EU-VERFASSUNG: Am Bürger vorbei

Eine demokratische und kontroverse Debatte über die EU-Verfassung findet hier zu Lande nicht statt. Die PolitikerInnen fürchten das Ergebnis.

Good cop, bad cop. Die Methode erfreut sich auch in der Politik einiger Beliebtheit. Bundeskanzler Gerhard Schröder als der Gute warb diese Woche in Paris für die EU-Verfassung und fand dabei viele freundliche Worte. Den Part des gestrengen Gegenspielers übernimmt derweil Jean-Claude Juncker. Nach der Drohung im eigenen Land, im Falle eines Nein vom Amt des Premiers zurückzutreten, folgte nun eine offene Warnung an Frankreichs Europa-SkeptikerInnen. Zwei Jahrzehnte werde man verlieren, sollten die Franzosen beim Referendum im Mai „Non“ stimmen. Zudem würde ein Nein nur die USA erfreuen, behauptete der amtierende EU-Ratspräsident vor kurzem in einem Interview.

Der plumpe Griff in die anti-amerikanische Trickkiste und das immer hektischere Warnen und Werben zeigen: Europas Regierende sind nervös. Das Risiko-Unternehmen Referendum droht zum größten Imageschaden für das europäische Projekt zu werden. Wie ein Bumerang schlägt nun zurück, wovor ExpertInnen bereits vor Monaten warnten: die Distanz Europas zu seinen BürgerInnen. „Wat huet dat dann nach mat Demokratie ze doen? Dir gitt dach besser berode wann der ee Puer Schong kaaft“, ärgert sich ein Schreiber im Internetforum des Luxemburger Wortes über das für den 10. Juli geplante luxemburgische Referendum.

Tatsächlich setzt der Meinungsbildungsprozess zu Referendum und EU-Verfassung hier zu Lande vergleichsweise spät ein – und verläuft zudem ausgesprochen einseitig. Bei den diversen Zeitungsbeiträgen, Rundtischgesprächen und Informationsveranstaltungen bleiben die BefürworterInnen weitgehend unter sich. Die VerfassungsgegnerInnen machen es ihnen nach: mit einer Nein-Runde auf der Fête de la Résistance. Eine kontroverse Diskussion findet in Luxemburg nicht statt.

Daran dürften auch die Anhörungen zum Verfassungstext, die derzeit in der Chamber stattfinden, nichts ändern. Wegen der ungünstigen Uhrzeit (werktags nachmittags) bleiben viele der Debatte von vornherein fern. Das Verfahren folgt zudem Luxemburgs – und Europas – gängigem Dialogmodell: Erst reden die PolitikerInnen, und dann, wenn alles bereits beschlossen ist, kommen die Betroffenen zu Wort. Schon beim Konvent, als der Verfassungstext verhandelt wurde, blieb die Zivilgesellschaft mit ihren Vorschlägen weitgehend außen vor.

„Wir beschließen etwas, stellen das dann in den Raum und warten einige Zeit ab, was passiert. Wenn es dann kein großes Geschrei gibt und keine Aufstände, weil die meisten gar nicht begreifen, was da beschlossen wurde, dann machen wir weiter – Schritt für Schritt, bis es kein Zurück mehr gibt.“ Der Satz, den Juncker 1999 Spiegel-Journalisten diktierte, demonstriert nicht nur die Arroganz, die mancher EU-Regierungschef seinen WählerInnen gegenüber an den Tag legt. Er zeigt auch, dass das Misstrauen und Unbehagen vieler BürgerInnen zumindest verständlich ist. Über die Gefahren der Dienstleistungsrichtlinie sprachen Juncker und Co. erst, als der Protest von Gewerkschaften und sozialen Bewegungen in Frankreich auf Luxemburg überzuschwappen drohte. „Bolkestein“ ist vorläufig vom Tisch, die angestrebte umfassende Liberalisierung von Dienstleistungen aber noch lange nicht. Sie steht im dritten Teil des Verfassungstextes. Die Verfassung bringe Frieden für Europa, lautet ein anderes Argument der BefürworterInnen. Darüber, dass der Verfassungsvertrag sämtlichen EU-Mitgliedstaaten eine weitere Militarisierung vorschreibt, reden sie nicht.

Ein höherer Informationsgrad bedeutet nicht automatisch eine höhere Zustimmung, hat einmal eine deutsche Politologin gewarnt. Abgesehen von Standardfloskeln hat bisher kein luxemburgischer Politiker die wichtigen Fragen beantwortet, wie sozial, wie friedlich und wie demokratisch das neue Europa mit der Verfassung wirklich wird. Vielleicht, weil sie die Antwort selbst nicht wissen. Wahrscheinlicher aber ist: weil sie sie fürchten.


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