LIFESTYLE: Im Garten des Konsums

Der Garten, die letzte wirtschaftsfreie Zone? Hort der Zuflucht für Krisengebeutelte? Mitnichten: Der Garten ist ein Spiegel der gesellschaftlichen Entwicklung. Und zurzeit ist auch er mit der Maxime konfrontiert: „Mehr Geld in die Wirtschaft“.

Garten im Krisenmonat März.

„Le jour où chaque homme aura sa maison et son jardin, il ne sera plus question de bouleversement social.“ Der Ausspruch findet sich in einem der ersten Jahrgänge von „Garten und Heim“, einer „unabhängigen Zeitschrift zur Förderung der Arbeitergärten“. Er ist wohl dem Franzosen Jules-Auguste Lemire (1853-1928) zuzuschreiben, einem fortschrittlichen Pfarrer und überzeugten Gärtner. 1927 hält er in Luxemburg den ersten internationalen Kongress seines „Office international des jardins ouvriers“ ab. Zu diesem Zeitpunkt hat die Idee der Arbeitergärten – Landparzellen, die den Arbeiterfamilien gratis oder gegen geringe Miete zur Verfügung gestellt werden – in Europa längst Fuß gefasst. In Luxemburg wird sie jedoch erst nach dem Ersten Weltkrieg aufgegriffen.

Die Lokalvereine und -genossenschaften, die in zahlreichen Ortschaften, vor allem des Südens, entstehen, sind oft sozialdemokratisch geprägt. Und die Ausstellungen der „Gemuso ? Genossenschaft, Mußearbeit, Sozialversicherung“ in den Zwanzigerjahren verdeutlichen die Verquickung von „roter“ Gewerkschaft und Genossenschaftswesen einerseits und Kleintierzucht und Kleingartenbewegung andererseits. Im Programm der Ausstellung von 1930 wird zwar noch Fundamentalkritik am Kapitalismus geübt und gefordert, „durch Abschaffung der heutigen verfaulten und vermoderten Weltordnung die Arbeit wieder zu Ehren zu bringen“. Doch zugleich betont man, der gerade erkämpfte Achtstundentag werde den Arbeiter nicht – wie von manchen befürchtet ? verstärkt zum Besuch des Wirtshauses verleiten oder ihn gar dazu verführen, revolutionäre Pläne zu schmieden: „Nach 8stündiger Arbeitsfron ist es für die meisten ein Bedürfnis, eine seelische Befriedigung geworden, einen Teil ihrer Freizeit mit selbstgewählter Mußearbeit auszufüllen. Nicht nur Mußearbeit in Heim, Garten und Feld, sondern auch Mußearbeit zur Verfertigung von Zier- und nützlichen Gegenständen.“ Und so finden wir im Programm der Ausstellung eher Kleinbürgerliches: Darbietungen des Arbeiter-Mandolinenvereins „Venetia“, Sportfilme oder Vorträge über Kleintierzucht; auch handgefertigte Schnitzarbeiten oder eine Vorführung der schönsten Kanarienvögel.

„Zurück zur Scholle!“

Auch Sozialdemokraten bedienen sich bei ihrem Plädoyer für den Arbeitergarten konservativen Vokabulars. „Zurück zur Scholle!“ fordert etwa François Clement noch 1939 als Mittel zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Die Arbeitergartenbewegung versteht sich jedoch als sozialdemokratisches Lösungsangebot in Zeiten, „wo wir wieder am Vorabend einer Weltwirtschaftskrise stehen, Feierschichten allenthalben in den Betrieben eingeführt werden, eine Verringerung der Arbeitszeit angestrebt wird“. Der eigene Garten soll helfen, wenigstens zum Teil unabhängig von der Lohnarbeit zu sein. 1932 etwa erhalten Arbeitslose einen Teil der benötigten Sämereien gratis vom Kleingartenverband.

Die Kleingartenbewegung macht nicht nur selbst Politik, sondern wird auch zum Spielball der Parteien – kein Wunder bei Mitgliedszahlen, die schon 1929 um 13.000 liegen. Die Vorkriegsjahre sind geprägt von einer Spaltung zwischen „Arbeitergartengenossenschaft“ und „Kleingärtnerverband“. Während des Zweiten Weltkriegs besteht der Verband ? anders als andere Vereine – bemerkenswerterweise weiter und wird erst Ende 1942 in das „reichsdeutsche Kleingartenwesen überführt“. Nach dem Zweiten Weltkrieg scheinen die internen Fehden beseitigt, allerdings verschwindet auch jegliches sozialistische Gedankengut. Dafür wird verstärkt der Muttertag gefeiert und die Weihe von Vereinsfahnen eingeführt.

Eine der zentralen Ideen der Arbeitergartenbewegung ? das Bereitstellen von Pachtland für Arbeiterfamilien, die in Mietwohnungen ohne eigenen Garten leben ? beginnt in den Fünfzigerjahren sich zu überleben. Während der Verband seinen Mitgliedern in den Dreißigerjahren über mehrere hundert Gärten zur Verfügung gestellt hatte, verringert sich nun die Nachfrage, da viele sich ein Eigenheim mit Garten leisten können.

Eine weitere Bedrohung für die Selbstversorgung ist der zunehmende Import von Obst und Gemüse, „obschon Luxemburg genug Ackerland zur Verfügung hat, um die Ernährung der gesamten Bevölkerung sicher zu stellen“. Die Erklärung sieht man zunächst im Mangel an natürlichem Dünger: Vieh- und Kleintierhaltung gehen vor allem in den Vorstädten enorm zurück. Die Lösung heißt Kunstdünger. Dadurch wird zwar die Eigenproduktion gesteigert, die Abhängigkeit von Importen aber lediglich von der internationalen Obst- und Gemüseproduktion zu den Chemiemultis verlagert.

Doch erst ab den Siebzigerjahren wird die Globalisierung zum Thema. In „Gesundheit aus dem eigenen Garten“ wird – ganz modern – vor langen Transportwegen gewarnt: „Oft werden die Pflanzen halbreif geerntet und reifen erst auf dem Weg zum Verbraucher nach. Ein Teil der Frische geht dadurch verloren. „Die Alternative heißt Eigenversorgung. Deutlich fundamentalistischer heißt es 1976 im Klassiker der Alternativ-Bewegung „Savoir revivre“: „En retournant près de la nature, nous contribuons à la protéger, nous réintégrons notre élément naturel et cessons de collaborer avec une société dont la vitalité est basée sur le gâchis.“ John Seymour, Autor des 1978 erschienen Bestsellers „Selbstversorgung aus dem Garten“, zeigt dagegen britischen Pragmatismus: „Die gesamte Lebenshaltung und auch die Lebensmittel werden teurer, und dadurch erlebt der Nutzgartenbau eine große Renaissance. Die Menschen merken jetzt, dass sie damit eine erhebliche Summe sparen können, dass ihr Essen besser schmeckt und bekömmlicher ist, und dass es die Gesundheit ihrer Kinder fördert.“

In Luxemburg jedoch hält sich die Renaissance der Gartenbewegung in Form alternativer Landwohngemeinschaften in Grenzen ? vielleicht, weil das wirtschaftliche Argument hier weniger Gewicht hat. Erobert werden die Kleingärten von den jenen, die aus den Dörfern des europäischen Südens einwandern, und die sich zumeist die Kunst der Gartenarbeit nicht erst aneignen müssen. Die offizielle Kleingartenbewegung bleibt jedoch bis zum Ende des Jahrhunderts fest in luxemburgischer Hand.

Spielwiese statt Selbstversorgung

Bei den Gärten der aufgestiegenen Mittelklasse freilich ist von Produktion und Produktivität keine Rede mehr ? der Diskurs der Selbstversorgung hat hier ausgedient. „Flair“, „Charme“, „Stil“ heißen heute die Verkaufsargumente der Gartenzeitschriften. Und Cactus und Co. machen wohl mehr Umsatz mit Gartendekoration, schicken Blumentöpfen oder coolen, aber kaum überlebensfähigen Olivenbäumen als mit Lauchsamen und Setzkartoffeln. Zwar war das Gartenwesen schon immer den Versuchungen des Konsums ausgesetzt. Seit der Erfindung der Pflanzenkataloge werden Gartenfreaks zum Kaufen verführt ? von Samen und Setzlingen, aber auch von zahllosen Geräten und Maschinen, von Düngemitteln und Schädlingskillern. Doch in den letzten Jahren scheint sich auch der Obst- und Gemüsebau weg von der nutzbringenden „Mußearbeit“ und hin zur Gestaltung idyllischer Umgebungen zu entwickeln. In den Buchhandlungen verdrängen prächtige Fotobände die soliden Handbücher der Gartenarbeit, und auch Gartenmessen setzen bewusst auf Ästhetik. Auf dem Wochenmarkt gibt es Salatpflanzen und Tomatensprößlinge zu kaufen, die in wenigen Monate Ernte versprechen ? langes Warten nach dem eigenen Ansäen entfällt. Obwohl die allerwenigsten heute noch von Haus aus über ein Grundwissen in Sachen Garten verfügen, beschränken sich die raren Einführungskurse meist auf den Obstbaumschnitt.

Wird so der Garten seines eigentlichen Sinns entleert? Seine Entwicklung zeigt auf jeden Fall, wie weit in den letzten Jahrzehnten die Grundidee des Gartens ? nämlich zu ernähren ? von modernen Konsumformen verdrängt worden ist. Stichwort Krise: In der Zwischenkriegszeit sollte der Garten den Arbeiterfamilien die Möglichkeit geben, ihre Geldausgaben zu reduzieren; heute werden wir dazu aufgefordert, Geld auszugeben und zu konsumieren, um den Kapitalismus zu retten. Etwas so Triviales wie das Sammeln von Tomatensamen aus reifen Früchten für die nächste Ansaat bietet so politischen Interpretationsstoff: brave Tugend, nostalgische Suche nach dem einfachen Leben oder wirtschaftsschädigende Aktion?


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