LUTZ KONERMANN: Ein Schweizer Baron

Man muss nicht von Münchhausen heißen, um als Hochstapler Berühmtheit zu erlangen – ein Schweizer Bürger zu sein, tut’s auch. Und so erzählt „Der Fürsorger“ die Geschichte von Lügen, die zum Lebensinhalt werden können, neu.

Gefangen im Lügenspiel das er selbst vom Stapel ließ: Roeland Wiesnekker in „Der Fürsorger“.

Was würden Sie sagen, wenn da jemand käme – ein Jemand, dem sie eigentlich vertrauen – und Ihnen, und nur Ihnen, und im Geheimen, sagen würde, er könne machen, dass ihr Geld sich schnell, zuverlässig und natürlich steuerfrei vervielfältigt? Und dass das Ganze nur eine Art Rachefeldzug sei gegen „die da oben“, die sich dumm und dämlich verdienen, während unsereins jeden Tag malocht, bis er tot ins Grab fällt. Was, wenn eben dieser Jemand Sie so in seinen Bann ziehen und Sie so tiefgehend mit Ihren Ängsten und Lüsten konfrontieren würde, dass Sie gar nicht anders könnten, als ihm Ihr ganzes Erspartes in die Hand zu drücken? Lieber Leser, was wären Sie dann? Ein weiteres Opfer des Hochstaplers Hans-Peter Stadler, alias Jean-Pierre, alias Dr. Claudius Lentz. Eines Mannes, der es Jahrzehnte lang fertig gebracht hat, seinem Umfeld eine Realität vorzugaukeln, die es gar nicht geben kann. Sogar seine Familie wiegte sich bei ihm in Sicherheit. Nur er selbst wusste um den Betrug, und ebenso wusste er, mit welchen Mitteln er ihn aufrecht erhalten konnte.

Der Film „Der Fürsorger“ befasst sich mit dem Leben des Hochstaplers Hans-Peter Stadler und verarbeitet dabei einen Fall aus der Wirklichkeit. So wie früher Lügenbarone durch die Salons edler Kurtisanen rauschten, um den Damen mit ihren fantastischen Geschichten ihr langweiliges Dasein etwas spannender zu gestalten, so versucht auch der Hochstapler der Neuzeit vor allem eines: Seine Umwelt glücklich zu machen. In der Tat ist Stadler kein Bernie Madoff vor seiner Zeit und lebt nicht in Saus und Braus auf Kosten seiner betrogenen Kunden, sondern bleibt auf dem Boden, gründet zwei Familien und will eigentlich nur, dass man ihn achtet und mag. Dass er dafür in einem Lügengespinst leben muss, einem Kartenhaus, das jeden Moment zusammenfallen kann, nimmt er in Kauf. Für Stadler ist die Lüge längst zur Wahrheit, die Illusion zur Realität geworden. Er hat es soweit getrieben, dass er selbst nicht mehr unterscheiden kann, ob er gerade lügt oder die Wahrheit sagt.

Wie es dazu kommen konnte? Auf diese Frage geht „Der Fürsorger“ glücklicherweise nicht wirklich ein und erspart uns psychoanalytische Versuche, diesen außergewöhnlichen Charakter, den man eigentlich nur lieb gewinnen kann, begreifbar zu machen. Nur soviel sei gesagt: Stadler besaß nie eine richtige Familie, und seine Chancen im Leben standen eher schlecht. Aber er wollte sich nicht unterkriegen lassen und flüchtete mit seiner Jugendliebe Gerda in eine fremde Stadt, wo er sich hocharbeitete und zum „Fürsorger“ seiner Gemeinde wurde – in der Schweiz bezeichnet man als „Fürsorger“ einen Beruf, den man hierzulande Sozialarbeiter nennen würde. Eine Vertrauensperson also, die nach und nach in ein Gewirr von Lebenslügen abrutscht und sich nicht mehr aus dem selbst gewobenen Lügennetz loswinden kann.

Alles in allem ist Lutz Konermanns Verfilmung des Lebens von Hanspeter Streit (dem wirklichen Vorbild der Rolle) eine gelungene Abwechslung, zeigt sie doch, dass nicht alles, was die Gesellschaft als kriminell betrachtet, unbedingt auf Bösartigkeit fußen muss. Beim Prozess am Schluss des Films wird der Spiess sogar umgedreht, und der Zuschauer verabscheut mehr die Raffgier und Dummheit der Opfer Stadlers als den Täter selbst – zumal dieser sich an ihren Investitionen selbst nicht bereichert hat. Und man erhält einen einmaligen Einblick in die gequälte Seele eines Betrügers, der selbst gerne aus seiner Lebenslüge aussteigen möchte, doch keinen Ausweg mehr findet. Lob gebührt vor allem der Leistung des Hauptdarstellers Roeland Wiesnekker, der alle Facetten des alpenländischen Lügenbarons glaubwürdig auf die Leinwand bringt. Für die luxemburgischen Fans, die Thierry van Verweke ein letztes Mal auf der Leinwand sehen wollen, sei aber gesagt: Thierry kommt auch in seiner letzten Rolle nicht über sein Image hinweg und spielt den – bauernschlauen – Suffkopf vom Dienst. Bemerkenswert ist daher vor allem die Präsenz von Claude de Demo, ebenfalls aus Luxemburg stammend, die als Geliebte Stadlers definitiv zum Erfolg der Geschichte beiträgt.

Alles in allem also ein Film, der mehr als Unterhaltungswert zu bieten hat und auch ohne moralinsaure Schlusssequenz gute Quoten verdient hätte.

Im Utopolis und im CinéBelval.


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