EU-KLIMAPOLITIK: Schlafender Riese?

Wie kann die EU ihre Rolle als Vorreiterin im Klimaschutz wieder-gewinnen? Wer danach fragt, muss den Blick darauf richten, weshalb sie diese Stellung beim Klimagipfel vor zwei Monaten nicht innehatte.

Connie Hedegaard wird die Krallen zeigen müssen, um ihre horizontale Zuständigkeit im Klimabereich gegen die Kommissarskollegen durchzusetzen.

Nur zögerlich rücken Europas Politiker davon ab, blind gegen die Sündenböcke China und USA zu wettern. Bei ihrer Anhörung vor dem Europäischen Parlament vergangenen Januar schlug Connie Hedegaard, Gastgeberin des Kopenhagener Gipfels und designierte Klimaschutzkommissarin, einen neuen Ton an. Am „Desaster“, wie der schwedische Umweltminister Andreas Carlgren, den Ausgang des Klimagipfels nannte, ist die EU in ihren Augen eindeutig mitverantwortlich. Die Achillesferse der Möchtegern-Vorreiter von Kopenhagen hat sie schonungslos enttarnt: „Wir haben so viel Zeit damit verbracht, eine EU-interne Übereinstimmung zu suchen, dass wir am Schluss fast nicht mehr fähig waren, zu verhandeln.“

Nach Kopenhagen: Hoffen auf Lissabon

Die Bedingungen zur Herstellung interner Kohärenz haben sich nach Kopenhagen verändert. Zuvorderst sind das Selbstbewusstsein und der Optimismus mit dem die Europäer dem großen Deal entgegenfieberten vorerst dem Schock und der Ratlosigkeit über den Verlust des diplomatischen Gewichts gewichen. Die internationale Klimapolitik der EU liegt im Koma. Ein erster Impuls für ihre Wiederbelebung „nach Kopenhagen“ könnte davon ausgehen, dass der Lissabonvertrag in Kraft ist und deshalb das institutionelle Gefüge reformiert wird. Denn mit der neuen Kompetenzverteilung innerhalb der Kommission soll der Klimaschutz fortan stärker in alle Politikbereiche integriert werden. Kommissionspräsident José Manuel Barroso hat für diese Aufgabe eine neue Generaldirektion (GD), wie man die Verwaltungseinheiten der Kommission nennt, geschaffen.

Aber es gibt Zweifel an der neuen Kompetenzverteilung. Bezeichnenderweise waren die europäischen Grünen gegen eine gesonderte Klimaschutzdirektion. Eine Doppelspitze für die GD Umwelt, so der luxemburgische Europaabgeordnete Claude Turmes gegenüber der woxx, hätte der Sache eher gedient. Die neue Klimaschutzkomissarin müsse sich in viele Politikressorts einmischen, wozu sie mit ihren etwa 80 Mitarbeitern gar nicht die Mittel habe. Zum Vergleich: Die GD Umwelt hat 750 Mitarbeiter, die GD Verkehr und Energie etwa 1.000. Da es bisweilen keine explizite Regelung für die Koordination zwischen der neuen Klimaschutz-GD und den anderen Generaldirektionen gebe, könnten die Bemühungen einer Connie Hedegaard schlimmstenfalls im Institutionenalltag einfach verpuffen. Turmes bemüht entrüstet den Vergleich zu „Klimakriegern“, die gegen von vornherein überlegene „Truppen“ in den Kampf geschickt würden. Ganz verfehlt ist das Bild nicht, denn die Liste der Kommissare, mit deren Ressorts sich die Mission der Klimakommissarin überschneidet, ist lang. Am engsten wird die Zusammenarbeit wohl mit Energiekommissar Günther Oettinger, Umweltkommissar Janez Poto?cnik, Verkehrskommissar Siim Kallas und Landwirtschaftskommissar Dacian Ciolo sein müssen. Letzterer Sektor ist in diesem Zusammenhang bisher wenig beachtet worden, hat aber mindestens ein Zehntel der europäischen Treibhausgasemissionen zu verantworten.

Bereits jetzt zeichnet sich ab, dass die Zielvorstellungen der einzelnen Kommissare nicht deckungsgleich sind. Günther Oettinger, deutscher CDU-Politiker und neuer Energiekommissar hat in einem Interview im Deutschlandfunk den verwirrenden Satz geäußert, die Atomenergie sei natürlich nur eine „Brückentechnologie“, aber weder die Länge der Brücke sei klar, noch wohin sie führe. Seine Kollegin Hedegaard hat sich zur Rolle der Atomenergie anders geäußert: Sie sei nicht nachhaltig und dürfe keine Priorität im energie- und klimapolitischen Lösungspaket haben. Die Meinungsverschiedenheiten in solchen Grundsatzfragen beginnen sogar schon innerhalb der einzelnen Parteien auf nationaler Ebene, wie es der Fall von Oettingers Parteikollegen, dem deutschen Umweltminister Norbert Röttgen dieser Tage demonstriert. Mit seinen Aussagen über einen möglichst schnellen Ausstieg aus der Atomenergie hat er sich bei Teilen der CDU harsche Kritik eingehandelt.

Eine weitere Reform durch den Lissabonvertrag betrifft das Europaparlament, das nun in der Agrarpolitik ein gestärktes Mitspracherecht hat. Neu ist auch, dass es die Kommission zu Initiative auffordern kann. Diese muss dem Vorschlag innerhalb eines Jahres nachgehen oder ihn begründet ablehnen. Inwiefern diese Stärkung konkordanzdemokratischer Elemente im europäischen Institutionengefüge sich auf die Kohärenz der Klimapolitik auswirkt, bleibt aber noch abzuwarten. Der deutliche Ton in einer Resolution des EP vom 10. Februar lässt vermuten, dass mehr Macht für das EP zumindest während der laufenden Legislaturperiode auch mit mehr Klimaschutz einhergeht. Die europäischen Volksvertreter befürworten nicht nur höhere Emissionsreduktionen, sondern auch eine „Neue Europäische Klimadiplomatie“ unter der Leitung der Klimakommissarin. Hier kann Connie Hedegaard also mit Unterstützung für eine ehrgeizige Klimapolitik rechnen.

Anspruch und Realität

Für den nächsten Klimagipfel in Mexiko kommenden Dezember wird vor allem die Kohärenz im Rat – also zwischen den Regierungen der einzelnen Mitgliedstaaten ? wichtig sein. Die europäische Verhandlungsführung werden die Belgier übernehmen. Die dem Rat der EU aktuell vorsitzenden Spanier haben bei einem ersten informellen Treffen in Sevilla vergangenen Januar noch keine Fortschritte bei der Konsensfindung bewirken können. Das Resultat der Gespräche war, dass die EU vorerst beim Angebot bleibt, ihre Emissionsreduzierung gegebenenfalls von 20 auf 30 Prozent zu steigern. Und das obwohl unter anderem Deutschland, Großbritannien und die Niederlande gefordert haben, von dieser in Kopenhagen bereits gescheiterten Taktik abzulassen und sich sofort auf ein durchaus realistisches Ziel von Minus 30 Prozent festzulegen. Dies zeigt, dass die Europäer sich über Grundsätzliches noch immer nicht einig sind.

Am Beispiel Luxemburg wird deutlich, dass der Anspruch der Vorreiterrolle von einigen Mitgliedstaaten nur halbherzig getragen wird. Weil die Regierung weiterhin von ernsthaften Bemühungen zu Hause absieht, behindert auch das Großherzogtum die EU dabei, auf den Zug der energie- und klimapolitischen Wende aufzuspringen und untergräbt so den Anspruch der EU auf eine „Vorreiterrolle“. Erst im Januar legte die Regierung der Kommission ein Dokument vor, in dem sie ankündigte, die Erneuerbare-Energien-Richtlinie nicht einhalten zu können. Diese europäische Vorgabe aus dem Jahr 2009 besagt, dass Luxemburg bis 2020 elf Prozent seines Gesamtbedarfs aus erneuerbaren Energien speisen muss. Momentan liegt dieser Anteil knapp unter einem Prozent.

Hinzu kommt, dass Nachhaltigkeitsminister Claude Wiseler in einem Interview vom 5. Februar im „L’Essentiel“ nicht ausschloss, den Einkauf von Emissionsrechten im Ausland als wesentliches Instrument der luxemburgischen Klimapolitik beizubehalten. Solche Aussagen müssen „Votum Klima“, dem Zusammenschluss klimapolitisch engagierter NGOs einen Dämpfer versetzt haben. Sie waren von der Regierung zu einem ersten Gespräch eingeladen worden, um Ideen über den neuen Klima-Aktionsplan auszutauschen. Bis zum Herbst sollen weitere Treffen mit den Vertretern der Zivilgesellschaft folgen. Deren Position ist deutlich: Votum Klima hat im Februar an den Premierminister Jean-Claude Juncker appelliert sich „dafür einzusetzen, dass die EU-Kommission bis zum nächsten EU-Gipfel Ende März mit der Ausarbeitung konkreter Vorschläge zur Erhöhung des EU-Reduktionsziels beauftragt wird“. Dafür müsste er zunächst die Position der eigenen Regierung revidieren, die es bisher vorzog, sich mit einem klimapolitischen Minimalkonsens zu arrangieren, statt für eine ambitionierte Klimastrategie ohne Schlupflöcher zu mobilisieren. Auch in Luxemburg fehlt die strategische Kohärenz, die das Unterpfand für die gerne in Anspruch genommene „europäische Vorreiterrolle“ im Klimaschutz ist. Aber wenn die EU nicht Klimaschutzriese wird, bleibt sie unter Umständen auch in Mexiko ein Diplomatiezwerg.

Pia Oppel hat Politikwissenschaft und Geschichte in Freiburg (D) studiert und arbeitet derzeit als freiberufliche Journalistin in Madrid.


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