MALEREI: Makaberer Eulenspiegel

Der Einfluss James Ensors auf die Malerei des 20. Jahrhunderts ist kaum zu unterschätzen. Sein satirischer Witz, der später in Sarkasmus umschlug, seine fantastischen, zum Teil makaberen Sujets, aber auch seine rüden Darstellungen der gesellschaftlichen Verhältnisse nahmen Themen und Stile vorweg, die später von den Expressionisten und Surrealisten aufgegriffen und weiter verarbeitet wurden. Die ihm angemessene Anerkennung bekam Ensor erst spät, zu einer Zeit, als er sich, festgefahren in Vorbehalten, bereits mäßig erfolgreich der Musik zugewandt hatte. Heute sind seine Arbeiten in Museen und Galerien auf der ganzen Welt zu sehen. Darunter auch sein berühmtestes Gemälde „L’Entrée du Christ à Bruxelles“, ausgestellt im Getty’s Museum in Los Angeles und so wohl für immer dem Leihverkehr und damit einer Ausstellung in Europa entzogen.

Zu seinem 150. Geburtstag widmet sich das Musée national d’histoire et d’art allein dem grafischen Werk des belgischen Malers und zeigt in einer Ausstellung mit mehr als 200 Arbeiten die breite Palette der Themen, derer er sich angenommen hat.

Ensor, 1860 in Ostende geboren und mit 89 Jahren ebenda gestorben, hat seine Heimatstadt, abgesehen von einem zweijährigen Studium an der Académie royale des Beaux-Arts in Brüssel und dreier kurzer Reisen ins Ausland nie für längere Zeit verlassen. Seine Eltern unterhielten in dem Seebad ein Souvenirgeschäft wo sie, neben allem möglichen Tand auch Karnevalsmasken verkauften. So wurde Ensors Leben vom Tourismus geprägt, den er bald verabscheute, und diesen grinsenden Masken, die er den Menschen vom Gesicht reißen wollte um ihnen ihre Eitelkeit vor Augen zu führen.

Die jetzt gezeigten Radierungen entstammen größtenteils der produktivsten Periode seines künstlerischen Schaffens von 1885 bis Mitte der neunziger Jahre des 19. Jahrhunderts und stellen diese Grundhaltung anschaulich dar. Mit Vorliebe zeigt der „Maler der Masken“ die Menschen in Situationen, in denen ihre Individualität und ihre nach außen getragene Position innerhalb der Gesellschaft auf der Strecke bleibt, sei es beim Karneval, am Strand oder in großen Menschenansammlungen. Er enthüllt ihr Wesen mit beißendem Spott und derbem Humor, in Bildern, die zum Teil auch heute noch, in Zeitungen abgedruckt, als zu anstößig empfunden würden. Dabei bekennt er sich, wie kaum ein anderer Künstler, auch zur Karikatur und nutzt freimütig ihre Mittel zu seinem Zweck. Er hält der Gesellschaft ihre grotesk entstellten Gesichtszüge im Spiegel vor.

Daneben verweist Ensor auch immer wieder auf den Tod, das Leben auf des Messers Schneide und folgt damit der Tradition des Totentanzes. Dieses Faible für das Makabere zeigt Ensor auch bei der Beschäftigung mit seinem eigenen Tod. Besonders prägnant sind hier zwei Selbstporträts. Das eine zeigt ihn selbstbewusst an einem Fenster stehend, entstanden nach einer dem gegenüber gestellten Fotografie, sein Gesicht ausgetauscht durch einen nackten Schädel. Das andere zeigt ihn zu seinem hundertsten Geburtstag im Jahr 1960 als Gerippe auf einem Bett liegend.

Einen Schwerpunkt bilden aber seine Arbeiten zum Thema Religion und auch hier spart er nicht mit Provokation und Kritik. So hängt er neben Christus eine Frau ans Kreuz oder zeigt den Gottessohn verzweifelnd, ob der vielen Bittsteller, die sich um ihn drängen. Ganz so als wollte dieser sagen, das habe er sich anders vorgestellt. Im Gegensatz dazu mag die fehlende Anerkennung und die damit verbundene künstlerische Isolation Ensor verbittert haben, aber sein Werk hat es geprägt und zu einem Wegweiser gemacht, an dem man nicht einfach vorbeigehen sollte.

James Ensor, noch bis zum 30.Mai 2010 im MNHA.


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