Die juristische Überprüfung eines Escher Nachexamens sorgt weiterhin für Emotionen. Aber weder sind Lehrer ohne Fehler, noch ist das Rechtsverfahren unzulässig.
Aus den Medien, aber nicht aus der öffentlichen Diskussion verschwunden, ist das gerichtliche Nachspiel eines Erdkunde-Nachexamens in Esch. Die Fakten sind bekannt: Eine ansonsten gute Schülerin aus dem Escher Lycée de garçons war im Herbst mit 16 von 60 Punkten durch das Erdkunde-Nachexamen gerasselt. Ihre Eltern fochten daraufhin die Note an – zunächst bei der Schulleitung -, und als von dort keine Reaktion erfolgte, vor dem Verwaltungsgericht.
Die Aufregung über diesen Schritt war groß – und ist es immer noch, wie Leserbriefe in den großen Tageszeitungen zeigen. Vor allem LehrerInnen laufen Sturm. „Warum sollte das Recht, Richter über Professoren-Beurteilungen urteilen zu lassen, nur denjenigen zustehen, die sich Staranwälte leisten und (…) Gefälligkeitsgutachter anheuern können“, polemisierte die Lehrervereinigung Apess Anfang Januar gegen die Entscheidung der Eltern, die umstrittene Note privat von einem anderen Fachlehrer sowie gerichtlich überprüfen zu lassen. Die Angst, die hinter der persönlichen Attacke steckt, ist offenkundig: Die Lehrer (-gewerkschaften) fürchten, der Präzedenzfall könne einen elterlichen Run vor den Kadi provozieren.
Aber ist die Aufregung wirklich angebracht? Schule funktioniert, wie andere gesellschaftliche Bereiche übrigens auch, nach Regeln. Und die Einhaltung dieser Regeln kann und sollte im Falle unterschiedlicher Auffassungen darüber von Zeit zu Zeit überprüft werden. Sicherlich wäre es wünschenswert gewesen, wenn die zuständige Schulbehörde sich zunächst mit dem strittigen Fall sachlich auseinander gesetzt hätte. Als Vorgesetzte des Erdkundelehrers ist sie die erste Adresse für Lehrerkritik. Die Praxis anderer Schuldirektionen im Land, die gelegentlich ein strittiges Nachexamen kassieren, zeigt, wie unspektakulär dies vonstatten gehen kann. Offensichtlich aber herrschte in diesem Fall von Seiten des Direktors, aber auch des Unterrichtsministeriums eine gewisse Zurückhaltung. Erst als die betroffenen SchülerInnen in einer Schülerzeitung ihrem Unmut über die mutmaßliche Fehlbeurteilung Luft machten, übereifrige Polizeibeamte die anonyme Postille vorübergehend beschlagnahmten und darüber hinaus die elterliche Klage publik wurde, kam wieder Bewegung in die Sache. Allerdings nicht ohne falsche Tabus. Wer von vornherein behauptet, drei Lehrer könnten nicht irren, macht einen Denkfehler. Auch Lehrer können manchmal irren – und durch (regelwidrige) Korrekturvorgaben eines Kollegen in ihrem Urteil beeinflusst sein. Ob dies im konkreten Fall passiert ist, hat das Gericht zu prüfen. Nichts anderes tut es.
Dass sich der Richter bei seiner einstweiligen Verfügung, die betroffenen SchülerInnen vorläufig in die nächste Klasse zu versetzen, auf Indizien stützt (die Einschätzung eines vierten, von Seiten der Eltern hinzugezogenen Erdkundelehrers), ist in einem solchen Rechtsverfahren durchaus üblich. Wenn schon Zweifel an der Benotung bestehen, und dafür gibt es laut Gericht Hinweise (nicht Beweise), kann den SchülerInnen wohl kaum zugemutet werden, einfach mal prophylaktisch sitzen zu bleiben.
Die emotional und zuweilen unter der Gürtellinie geführte Debatte um den Rechtsweg werfen Fragen zum Rechts- und Selbstverständnis insbesondere mancher LehrerInnen auf. Auch ein Schiedsrichter muss gelegentlich ein Foul, das er falsch gepfiffen hat, von einem Gericht überprüfen lassen. Das ist kein Drama. Dramatisch ist vielmehr, wenn Stimmung gegen jene geschürt wird, die von ihrem verbrieften Recht Gebrauch machen und amtliche Entscheidungen hinterfragen. Denn was gibt es überhaupt zu verlieren? Bekommt die Klägerpartei Recht, dann weil der Lehrer juristisch nachweisbar einen Fehler gemacht hat; möglicherweise ist das Verfahren der Nachexamina strukturell zu beanstanden. Dann ist es an den Schulbehörden, diese zu verbessern. Gewinnt der Lehrer, beweist das Urteil, wie kohärent das Bewertungsprozedere der Nachexamina ist. Umso besser für alle.