum angepasst werden. Doch auch ernährungstechnisch werden Zweifel am Nutzen der intensiven Produktion von Milch laut: Die erstarkende vegane Bewegung hat den Glaubenssatz, dass Milchprodukte für den menschlichen Körper gesund, ja notwendig seien, ins Wanken gebracht. Kritisiert wird ebenfalls die Tendenz, dass nun auch in den Schwellenländern wie China oder in Lateinamerika Milchprodukte, die früher dort eine untergeordnete Rolle spielten, zunehmend konsumiert werden.

In dieser Sichtweise lässt sich auch fragen, wie die neuen Biog-Produkte mit dem Anspruch auf eine gesunde Lebensweise zu vereinen sind. Die neuen Joghurtsorten, die Schokomilch und das Speiseeis werden zwar mit Bio-Rohrzucker gesüßt, doch macht sie das nur wenig gesünder als sonstige konventionelle Produkte. Auch wird so die Produktpalette jener der Luxlait immer ähnlicher. „Wenn wir konventionelle Produkte substituieren können, tragen wir ja auch dazu bei, dass konventionelle Landwirtschaft durch Biolandwirtschaft ersetzt wird. Ganz ‚Stopp‘ sagen können wir nicht, das geht nicht,“ meint Schanck.

Um den Biolandbau in Luxemburg zu fördern, ist dennoch mehr vonnöten, als den Umstieg von konventioneller auf Biomilchproduktion zu erleichtern. Ein Problem liegt darin, dass durch die jahrzehntelange Konzentration auf die Milchwirtschaft auch in Luxemburg die Tradition des Gemüseanbaus abgerissen ist. Auf die Frage, weshalb nicht verstärkt auf Getreide- oder Gemüseanbau gesetzt wird, schüttelt Schanck den Kopf: „Da wären wir schnell fertig, wir haben niemanden mehr, der Salat oder Feingemüse produzieren kann. Kartoffeln kann jeder anbauen, eventuell auch noch Möhren und Kohl, doch mehr ist nicht drin. Es gibt keine Gemüseanbaukultur mehr.“ Immerhin zeigt eine Kooperation der Biog mit der Ettelbrücker Ackerbauschule, dass hier ein neuer Wind weht: „Wir nehmen denen das Gemüse ab, das sie auf ihren Versuchsfeldern anbauen.“


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