BUDGETPOLITIK: Der Staat als Untermieter

Darüber, wie sich der Gürtel enger schnallen lässt, wird derzeit viel beraten. Über den Sinn einer reinen Sparpolitik wird jedoch nur wenig nachgedacht.

„Wir leben über unsere Verhältnisse!“ In der gesamten politischen Klasse, bei einem Großteil der „forces vives de la nation“, im Pressewald und an den Stammtischen gibt es derzeit nur noch ein Thema: Der Luxemburger Staat gibt zu viel Geld aus.

Zwar warnt Budgetminister Luc Frieden davor, Katastrophenstimmung aufkommen zu lassen. Doch die Lawine, die er selbst losgetreten hat, als er die teilweise Finanzierung des Sozialhaushalts über Steuergelder in Frage stellte, rollt immer weiter. Der rechte Flügel seiner Partei hatte vergangene Woche zudem versucht, Friedens Rhetorik bereits für 2006 politisch umzumünzen: Der Staat solle gegenüber dem vorgelegten Haushaltsplan 150 Millionen Euro Einsparungen vorsehen.

Die kleine Palastrevolution schlug fehl. Denn außer einem Zusatz im Budgetbericht, der anmahnt, die Regierung solle sich einer rigorosen Sparpolitik unterziehen, wurden kaum verbindliche Vorgaben gemacht. Für den Fraktionsvorsitzenden der Grünen hat der Vorstoß die Rolle des Parlamentes allerdings eher geschwächt: Anstatt ein der Realität entsprechendes Budget abzustimmen, würde jetzt die endgültige Ausführung des Haushalts in die Hände der Tripartite gelegt, unter dem Motto „schaut ihr wo ihr einsparen könnt und wir sind jetzt schon damit einverstanden“, so Francois Bausch. Das Szenario müsste eigentlich genau umgekehrt verlaufen: Die Regierung handelt mit den Sozialpartnern Vorschläge aus, die danach von den Abgeordneten begutachtet werden können. Anschließend fließen die zurückbehaltenen Maßnahmen in die Budgetdebatten ein, und werden somit Gesetz – allerdings frühestens im Haushaltsjahr 2007.

Auch wenn Budgetberichterstatter Roger Negri und Budgetminister Luc Frieden die Vorfälle herunterspielen und sich für sozial ausgeglichene Anpassungen stark machen, so ist ihr Credo doch das gleiche: Reformen muss es geben und zwar fast ausschließlich auf der Ausgabenseite – nur etwas zeitversetzt und etwas weniger brutal.

*+f*Fette Beute

In den (fast) sieben fetten Jahren zwischen 1995 und 2000 konnte die Regierung Budgets aufstellen, bei denen die Ausgaben nicht schneller stiegen als das wirtschaftliche Wachstum zuzüglich der Inflation. Danach kamen die weniger fetten, durchwachsenen Jahre. Allerdings hatten die Budgetminister in jener Zeit die Gewissheit, dass am Ende eines jeden Fiskaljahres Überschüsse vorhanden waren. Überschüsse, die dann großzügig auf die unterschiedlichen Investitionsfonds verteilt wurden – meist ohne die Zustimmung der Abgeordnetenkammer.

Das nannte sich eine kluge Finanzpolitik, sozusagen ein Sparen im Voraus, damit sich das Geld im Nachhinein um so besser verprassen ließ. Dabei geschah zweierlei: Trotz bester budgetärer Voraussetzungen wurde in Kernbereichen die Chance verpasst, den Luxemburger Staat den Bedürfnissen einer modernen Gesellschaft anzupassen, und es trat das Gefühl auf, der Staat würde unnötigerweise viel Geld bei den SteuerzahlerInnen abschöpfen. Im Bereich der Investitionen (denken wir nur an das Schulwesen, Energiesparmaßnahmen oder an den Ausbau des öffentlichen Transportsystems …) als auch für laufende Geschäfte (Schule, Forschung, Kinderbetreuung, soziale Integration von Randgruppen und schwer vermittelbaren Arbeitskräften …) entstand so ein enormer Nachholbedarf. Im Gegenzug wurde Luxemburg mit einer Steuerreform beglückt, die den Reichen und den mittleren Einkommenskategorien einen Geldsegen beschied, den sie zwar nicht unbedingt brauchten, den sie aber dankend annahmen. Zudem bekam eine spezifische Wahlklientel der CSV ein besonders kostspieliges Wahlgeschenk: die „Mammerent“. Letztere wird so teuer, dass jetzt, wo das Geld tatsächlich knapp wird, sogar Wort-Editorialisten die Abschaffung dieses „wertlosen Instrumentariums“ einklagen. Die Kleinverdiener, die bekanntermaßen wenig Steuern zahlen, bekamen auch ein bisschen etwas ab, allerdings werden sie die ersten sein, die jetzt den Einschnitt ins Sozialnetz zu spüren bekommen.

Dass dem Budgetberichterstatter die Verzweiflung geradezu im Gesicht steht, wenn er versucht einem unlösbaren Problem beizukommen, ist verständlich: Jetzt wird uns die Rechnung für zwei Jahrzehnte Junckerscher Voraussicht präsentiert. Die Einahmen bleiben hinter den Erwartungen zurück, wegen schwächerer Konjunktur, aber auch weil Anfang dieses Jahrhunderts in Sachen Steuerpolitik eine Fehlentscheidung getroffen wurde – unter Zustimmung der drei großen Parteien. Die Ausgaben steigen schneller, weil die Konsequenzen einer schlechten Bildungspolitik spätestens beim Eintritt ins Arbeitsleben unbezahlbar werden. Jetzt werden die „Automatismen“ beklagt, die anscheinend jedes politische Handeln unmöglich machen. Im Bereich Energieverbrauch gilt der gleiche Tenor: Statt tatsächlich in Energiesparmaßnahmen zu investieren, werden die hohen Kosten, die das Kyoto-Protokoll uns aufbürdet, beklagt.

*+f*Leere Kassen

Gerade jetzt, wo ein regelrechter Investitionsstau entstanden ist, fehlt Geld. Tragisch ist zudem, dass Fehlinvestitionen wie die Nordstraße auch noch sehr viel teurer werden als geplant und so die knappen Investitionsfonds zusätzlich auslaugen. Die gleichen Leute, die damals mit einer Mogelpackung Parlament und Bevölkerung für dieses Projekt weich geklopft haben, haben jetzt den Sozialstaat im Visier: Luxemburg muss seine Rahmenbedingungen internationalen Standards anpassen.

In diesem Sinne sind auch die „Public Private Partnerships“ (PPP) zum neuen Modewort geworden. In der EU sind es vor allem die Briten, die dieses Mittel, Investitionen ohne direkten Zugriff auf die Staatsfinanzen zu ermöglichen, anwenden. Mehr als zwei Drittel der europäischen PPPs finden in Großbritannien statt, daneben haben sich die Portugiesen als fleißigste Schüler Blairscher Politik hervorgetan. In Luxemburg werden im Jahre 2010 rund 7.800 SchülerInnen keinen eigenen Klassensaal, geschweige denn Sitzplatz haben. Die Luxemburger Regierung will deshalb in einer Art Pilotprojekt, eines der ausstehenden Lyzeen in PPP-Manier realisieren.

PPPs sollen erlauben schneller, billiger und rationeller zu bauen. Da die so errichteten Gebäude auch nachträglich vom privaten Promoteur unterhalten werden, versprechen sich die Budget-Strategen ein auf Nachhaltigkeit ausgerichtetes Bauen. Wer die Folgekosten mittragen muss, der wird schon beim Bauen auf die richtige und beste Bauweise achten. Außerdem seien private Unternehmer, die auf Profit aus sind, flexibler wenn es darum geht in jeder Bau-Etappe Einsparungen zu machen.

*+f*Teure Partnerschaften

Roger Negri scheint an PPPs einen besonderen Gefallen zu finden und denkt laut darüber nach, ob eine PPP nicht im Falle eines Tramsystems für die Stadt Luxemburg zum Einsatz kommen könnte.

In England wurde das PPP-Modell vor allem im Bereich der öffentlichen Verkehrsinfrastrukturen durchexerziert – mit diskutablem Erfolg. Der Staat gibt Monopol- und Souveränitätsrechte in bestimmten Bereichen ab und vergibt Konzessionen an private Betreiber. Die finanzieren sich über die Einnahmen, die sie ihren KundInnen abverlangen und über Zuschüsse, die mit dem Konzessionsgeber ausgehandelt werden. Das ist nicht viel anders, als es jetzt bei der (noch) staatlichen Eisenbahn gehandhabt wird. Mit dem Unterschied, dass der private Unternehmer, sollten ihm die Bedingungen einmal nicht mehr passen, seine Aktivitäten eventuell aufgibt. Sein Antrieb, der ja anscheinend zu wirtschaftlicherem Handeln anspornt, ist ja der Profit. Nur hohe Subventionen und/oder hohe Preise halten die Unternehmer bei der Stange. Auf der Kanalinsel lassen sich die Konsequenzen einer solchen Politik tagtäglich ausprobieren.

Demnächst werden Schulen und Trambahnen also privat gebaut und vom Staat gemietet. Ein gutes Geschäft für die, die jetzt Geld haben und in Vorleistung gehen und später die Rendite einstreichen. Der Staat wird nach und nach zum Untermieter, dessen Einfluss auf das tägliche Geschäftsgebaren zunehmend schwindet.

Während es sich bei den Vorschlägen in Sachen PPP noch um Experimente handelt, soll es spätestens 2007 „Nägel mit Köpfen“ geben, was die Abschaffung gewisser Automatismen in der Luxemburger Hauhaltspolitik anbelangt. Frieden rechnet vor, dass jede Indextranche sich im Budget mit 125 Millionen niederschlägt. Indexgebunden sind aber vor allem Sozialleistungen wie das Kindergeld – aus gutem Grund. Auch die Fiskalisierung unserer Renten- und Gesundheitspolitik wird hinterfragt, doch dass sie uns niedrige Lohnnebenkosten beschert, wird nicht in Betracht gezogen. Die Gewerkschaften operieren aus der Defensive und erinnern an den sozialen Frieden, den unser Modell hervorgebracht hat.

Spätestens im Kulturjahr 2007 droht Luxemburg also eine Kulturrevolution. Wir dürfen gespannt sein, was sich der große Vorsitzende alles einfallen lassen wird, um das gemeine Volk an der Haushaltssanierung teilhaben zu lassen.

Richard Graf


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