HAUSHALTSDEFIZIT: Unsoziale Automatismen

Der Staat nimmt nicht genug Geld ein, um seine Aufgaben zu erfüllen. Sparen sollen die, die am wenigsten haben.

Zumindest in einem Punkt entbehrt die Haushaltsvorlage 2007 nicht einer gewissen Symbolik: Erstmals plant der Staat binnen einem Haushaltsjahr mehr als zehn Milliarden Euro, also gut 400 Milliarden alter Franken, auszugeben; die Einnahmen sollen allen Vorhersagen nach allerdings neunstellig bleiben.

Ob die Vorlage, wie von Budgetminister Luc Frieden gewünscht, als „Reformhaushalt“ in die Annalen der Geschichte eingehen wird, darf nach einer vorläufigen Analyse angezweifelt werden. Wenn Reform bedeutet, das Haushaltsdefizit grundsätzlich eher mit einem Abbremsen der Ausgaben als mit einer Erhöhung der Einnahmen zu bekämpfen, mag Friedens Darstellung richtig sein. Vor nicht allzu langer Zeit wurde ein solches Vorgehen jedoch noch ganz unverhohlen als Austerität bezeichnet. Sparhaushalt eben.

Aber vielleicht liegt die Stärke Luc Friedens deshalb vor allem im Sparen begründet, weil ihm die Hoheit über die Einnahmeseite, in Form des Finanzministerpostens, bisher versagt blieb. Premier Jean-Claude Juncker, der keine Gelegenheit auslässt, Journalistenschelte zu betreiben, weil Frieden immer als Finanzminister betitelt wird, hat sich diese Domäne bewahrt – vor allem, weil er damit auf europäischem Parkett beweglicher ist und je nach Gemengelage die Kappe des Regierungschefs gegen die des Finanzministers austauschen kann. Diese Konstruktion mag für die Luxemburger Position innerhalb der EU gewinnbringend sein, sie legt der Innenpolitik eine Arbeitsteilung auf, die nicht immer förderlich ist.

Als vor einigen Jahren, bei übervollen Kassen und auf Initiative des Finanzministers, die Einnahmen des Staates zugunsten der Privathaushalte und der Betriebe gesenkt wurden, überlegte niemand, ob der Geldsegen nicht besser in andere Bahnen hätte geleitet werden sollen. Zumal wir wenig später feststellen mussten, dass dieser Segen vorübergehender Natur war. Die infrastrukturellen Defizite, für die heute kein Geld mehr da ist, waren auch schon damals sichtbar: Schulbereich, energieeffizienter Wohnungsbau, öffentlicher Transport …

Wenn jetzt eine Gewerkschaft auf die unerwartet gute wirtschaftliche Entwicklung hinweist und einige der sozial einschneidensten Sparmaßnahmen in Frage stellt, dann weist Finanzminister Juncker auf die „Volatilität“ der damit für den Staat verbundenen Einnahmen hin. Immerhin, seine Lektion hat er gelernt: Die monolithische Abhängigkeit vom Finanzsektor ist ungesund. Sie war es aber auch schon vor Jahren, als per Steuerreform die Umverteilung von unten nach oben eingeleitet wurde.

Der abgebremste Inflationsausgleich der Gehälter und die Desindexierung von sozialen Leistungen trägt tatsächlich zu einem Rückgang des Staatsdefizites bei, wie Luc Frieden akribisch vorrechnet. Mag sein, dass durch die Rücknahme der Automatismen auch einige sozial wenig sinnvolle Maßnahmen mit über Bord geworfen wurden. Allerdings gehen sie zu Lasten all jener, die am meisten auf die sozialen Zuwendungen des Staates zurückgreifen müssen. Die Steuerreform vor einigen Jahren hat ihnen nichts oder wenig gebracht, dafür müssen sie in Zeiten wieder anziehender Inflation auf einen Ausgleich verzichten. Und auch indirekt werden die jetzt verordneten Sparmaßnahmen vor allem den Sozialschwachen zu schaffen machen: Im Schulbereich, bei den sozialen Diensten, überall wird eine Einstellungspolitik betrieben, die sich weit unterhalb des Bedarfs ansiedelt. 50 neue LehrerInnenposten werden uns vermeldet – die Gewerkschaften hatten schon letztes Jahr einen vierfach höheren Bedarf angemeldet. Die Arbeitsmarktverwaltung bekommt zehn zusätzliche Posten – nur knapp mehr, als deren für die Sicherheit am neuen Flughafen veranschlagt werden.

Nicht der Staat lebt über seine Verhältnisse, sondern die besser Verdienenden werden – aus welchen Gründen auch immer – verschont. „Steuererhöhungen kommen nicht in Frage“, meint dazu die Politik, ohne zu erklären, weshalb in schweren Zeiten nicht alle etwas abgeben müssen. Ein Reformhaushalt würde diese unsozialen Automatismen bekämpfen, statt sie noch zu verstärken.


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