John Williams – Butcher’s Crossing: Blut und Hoden

John Williams beschreibt in seinem Roman „Butcher’s Crossing“ eine Büffeljagd im Wilden Westen als Geschichte des Scheiterns.

1333LitBuch„Nächster Halt Butcher´s Crossing!“, ruft der Kutscher. In dieses schäbige Kaff aus ein paar Häusern und Bretterbuden in Kansas im Mittleren Westen der Vereinigten Staaten ist Will Andrews gekommen. Der 23-Jährige aus Boston hat sein Studium in Harvard abgebrochen, um sich zu Beginn der 1870er Jahre auf eine abenteuerliche Reise zu begeben. Ausgangspunkt ist Butcher´s Crossing, das titelgebende Nest an der Grenze zum Nirgendwo.

In einem Saloon erfährt Andrews von einer sagenumwobenen Büffelherde in einem verborgenen Hochtal der Rocky Mountains. In der Prärie gibt es nur noch wenige Büffel. Die Herden wurden weitgehend dezimiert. Die Büffelfelle bedeuten Profit. Doch Andrews geht es nicht darum. „Ich möchte dieses Land kennenlernen“, sagt er. Der US-Amerikaner John Williams erzählt in „Butcher´s Crossing“ von der Suche nach dem Glück in der großen Weite. „Es ging ihm um die Freiheit und das Gute“, heißt es an einer Stelle. „Was er suchte, war das, was seine Welt nährte und sie erhielt, eine Welt, die sich ängstlich von ihrer Quelle abzuwenden 
schien, statt danach zu suchen.“ Vor allem aber ist er auf der Suche nach sich selbst.

Von dem 1994 im Alter von 71 Jahren verstorbenen Schriftsteller sind vier Romane zu seinen Lebzeiten erschienen. Ihr literarischer Wert wurde erst posthum erkannt. Der 1965 im Original erschienene „Stoner“ war 2013 Williams‘ erster Roman, der auf Deutsch übersetzt wurde – und ein großer Erfolg (woxx 1260). Während „Stoner“ von der Entwicklung eines Jungen aus einfachen Verhältnissen auf dem Land zum Literaturprofessor handelt, geht der Protagonist in „Butcher´s Crossing“, den Williams übrigens 1960 publizierte, also fünf Jahre vor „Stoner“, den umgekehrten Weg. Will Andrews ist von bürgerlicher Herkunft und verlässt sein akademisches Umfeld. Er strebt ins Freie, in die Wildnis, in die Natur. Das erinnert an die Transzendentalisten in der amerikanischen Literatur des 19. Jahrhunderts wie Henry David Thoreau und Ralph Waldo Emerson und ihre idealistische Naturauffassung, die wiederum andere Schriftsteller wie Herman Melville prägten. Nicht zufällig ist „Butcher´s Crossing“ jeweils ein Zitat von Emerson und Melville vorangestellt.

„Wenn es ans Sterben geht, wird einem klar, dass da nichts war, nichts außer einem selbst und dem, was man hätte tun können.“

Dem Idealismus von Andrews wird schnell ein Ende bereitet. Der Fellhändler McDonald schickt ihn zu dem Büffeljäger Miller. Dieser ist die wohl interessanteste, weil ambivalenteste Figur des Romans: Im Gegensatz zu dem idealistischen Feingeist Andrews ist Miller ein ambivalenter Instinktmensch, erfahren im Leben in der Natur, abgehärtet und roh, manisch und gierig. Andrews hingegen hat weiche Hände, wie eine Prostituierte feststellt, die dem Greenhorn prophezeit: „Dein Gesicht wird rau von Wind und Sonne sein, und auch deine Hände sind dann nicht mehr so weich.“ Später erkennt sie: „Jetzt sind sie hart. Ich erinnere mich, wie weich sie waren.“

Andrews finanziert Miller die Jagd auf die kostbaren Büffelfelle. Zusammen mit dem grenzdebilen Trinker Hoge und dem ständig nörgelnden Schneider, dem besten Häuter weit und breit, ziehen sie los und finden nach einigen Strapazen die riesige Büffelherde, geleitet von Millers Instinkt, der souverän und treffsicher ein Tier nach dem anderen abknallt. Die bittere Ironie der Geschichte: Der naturverbundene Büffeljäger vernichtet seine eigene Lebensgrundlage. Schneider kommt kaum nach mit dem Häuten, während Andrews allmählich die Scheu vor dem Ausweiden der erlegten Tiere verliert. Miller schießt und schießt. Er steigert sich in einen wahren Rausch. Der Mythos des Wilden Westens ist voller Klischees: Männer, Colts und viel Staub und Whiskey, Büffelhoden als Potenzmittel. Doch Williams vermeidet den Kitsch mit seiner hohen Kunst der Beschreibung. Die naturalistische Genauigkeit und Detailliebe ist meisterhaft. Mit einer kaum vergleichbaren Präzision seiner sprachlichen Mittel zeichnet er die Natur und die Handlungen der vier Männer sowie ihre seelischen Regungen.

Er schildert, wie sie fast verdursten und die geschwollenen Zungen der Ochsen mit Wasser befeuchten. Er beschreibt den Wintereinbruch in den Bergen, wo die vier Männer in einen Blizzard geraten. Kein anderer Autor kann die Naturgewalten so poetisch in Worte fassen: „Sanft wie eine Vogelfeder sank langsam eine einzelne große, weiche Schneeflocke vom Himmel herab.“ Äußerst gelungen ist die Übertragung ins Deutsche von Bernhard Robben, der bereits „Stoner“ übersetzte.

Am ehesten erinnert der Roman noch an Cormac McCarthy und dessen Romane „Die Abendröte im Westen“ und „All die schönen Pferde“. Allerdings benutzt McCarthy oft parabelhafte Überzeichnungen und greift auf eine drastische Sprache zurück. Obwohl auch Williams keine Details aus Schmutz und Blut scheut, verzichtet er auf unnötige Überhöhungen. Er erzählt eine einfache Geschichte, die zugleich fesselt und mitreißt. Zugleich wirft er jedoch existenzielle Fragen auf wie die nach den Motiven der vier Männer. Denn es ist mehr als nur Gier, die sie antreibt, sondern vielmehr ein schicksalhafter Sog, der sie mitreißt. Einer von ihnen stirbt. Und als sie nach Butcher´s Crossing zurückkehren, verroht und ungewaschen, ist der Ort fast verlassen.

Ihr Unternehmen war vergeblich. Mit den Büffelfellen ist kein Geschäft mehr zu machen. Die Marktpreise sind ins Bodenlose gefallen. Gegen die Gesetze des Kapitalismus sind die Frontier-Männer wehrlos. So erzählt „Butcher´s Crossing“ nicht zuletzt eine Geschichte des Scheiterns und widerlegt damit den American Dream. Den hat bereits der Fellhändler McDonald als Lüge entlarvt: „Das ganze Leben baut auf Lügen auf, und dann, womöglich wenn es ans Sterben geht, wird einem klar – dass da nichts war, nichts außer einem selbst und dem, was man hätte tun können. Nur hat man es nicht getan, weil einem die Lügen weisgemacht haben, es gäbe etwas anderes. In dem Moment begreift man, dass man die Welt hätte erobern können. Nur ist es dann zu spät.“

John Williams – Butcher’s Crossing. Aus dem Amerikanischen von Bernhard Robben. dtv Verlag, 368 Seiten.

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