MARGARETHE VON TROTTA: Ich bin die Andere

„Ich bin die Andere“ ist ein Melodram mit spannenden Passagen aber auch ungewolltem Hang zur Selbstironie.

Ein Paar, und doch sind sie drei: Gespaltene Persönlichkeiten und dunkle Geheimnisse liegen dieser Liebesgeschichte zu Grunde.

Sie ist schizophren, ihr Vater ein Tyrann und dazwischen er – ein Ahnungsloser, der zum Besessenen wird. Eigentlich läuft für Robert Fabry (August Diehl) alles bestens. In seinem Beruf als Ingenieur hat er Erfolg, und mit Lebensgefährtin Britta (Bernadette Heerwagen) ist er seit Jahren glücklich liiert. Dennoch lässt Robert sich auf einer Geschäftsreise von der aufreizenden Prostituierten Carlotta (Katja Riemann) verführen. Als er am Morgen darauf erwacht, ist Carlotta verschwunden – geblieben ist nur ihr rotes Kleid und das vereinbarte Honorar. Auf die Verwirrung folgt Erstaunen beim anschließenden Termin mit seinem Anwalt Dr. Maiser (Peter Lerchbaumer). Dort trifft der Ingenieur auf die etwas bieder wirkende Carolin Winter, die ihm als Mitarbeiterin der Kanzlei vorgestellt wird, in der Robert aber sofort die Bekanntschaft der vergangenen Nacht erkennt. Als er Carolin jedoch auf ihr gemeinsames Abenteuer anspricht, gibt diese vor, von der ganzen Sache nichts zu wissen. Für Robert, der darin nichts anderes als ein Spielchen sieht, gibt es kein Entrinnen mehr. Hals über Kopf verliebt er sich in die geheimnisvolle Frau mit den zwei Persönlichkeiten, ohne zu wissen, auf was er sich einlässt.

„Ich bin die Andere“, ist das Romandebüt des vor zwei
Jahren im Alter von 66 Jahren gestorbenen deutschen Filmautors Peter Märthesheimer. Gemeinsam mit seinem Wegbegleiter Pea Fröhlich lieferte er unter anderem die Drehbücher für die Fassbinder-Trilogie „Lola“, „Die Sehnsucht der Veronika Voss“ und „Die Ehe der Maria Braun“. Nur ein Jahr vor seinem Tod veröffentlichte Märthesheimer „Ich bin die Andere“, mit dessen Verfilmung sich jetzt Margarethe von Trotta auseinandersetzte. Entstanden ist dabei ein Melodram mit großen Schauspielern, die sich – eingebettet in noch größeren Landschaftsaufnahmen mit vielen schweren, zum Teil hölzernen Dialogen – durch die Handlung bewegen. Doch so wirklich gelingen will Katja Riemann dabei der Sprung zwischen den Persönlichkeiten nicht – möglicherweise auch deshalb nicht, weil die Ursache für ihre Schizophrenie eher Klischee als Geheimnis ist: Ein traumatisches Erlebnis in der Kindheit.

Doch davon hat der von Diehl überzeugend gespielte Robert zunächst keine Ahnung. Erst als der Ingenieur die Familie der Frau, die er jetzt heiraten möchte, kennenlernt, ergründet er gemeinsam mit dem Zuschauer die menschlichen Abgründe der Winzerfamilie. Die Mutter (Karin Dor) ist Alkoholikerin und Vater Karl (Armin Mueller-Stahl) ein herrschsüchtiger Tyrann, der im Rollstuhl sitzt, doch trotz seiner körperlichen Gebrechlichkeit ernormen Druck auf die gespaltene Tochter ausübt. Als sich Robert zwischen Caroline und ihn drängt, will der Patriarch das nicht dulden. Und als die kranke Geliebte dann auch noch ohne Vorwarnung verschwindet, führen Robert alle Spuren nach Casablanca, wo eines der zahlreichen Geheimnisse der Familie Winter seinen Ursprung hat. Dass sich Margarethe von Trotta, die mit „Rosenstraße“ (2003) bereits auf eine erfolgreiche Zusammenarbeit mit Katja Riemann zurückblicken kann, mit „Ich bin die Andere“ bei Claude Chabrol und dem großen Gefühlskino der Nouvelle Vague bedient hat, ist unverkennbar und nicht von Nachteil. Der Film setzt auf Gefühle und die langsame Ergründung von Carolines Krankheitsursache und enthält durchaus spannende Momente. Kritisch wird es nur dann, wenn die Szenen ins Groteske zu kippen drohen. So erinnert die gestörte Familienkonstellation samt Haushälterin und schweigendem Diener (dieser hat sich die Zunge abgebissen, um das Familiengeheimnis für sich zu bewahren) mitunter weniger an die marode Fassade der gehobenen Bürgerschicht, hinter der es bröckelt, sondern eher an die Standardbesetzung einer Edgar-Wallace-Verfilmung.


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