REFERENDUM IM ENDSPURT: Überheblichkeit lohnt sich nicht

Die Zustimmung zum EU-Verfassungsentwurf schwindet, auch in Luxemburg. Wer sich nicht respektiert fühlt, zeigt auch schon mal seinen Trotz – spätestens in der Wahlkabine.

Alle Versuche des luxemburgischen Regierungschefs und amtierenden EU-Ministerratspräsidenten Jean-Claude Juncker, den Franzosen den EU-Verfassungstext schmackhaft zu machen, scheinen dem „oui“ nur zu schaden. So geschehen, als Juncker vor einigen Wochen im französischen Fernsehen behauptete, es gebe keinen „Plan B“ für den Fall, die Franzosen sich gegen den EU-Verfassungstext aussprechen würden. Noch in der gleichen Sendung wurde er, vor laufender Kamera, vom Verfassungsbefürworter Jacques Delors eines Besseren belehrt. Das Drohmittel, ein „Nein“ zum Verfassungsentwurf, würde Frankreich isolieren, hatten die französischen Verfassungsbefürworter schon vor Wochen in die Asservatenkammer zurückgelegt, weil ihr Einsatz nur eines bewirkt hatte: Die Zahl der VerfassungsgegnerInnen schnellte in die Höhe.

Wenige Tage vor dem französischen Urnengang schlug Juncker noch einmal zu: Ein französisches „Nein“ hätte nicht den geringsten Einfluss auf den weiteren Ratifizierungsprozess. Frankreich müsse sich darauf gefasst machen, nach Ablauf der Ratifizierung in den andern Ländern erneut mit dem gleichen Text befasst zu werden, um dann gefälligst zuzustimmen – so Juncker gegenüber der belgischen Zeitung „Le Soir“.

Die Reaktion aus Frankreich ließ nicht lange auf sich warten: Vor allem rechte VerfassungsgegnerInnen à la de Villiers reagierten schnell und sprachen von einer Missachtung des Wählerwillens. Andere forderten das Wahlvolk auf, die einzige adäquate Antwort auf Junckers „Provokation“ zu geben: ein „Nein“ beim Referendum am Sonntag.

Der noch amtierende französische Regierungschef Raffarin musste sich in Schadensbegrenzung üben. Schon ganz „elder statesman“ hatte er bereits vor Tagen erklärt, dass es nur ein einziges französisches Votum geben könnte. Ob ja oder nein, das Resultat dürfe nicht in Frage gestellt werden. Das sei nun einmal Demokratie, und für die Franzosen sei ein zweites Referendum nicht akzeptabel.

Als vor Monaten die GegnerInnen des Verfassungstextes in Frankreich Aufwind bekamen, hieß es, die Bevölkerung sei nicht genügend informiert. Das Verhältnis von ja und nein, werde sich, dank einer ausführlichen Informationskampagne, umkehren. Als sich in der Folge abzeichnete, dass die NeinsagerInnen doch die Überhand behalten könnten, wurde das Ganze als internes französisches Problem abgetan. Linke wie rechte VerfassungsbefürworterInnen appellierten an ihre Landsleute, das EU-Referendum nicht mit einer Abstrafung Chiracs und seiner Regierung zu verwechseln.

Inzwischen gibt es aber auch andere Mitgliedsstaaten, bei denen die Zustimmung zum Verfassungstext in Frage gestellt ist, oder zumindest nicht so glanzvoll über die Bühne gehen wird, wie sich das von den Regierenden gewünscht wird. In Junckers eigenem Homeland, sagt uns die Ilres, ist die Zustimmung unter 50 Prozent gerutscht. Zwar ist die Luxemburger Ratifizierung kaum in Gefahr, denn das „Ja“ liegt immer noch 14 Prozentpunkte vor dem „Nein“. Dass aber auch im europafreundlichen Luxemburg nicht einmal mehr jeder zweite Bürger oder jede zweite Bürgerin dem Verfassungstext etwas abgewinnen kann, hat nichts mit der „exception française“ zu tun.

Mag sein, dass die Franzosen Äpfel mit Birnen und Zwetschgen verwechseln, wie das Wort gestern leitartikelte. Doch sie tun es nach einem leidenschaftlichen, offenen und, was das Thema EU anbelangt, wohl einmaligen Prozess, der nur eines deutlich macht: Gerade Europa, mit seinen hohen demokratischen Ansprüchen, kann sich die Reduzierung der demokratischen Mitsprache auf ein einfaches Ja-Sagen nicht (mehr) erlauben.

Seine Unterschrift unter einen Kompromiss kann nur leisten, wer am Aushandeln desgleichen beteiligt war, oder durch ein demokratisch legitimiertes Verfahren seine Mitsprache delegieren konnte. Der EU-Verfassungstext erfüllt diesen Anspruch weder formal, noch hinterlässt er bei vielen der jetzt zu den Urnen Gerufenen das Gefühl, ihre Interessen und Bedenken seien auch nur ansatzweise berücksichtigt worden.


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