BONNEWEG: Kostenlose Wahlwerbung

Mit Bürgeranhörungen versucht der hauptstädtische Schöffenrat neuerdings, die aufgebrachte Bevölkerung zu besänftigen – Wahlkampf mit anderen Mitteln?

Die Idee an sich war gut. Vier Stunden hatte sich der hauptstädtische Schöffenrat am Montag Zeit genommen, um sich die „Doleancen“ der Bürgerinnen und Bürger aus Bonneweg und dem Bahnhofsviertel anzuhören – und zwar zu Themen, die Zündstoff bergen. AsylbewerberInnen, Junkies, Prostituierte und Obdachlose sind die Sündenböcke, wenn es um die nach Ansicht der Bevölkerung schwindende Lebensqualität geht.

Doch die Veranstaltung hatte in erster Linie einen kathartischen Charakter. Da traten Geschäftsleute vor, die von ihren bedrohlichen Erfahrungen mit Obdachlosen berichteten. Ein Syndikatsvertreter beklagte sich über die Untätigkeit der Verantwortlichen des Obdachlosenasyls „Foyer Ulysse“, die trotz mehrerer Unterredungen „ihre“ KlientInnen nicht im Zaum halten würden. Ein Parkingwächter schilderte, wie er von Junkies mit dem Messer bedroht worden war. In ihrem Haus befinde sich ein Bordell, beklagte sich die Bewohnerin einer Etagenwohnung. Bemerkenswert zumindest, dass der Ton der KlägerInnen – von wenigen rassistischen Ausfällen abgesehen – die meiste Zeit relativ moderat war. Selbst eine Organisation wie „SOS Gare“ scheint in der Zwischenzeit eingesehen zu haben, dass man Menschen nicht wie Kehricht wegräumen kann.

Lösungsvorschläge hielten sich dagegen in Grenzen. Bürgermeister Helminger machte unmissverständlich klar: Heute würden keine „Schlussfolgerungen, und schon gar keine definitiven“ gezogen. Stattdessen ist für den 6. Dezember eine Gemeinderatssitzung vorgesehen, in der über politische Konsequenzen debattiert werden soll. Die Diskussionen des Hearings sollen in einem Bericht zusammengefasst und dann in eine Resolution münden. Da drängt sich doch die Frage auf, ob dem Schöffenrat an einer wirklichen Auseinandersetzung überhaupt gelegen ist. Betroffene Stellungnahmen des Gemeinderates hat es zu dem Thema schon etliche gegeben. Konkret umgesetzt wurde dagegen wenig. So ist es auch dieses Mal wahrscheinlich, dass die Gemeindeverantwortlichen zwar einen Aktionsplan vorstellen werden. Der wird aber wohl vor allem einer Sache dienen: die erhitzten Gemüter der Bonneweger Wahlklientel bis zu den Wahlen zu beruhigen. Das dürfte Bürgermeister Helminger gut tun, der im kommenden Gemeinde-Wahlkampf sogar mit Konkurrenz aus den eigenen Reihen rechnen muss.

Dafür, dass es den GemeindepolitikerInnen bei der Anhörung vor allem um die eigene Publicity ging, spricht noch ein anderer Fakt: Über die Verantwortung des Schöffenrates für die Eskalation in den Stadtteilen wurde den ganzen Nachmittag über kein einziges Wort verloren. Dabei hätte durchaus Interessantes zutage kommen können. Es waren hauptstädtische Schöffen, die das Projekt der Fixerstube in Hollerich kippten. Zwei Jahre „sucht“ die Stadt nun schon nach einem neuen Standort. Genauso lange blockiert sie selbst jeglichen Fortschritt im Drogendossier. Und neben dem Staat ist auch die Stadt Luxemburg recht wenig bemüht, ausländischen Beispielen folgend einen runden Tisch einzurichten. An diesem könnten Ministerien, Gemeinde, Polizei und Hilfsorganisationen gemeinsam Lösungen erarbeiten.

Für die Gemeinde war die Veranstaltung indes ein Erfolg. Dem Schöffenrat ist es gelungen, die eigene Verantwortung kurzerhand auf die nationale Ebene – Ministerien, Polizei, Staatsanwaltschaft – abzuwälzen. Da wird es spannend sein zu beobachten, wie sich wohl die LSAP in den nächsten Monaten zu diesem „däregen“ Dossier verhalten wird. Einerseits stellt sie den Gesundheitsminister, der bei Themen wie Drogen, Prostitution oder Hilfsstrukturen ebenfalls gefordert ist. Andererseits könnte es auch für sie verlockend sein, mit dem Unsicherheitsgefühl des hauptstädtischen Elektorats Wahlkampf zu betreiben. Neue Ansätze von Bürgerbeteiligung, wie sie nach Esch nun auch in der Hauptstadt erprobt werden, riskieren dabei allerdings, zur Farce zu geraten. Einige Monate bleiben Helminger noch, um das Gegenteil zu beweisen.


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