Die Schaffung eines unabhängigen Internationalen Strafgerichtshofs kommt früher als erwartet. Doch das neue Gericht steht auf einem wackeligen Fundament.
Am gestrigen Donnerstag wurde am UN-Sitz in New York feierlich die 60. Ratifizierung des Vertrages über den „Internationalen Strafgerichtshof“ (IStGH) entgegenommen. Damit ist, weniger als vier Jahre nachdem in Rom 120 Staaten einem entsprechenden Vertrag zugestimmt haben, die Voraussetzung gegeben, den Gerichtshof mit Sitz in Den Haag einzurichten.
China, die USA, Indien, Israel, Bahrein, Qatar und Vietnam stimmten damals bei 21 Enthaltungen gegen die Einrichtung eines Gerichtshofes.
Das Luxemburger Parlament hatte den Vertrag bereits im September 2000 ratifiziert und konnte als 19. Staat seine Urkunde in New York hinterlegen. RechtsexpertInnen hatten eigentlich eine Ratifizierungsperiode von bis zu zehn Jahren vorgesehen. Jetzt soll das Tribunal noch im Juni dieses Jahres eingesetzt werden und seine Arbeit aufnehmen. Somit können Verbrechen gegen die Menschheit, vorausgesetzt diese finden nach dem 1. Juli 2002 statt, verfolgt werden. Eine rückwirkende Aufarbeitung von Verbrechen durch das Gericht schlieát der Vertrag jedoch aus.
Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International oder Human Rights Watch begrüáten in Stellungnahmen die schnelle Einrichtung des Gerichts. Auch wenn es bei der Ausarbeitung des Vertrages durchaus Kritik an der Ausrichtung und der Organisation des IStGH gegeben hat, so zeigen sich die Verantwortlichen der Zivilgesellschaft erleichtert, dass dieses Instrument zum Kampf gegen Menschenrechtsverletzungen binnen Kürze aktiv sein kann.
Dass die politisch stärkste Macht der Welt, die USA, dem Vertrag nicht nur nicht beitreten will, sondern sogar ein Gesetz verabschiedet hat, das es den eigenen Autoritäten verbietet, US-BürgerInnen und insbesondere Militärs der Haager Gerichtsbarkeit auszuliefern, stöát weltweit auf Unverständnis – auch bei den europäischen Verbündeten.
Aber die USA hatten bereits 1998 in Rom versucht, die Zuständigkeit des IStGH einzuschränken. Dass das Land nach seinem negativen Votum den Vertrag dennoch unterzeichnete, hatte vor allem einen Grund: Die USA wollten weiter bei der Ausarbeitung des IStGH mitbestimmen. Da die Einrichtung eines Gerichtes als solches nicht mehr verhindert werden kann, wird man sich nun wohl vor allem darum bemühen, eine Finanzierung des Gerichts über die Vereinten Nationen zu verhindern.
Diese zwielichtige Rolle machte sich Slobodan Milosevic während seines Prozesses vor dem Internationalen Strafgerichtshof über Jugoslawien zu Nutze: Anders als das IStGH ist das Jugoslawien-Tribunal nicht das Resultat einer internationalen Konvention, sondern wurde auf Beschluss des UN-Sicherheitsrates eingerichtet. Damit ist das Prinzip der freiwilligen Unterwerfung, wie sie die USA für sich beanspruchen, nicht gegeben. Der Verdacht, das Jugoslawien-Tribunal diene vor allem einer Siegerjustiz, bei der lediglich die Verlierer abgeurteilt werden, während Untersuchungen von Menschenrechtsverletzungen durch die Sieger nicht einmal zugelassen werden, wird durch die aktuelle Verweigerungstaktik der USA verstärkt.
Und damit wird auch deutlich, dass die Schaffung des IStGH, auch wenn sie schneller vonstatten geht als ursprünglich angenommen, erst der Anfang eines langwierigen Unterfangens ist. Die Gefahr, dass durch das Fernbleiben anderer groáer Staaten wie Russland oder China sich der Gerichtshof vor allem mit „kleinen Wichten“ abgeben muss, ist nicht von der Hand zu weisen. Eine solche „Klassenjustiz“ aber untergräbt die Glaubwürdigkeit und damit die Durchsetzungskraft des Gerichts.