EUROPA / PALÄSTINA: Wegschauen geht nicht mehr

Nach dem Scheitern des Oslo-Prozesses muss die EU in der Palästina- Frage eine eindeutige Position beziehen. Neutral bleiben hieße, den militärisch Stärkeren unterstützen.

„Le changement dans la continuité“ – dieses einst von Jacques F. Poos kreierte Prinzip luxemburgischer Außenpolitik wird auch von seiner liberalen Nachfolgerin Lydie Polfer in Ehren gehalten. Auf den Israel-Palästina-Konflikt bezogen heißt das: Nach außen hin wird strikte Neutralität gewahrt. Verbal werden zwar die Exzesse der israelischen Seite verurteilt, echte Konsequenzen aber keine gezogen.

Jean-Louis Wolzfeld, „directeur des affaires politiques“ im Außenministerium, rechtfertigte diese Doktrin anlässlich eines sehr gut besuchten und in allen Hinsichten gelungenen Rundtischgespräches über den Israel-Palästina-Konflikt am vergangenen Dienstag. Sein Argument: Luxemburg könne so für beide Seiten als vertrauenswürdiger Vermittler auftreten.

Zwar gestand Wolzfeld ein, dass eine wichtige Voraussetzung des Oslo-Prozesses nicht mehr gegeben ist: Ein unabhängiger palästinensischer Staat wird nicht mehr als Endergebnis einer Politik der kleinen Schritte gesehen, sondern er ist eher der Ausgangspunkt einer Lösung. Außerdem gibt es laut Wolzfeld klare Vorstellungen, wie eine Lösung aussehen könnte: Ein unabhängiger Staat in den Grenzen wie sie vor 1967 bestanden mit einem Sonderstatus für Jerusalem.

Wenn dies tatsächlich der Bewusstseinsstand in ministeriellen Kreisen ist, dann ist nicht nachzuvollziehen, wieso noch immer die Rolle des neutralen Vermittlers übernommen wird: Die palästinensische Seite hat die erwähnte Regelung längst akzeptiert, auch wenn die Jerusalemfrage noch nicht in allen Nuancen ausdiskutiert ist. Es ist Israel, das mit seiner weiterhin vorangetriebenen Siedlungspolitik tagtäglich einer Lösung im oben erwähnten Sinne entgegenwirkt.

Auch wenn wir die terroristischen Aktionen gewisser palästinensischer Kreise verurteilen müssen, so dürfte die Entwicklung des Konflikts gerade in den letzten Tagen bewiesen haben, dass es eindeutig um den Widerstand eines von einer Besatzungsarmee drangsalierten Volkes geht. Würden die PalästinenserInnen über einen anerkannten Staat verfügen, längst hätten sie sich in voller Übereinstimmung mit geltendem internationalen Recht Hilfe holen können.

Doch noch stehen sie unter israelischer Verwaltung und sind der Willkür von Sharons Launen ausgesetzt. Eine UNO-Friedenstruppe wird dank amerikanischem Veto verhindert, der ökonomische Aufbau der Autonomieregion mit brachialer Zerstörungswut im wahrsten Sinne des Wortes niedergewalzt.

Es ist in dieser Situation nicht nachvollziehbar, wieso der zweitwichtigste Handelspartner Israels, die Europäische Union, nicht endlich die Pfade der diplomatischen Höflichkeit verlässt und Vorbereitungen für wirtschaftliche Sanktionen gegen Israel trifft.

Die Situation erinnert sehr an die späteren 80er Jahre, als die europäische öffentliche Meinung in Bezug auf die südafrikanische Apartheidpolitik der tatsächlichen Politik meilenweit voraus war. Auch wenn die eiserne Lady Thatcher – die damals eine EU-weite Sanktionsstrategie blockierte – inzwischen in Tony Blair einen (un)-würdigen Nachfolger gefunden hat, so lässt sich das in Europa gern vorgebrachte Argument, man könne nur entsprechend eines gemeinsamen Nenners handeln, nicht mehr halten. Nichtstun im Falle Palästinas ist auch eine eindeutige Politik.

Ein Kommentar von Richard Graf


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