MARIENTHAL: Distanz wahren

Das Asylantenheim in Marienthal symbolisiert die Luxemburger Flüchtlingspolitik: seine Bewohner werden auf Distanz gehalten.

Richtig gemütlich soll es im Asylantenheim nicht werden.

Marienthal ? es klingt verträumt, nach christlicher Einkehr und religiöser Verbrämtheit. Ein malerisches Tal im Südwesten von Luxemburg, inmitten einsamer Nadel- und Laubwälder. Das Kloster Marienthal, dessen Blütezeit unter der Grafentochter und Ordensschwester Yolanda von Vianden im 13. Jahrhundert war, gab dieser stillen Einbuchtung ihren Namen. Mit Marienthal verbindet man heute insbesondere den Codex Mariendalensis, der das erste literarische Dokument im moselfränkischen Dialekt der Luxemburger Gegend darstellt. Weniger bekannt ist dagegen das Asylantenheim von Marienthal.

Nachdem die Asylbewerber noch bis vor kurzem mehr schlecht als recht in den alten Gemäuern der Klosteranlage untergebracht waren, wird das Areal nun als Freizeitzentrum für Jugendliche – betreut vom „Service National de la Jeunesse“ – ausgebaut. Das Asylantenheim dagegen wurde um einige hundert Meter verlegt. Und hier hört die Romantik auch schon auf – die neue Realität nimmt sich funktionell und kalt aus: Das neue Asylantenheim, aus provisorischen Containern für rund 100 – 120 Personen bestehend, die am Hang oberhalb des Klosters aufgestellt wurden, ähnelt eher einer Strafanstalt im ländlichen Nirgendwo, als einer provisorischen Bleibe für Familien ? 65 zur Zeit ? die auf die Entscheidung zu ihren Anträgen warten. Auf 1.200 m2 befinden sich hier neben den Küchen und Aufenthaltsräumen rund 23 Zimmer von 17 m2 für Familien mit drei Personen und 11 Gemeinschaftszimmer à 35m2 für größere Familien. Von außen umgibt ein hoher Zaun die schmucklose Containerstruktur, Überwachungskameras und eine elektrische Türvorrichtung sichern die Zugangskontrolle, ein Pförtner – die einzige Verwaltungsperson vor Ort – regelt den Zutritt zum Gebäude. Zwar gibt es keinen Internetanschluss, immerhin aber eine Busverbindung nach Luxemburg-Stadt. Um zum nächsten Haus zu gelangen – Marienthal gehört zur Gemeinde Tuntange – muss man allerdings einen Fußmarsch auf sich nehmen und einige Steigungen überwinden. In dieser Abgeschiedenheit leben Menschen, die zum Teil seit drei, vier Jahren auf ein Bleiberecht warten, einige sogar schon seit sieben Jahren. Die Bürokratie mahlt eben langsam. Aber wohl nicht nur das: Die Isolation der Asylbewerber ist gewollt, scheint Teil einer Strategie zu sein, zu der auch Zermürbung gehört. Die Verantwortlichen reden gerne von der Integration in die Dorfgemeinschaft ? warum, so muss man fragen, wurde dann bei der Sanierung der Klosteranlage nicht die Gelegenheit genutzt, die Container des Asylantenheims auf einem dorfnahen Grundstück aufzustellen? Das Argument, dass das Grundstück im verlassenen Marienthal sich angeboten habe, weil es Staatseigentum sei, verdeutlicht das eigentliche Problem der Situation: Die geringe Lobby der Flüchtlinge.

Seit kurzem werden nun in diversen Asylantenheimen interkulturelle Projekte durchgeführt ? auch in der Absicht, der Isolation und ihren Folgen entgegenzuwirken. Unterstützt vom Familienministerium, das für die Aufnahme und Unterbringung der Flüchtlinge zuständig ist, setzt die „Association de soutien aux travailleurs immigrés“ (Asti) in Marienthal, die auf drei Jahre veranschlagten, Projekte um. Die nötigen Mittel werden vom „Fonds Européen pour les réfugiés“ zur Verfügung gestellt. Eine etwas zweischneidige Angelegenheit, denn mit dieser ? an sich natürlich begrüßenswerten ? Unterstützung wird die offensichtliche Segregations-Politik der Regierung weiter legitimiert.

Am letzten Wochenende war es wieder so weit: Die Asti lud sowohl die Bewohner der Container als auch die Einwohner von Tuntange ein, in der Burg von Hollenfels unter dem Motto „Vivre – Ensemble dans la commune de Tuntange“ ein gemeinsames Fest zu feiern. Geboten wurden ein Marionettentheater, ein Malatelier für Kinder und eine Kaffeestube, in der sich Dorfbewohner und Asylbewerber begegnen konnten. „Seit zwei Jahren organisieren wir Aktivitäten mit den Bewohnern des Asylantenheimes“, erzählt Jean Lichtfous, Sprecher der Asti. Dazu gehören ein Sprachkurs, der einmal pro Woche in den Räumlichkeiten des Heimes stattfindet, und eine Basisausbildung zur Küchenhilfe im „Lycée Technique Hôtelier“ in Diekirch. Ziel der Aktivitäten ist, den Betroffenen Kompetenzen vermitteln, die sie irgendwann in Luxemburg oder in ihrem Ursprungsland gebrauchen können. „Es geht um Empowerment. Und darum, den Betroffenen einmal den Stress zu nehmen und ihnen zu helfen, für kurze Zeit aus der Enge der Situation herauszukommen“, erklärt Lichtfous. Sie sollen die belastende Ungewissheit, in das der prekäre Bleiberecht sie gefangen hält, vergessen und den Trott der engen Familien- und Heimstrukturen hinter sich lassen. Denn nicht wenige der AsylbewerberInnen verbringen ihre Tage zur Gänze im Heim. Nicht alle können von der „Autorisation d’occupation temporaire“ Gebrauch machen: die, deren Antrag abgelehnt wurde, dürfen nicht arbeiten. Andere lassen sich infolge von Sprachschwierigkeiten oder der Kompliziertheit der Verwaltungsprozeduren nur schwer auf eine Arbeitsstelle vermitteln. „Zum Abschalten sind dann Ausflüge gut“, erläutert Lichtfuß. Auch um die Förderung der Kontakte mit der ansässigen Bevölkerung bemüht sich der Asti. „In Luxemburg ist es schon so, dass man die AsylbewerberInnen zwar mit Informationen versorgt, sie dann aber sich selbst überlässt“, stellt Lichtfous fest. Generell mangele es an Austausch. Hier eine Verbesserung zu bewirken, sei ein weiterer Zweck des Festes in Hollenfels. „Alle Projekte, die wir hier machen, sollen kleine Anstöße geben sich aufeinander zu zu bewegen“, so Lichtfous. Man hoffe, dass das Pilotprojekt auch nach 2010, wenn die EU-Gelder ausgeschöpft sind, vom Luxemburger Staat weitergeführt wird.

Im Marienthaler Asylantenheim leben vor allem Familien. Zu Beginn der Inbetriebnahme hätten die lokalen Verantwortlichen darauf bestanden, keine alleinstehenden Personen unterzubringen, stellt Lichtfous fest. Begründung: die Integration in die Dorfgemeinschaft werde dadurch erleichtert. Außer den Projekten der Asti spiele sich in puncto Interaktion jedoch bisher kaum etwas ab. Der Bürgermeister der lokalen Gemeinde Tuntange, Marcel Erpelding, sieht hier keinen Handlungsbedarf. „Die Flüchtlingspolitik ist ein nationales Problem. Wir haben nicht die Mittel, um hier viel zu machen“, argumentiert er. Immerhin habe sich die Gemeinde in den 90er Jahren, zur Zeit des Nato-Einsatzes im Balkankrieg, als viele Flüchtlinge nach Luxemburg kamen, bereit erklärt, diese aufzunehmen. „Es sind andere Gemeinden, die es sich besser hätten leisten können. 120 Flüchtlinge gegenüber 1.200 Téintener-Einwohnern, das ist viel“, findet Erpelding. Dass das Flüchtlingsheim Marienthal letztlich eine Art „Gewerbezone“ für die eher ländliche Gemeinde Tuntange ist, die dadurch auch von lukrativen Zuschüssen des Staates profitieren kann, will der Bürgermeister nicht gelten lassen: „Sicher ist der Staat manchmal wohlwollender mit uns. Andererseits glaube ich nicht, dass wir Extrawürste gebraten bekommen“. Die Gemeinde Tuntange erhalte vor allem Gelder für die Schulintegration der Flüchtlingskinder. „Jede Gemeinde, die Flüchtlingskinder in der Schule hat, bekommt vom Erziehungsministerium einen gewissen Betrag. Hier gibt es keinen Unterschied zwischen den einzelnen Gemeinden“. Die Zuwendungen der Gemeinde Tuntange erschöpfen sich denn auch in den Geldern für die Integrationsprojekte, die auf Schulebene durchgeführt werden. „Wir hatten recht früh eine Integrationsklasse“, berichtet Erpelding. Die Klassen sind kleiner als im nationalen Durchschnitt, es steht mehr Lehrpersonal zur Verfügung und die Sprachenunterstützung wird intensiver betrieben. Abgesehen von dieser Leistung ist die Gemeinde nicht weiter in den Betrieb des Heimes involviert. „Die einzige Bedingung, die wir bei der Baugenehmigung des neuen Heimes stellten, war die Bewilligung einer Begleitperson vor Ort“, stellt der Bürgermeister klar. Diese Begleitperson ist seit der Eröffnung der Sicherheitsbeamte, der in der Pförtnerloge sitzt und bei Bedarf auch kleine Dienste im Haus verrichtet. Die Sozialarbeiterin des „Office luxembourgeois de l’accueil et de l’integration“ (OLAI) schaut nur ab und zu vorbei.

Seit sieben Jahren ist Branko* aus dem Kosovo nun schon in Luxemburg. Und seit zwei Jahren lebt der Mitvierziger im Marienthal. Er verfügt über einen Duldungsstatus, der alle sechs Monate erneuert werden muss. „Wir schlagen uns durch“, meint er. Die Hilfsbereitschaft unter den Bewohnern des Containerheims sei groß und über die praktischen Lebensbedingungen könne er nicht klagen. Schlimmer als die Isolation in Marienthal sei für ihn das Warten. Das Warten auf ein normales Leben.

*Name von der Redaktion verändert.


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