In den Arbeiten des „Atelier van Lieshout“ geht es unter anderem um Gesellschaftssysteme und ihre Fehlentwicklungen.
Anhand eines Spermiums illustriert der holländische Künstler Joep van Lieshout gesellschaftliche Abläufe: So erscheint die fadenförmige Zelle in seiner schwarz-weiß Zeichnung wie eine Science-Fiction-Raumkapsel mit einzelnen Produktionsetappen. Von den unterschiedlichen „Qualification and Training Spaces“ bis hin zur „Customers Area“, die sich im Kopfteil der Samenzelle befindet, spiegelt van Lieshout die formalisierten Abläufe der heutigen kapitalistischen Marketing- und Managementgesellschaft wider, in der der Mensch nur noch ein willenloses Rad im Getriebe ist.
Insgesamt scheint es van Lieshout, dessen Arbeit zurzeit in der Galerie Beaumontpublic unter dem Titel „Body architecture“ zu sehen ist, vor allem um Systeme, Lebensmodule und gesellschaftliche (Fehl)-Entwicklungen zu gehen, die er allegorisch mittels Architektur oder stilisierten Körperelementen darstellt. Und er tut das nicht alleine: der 45-jährige Künstler, der sich selbst als Bildhauer bezeichnet, arbeitet seit 1995 in wechselnder Besetzung mit einer Gruppe von 10-30 Personen zusammen, die an der Schnittstelle von Kunst, Design und Architektur operieren.
Bekannt wurde das „Atelier van Lieshout“ (AVL), das sich in einer großen Werkhalle in Rotterdam befindet, vor allem durch seine raumgreifenden, in Kunststoff gegossenen Organe, Adern, Gedärme – begeh- oder bewohnbar. Die 16 Skulpturen und 14 Malereien, die in der Galerie Beaumontpublic zu sehen sind – folgen ebenfalls diesem surrealen Duktus, auch wenn sie formal ein gutes Stück kleiner sind. Dabei werden in den grafischen schwarz-weiß Malereien Begleiterscheinungen der globalisierten Gesellschaft aufgegriffen und wie bei der klassischen Dystopie in einem rational durchdachten System verstärkt. „Slave City“ ist ein Projekt innerhalb dieser Auseinandersetzung. Hier hat van Lieshout standardisierte Wohn- und Arbeitseinheiten gemalt, die auf beklemmende Weise eine Gesellschaft illustrieren, deren Leitmotiv einzig aus Funktionalität und Effizienzsteigerung zu bestehen scheint. „Mit einem Hochgeschwindigkeitszug rasen wir irgendwo hin und wissen nicht wie wir ihn stoppen sollen“, meint Joep van Lieshout zu der von ihm thematisierten gesellschaftlichen Entwicklung.
Andererseits scheint er in den aus Bauschaum bestehenden schwarz-weiß Skulpturen, die wie aufgedunsene Körperteile oder verkohlte Baumstämme aussehen, die thematisierte gesellschaftliche Apokalypse bereits zu verdinglichen. „Black Back Kneeling“ etwa wirkt wie eine betende Gestalt, verborgen unter einer schwarzen Stoffstruktur.
Auch wenn alles recht aussichtslos in van Lieshouts Visionen erscheint, hat der Künstler trotzdem noch einige Ideen, wie man das Rad des kapitalistischen Systems stoppen kann: Nämlich durch Kunst an sich. Schließlich sei diese nachhaltiger als irgendwelche Wegwerfprodukte.
Zu sehen in der Galerie Beaumontpublic noch bis zum 25. Oktober
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