BOLKESTEIN: Wachsam bleiben

Luxemburgs EU-Ratspräsidentschaft hat das Soziale entdeckt und eine Überarbeitung der Dienstleistungsdirektive begrüßt. Die Gefahr einer Deregulierung öffentlicher Dienste ist damit nicht gebannt.

„Die Luxemburger Präsidentschaft sagt ‚Ja‘ zu freien Dienstleistungen, aber ‚Nein‘ zu sozialem Dumping“, beteuerte Arbeitsminister François Biltgen (CSV) auf einer Pressekonferenz zu den arbeits- und sozialpolitischen Prioritäten der EU-Ratspräsidentschaft diese Woche. Er zitierte damit Premierminister Jean-Claude Juncker – und vollführte einmal mehr, was Luxemburgs EU-Politiker offenbar bestens beherrschen: Schlingerkurs fahren und klare Positionen vermeiden. Auch soziale Standards sollen laut Biltgen und Gesundheitsminister Mars di Bartolomeo (LSAP) nun also bei der Liberalisierung des Dienstleistungsmarktes eine Rolle spielen. Schon das „Auch“ macht hellhörig. Konkrete Verbesserungsvorschläge nannten die beiden nicht. Die Gesundheitsdienstleistungen müssten besonders geschützt werden, forderte der Gesundheitsminister. Wie das gehen kann, sagte di Bartolomeo nicht. Minister Biltgen versprach, sich besonders für die Arbeitszeitrichtlinie einzusetzen. Präzise Forderungen auch bei ihm: Fehlanzeige.

Tatsächlich reiht sich Luxemburg mit der Pressevorstellung in die Reihe der taktischen Nein-Sager ein. Deutschland, Frankreich, Luxemburg – sie alle wollen in Wirklichkeit die mit der Dienstleistungsrichtlinie verbundene weitere Öffnung des EU-Binnenmarktes. Sie haben in der EU-Kommission, wo der Vorschlag des Ex-Wettbewerbskommissars Frits Bolkestein bereits seit anderthalb Jahren auf dem Tisch liegt, das Papier mitgetragen. Die umstrittene Herkunftslandregelung eingeschlossen. Die sieht vor, dass Anbieter von Dienstleistungen in der EU ihren nationalen Gesetzen unterliegen, und nicht denjenigen der Länder, in denen sie arbeiten. Ein polnischer Arbeiter könnte so in Luxemburg nach polnischen Bestimmungen seine Dienste anbieten. Mögliche Folge: ein Dumpingwettbewerb zwischen den Sozialstandards verschiedener Länder.

Dass nach Berlin und Paris jetzt auch Luxemburg das Soziale entdeckt hat, liegt vor allem an den bevorstehenden Referenden zum EU-Verfassungsvertrag in Frankreich und Luxemburg – und mit der wachsenden Sorge, die Bevölkerungen könnten dort mit ‚Nein‘ stimmen.

Für dieses Angstszenario der Regierenden gibt es gute Gründe. Die Basis von Frankreichs zweitgrößtem Gewerkschaftsverbund, die CGT, sprach sich vor einer Woche überraschend gegen die EU-Verfassung aus. Im ganzen Land demonstrierten am vergangenen Wochenende mehrere Hunderttausend Menschen gegen die geplante Abschaffung der 35-Stunden-Woche, die derzeit im Parlament beraten wird. Ganz besonders im Visier französischer GewerkschafterInnen und GlobalisierungskritikerInnen steht zudem die Bolkestein-Direktive. Sie sehen darin einen Angriff auf den Sozialstaat.

Eine Denkzettelwahl durch unzufriedene und erboste BürgerInnen will die Regierung aber unbedingt vermeiden. Wohl deshalb stellte sich Staatspräsident Jacques Chirac Anfang Februar an die Spitze der Proteste. Die Richtlinie laufe auf „Steuer- und Sozialdumping“ hinaus, was Frankreich ablehne“, tönte er wortgewaltig – und verschwieg im gleichen Atemzug, dass auch Paris noch Anfang 2004 keinerlei Einwände gegen die geplante Deregulierung erhoben hatte.

Die EU-Kommission spielt das gleiche Spiel. Der neue Wettbewerbskommissar Günther Verheugen und Kommissionspräsident José Manuel Barroso haben bereits klargestellt, dass der Entwurf überarbeitet wird.

Die sozialen Bewegungen und die Gewerkschaften tun also gut daran, den jetzigen Rückzug nicht zu euphorisch zu feiern, sondern wachsam zu bleiben. Zumal die Briten, die das Thema höchstwahrscheinlich von der Luxemburger Präsidentschaft übernehmen werden, alles andere als bekannt sind für weitgehende Sozial- und Arbeitnehmerrechte. Auf der Insel gilt ein beschränktes Streikrecht. Es waren britische PolitikerInnen, die bei den Verhandlungen zum EU-Verfassungsvertrag versuchten, die Einführung eines grenzüberschreitenden Streikrechts zu verhindern.


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