PARTEIEN: Angst vor der Perestroika?

Die Kommunistische Partei Luxemburgs feierte im Januar neunzig Jahre ihres Bestehens – für manche ein Grund zum Feiern und Geschichtenerzählen. Die woxx begleitet den Versuch der KPL, historisches Terrain zu besetzen, mit einer etwas dissonanten Zitatensammlung.

Vereint für kommunistischen Journalismus. Die Redaktion der „Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek“ 1986: von links nach rechts links Romain Hilgert, Jacques Drescher, Jo Muttergé, Chefredakteur François Hoffmann, Aly Ruckert, Léon Steffen.

„Nicht vorbereitet war die Kommunistische Partei darauf, dass die Sowjetunion, die sie stets ohne die geringste Kritik unterstützt hatte, zusammengebrochen ist und dass durch den Verrat der Clique um Gorbatschow die DDR der Bundesrepublik Deutschland zum Geschenk gemacht wurde, das gesamte sozialistische System verschwand und es in ganz Osteuropa zu einer Restauration des Kapitalismus kam.“ Die Sätze aus der Rede, die Ali Ruckert, der gegenwärtige Präsident der Kommunistischen Partei Luxemburgs (KPL), vor wenigen Wochen hielt, verraten Enttäuschung, ja das Gefühl, im Stich gelassen worden zu sein.

Tatsächlich dürfte es um die KPL, die am 8. Januar ihren 90. Jahrestag feierte, seit dem Fall der Mauer 1989 zunehmend einsam geworden sein. Doch entspricht das von Ruckert gezeichnete Bild des überraschenden und unvorhersehbaren Zusammenbruchs des Realsozialismus der Wirklichkeit? Und sind die Wiedervereinigung Deutschlands und die Auflösung des Ostblocks nur das Werk einiger Verräter?

Die Geschichtsdarstellung der KPL ist ? wie die aller Parteien ? von unterschiedlichen Perspektiven, Motivationen und Interessenlagen geprägt. Es gibt den Blick von innen und den von außen, den der Parteisoldaten und den der Abtrünnigen. Es gibt Ereignisse und Erkenntnisse, die dazu führen, dass Geschichtsdarstellungen verändert werden, manchmal von ein und derselben Person und im Abstand weniger Jahre.

Zunächst einmal fällt auf, dass es die heutige KPL ist, die sich als alte und etablierte Partei feiert und sich mit Feiertagsreden und einer Ausstellung die Hoheit über die Darstellung von 90 Jahren Kommunismus zu sichern versucht. Ihr Parteipräsident hatte bereits 2006 eine Geschichte der KPL zu schreiben begonnen, von der bis jetzt drei Bände (1921-1960) erschienen sind. Genauso auffällig ist aber das Schweigen der „jungen“ Partei „Déi Lénk“, die aus einem Spaltungsprozess der KPL hervorgegangen ist. Interessanterweise setzt diese Partei auf ihrer Internetseite ihre Entstehung im Jahr 1999 an und nimmt keinerlei historischen Bezug auf die Entwicklung des Luxemburger Kommunismus seit 1921. Allenfalls verweist sie darauf, Resultat einer Sammlungsbewegung aus KPL, Neuer Linken, trotzkistischer Partei sowie einigen sozialdemokratischen DissidentInnen und Unorganisierten zu sein. Dabei war in der Phase der internen Infragestellung der KPL in den Achtziger- und Neunzigerjahren die Interpretation geschichtlicher Ereignisse ein wichtiges Instrument der unterschiedlichen politischen Selbstpositionierungen gewesen. Und einige Ex-KPL-Mitglieder haben in den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts in Buch- und Zeitungsartikeln die Geschichte der Partei mitgeschrieben. Es waren oft dieselben, die auch zum Ende des „realen“ Sozialismus etwas zu sagen hatten, das sie ab 1989 live miterlebten.

Bollwerk Sowjetunion

Anders als manche anderen kommunistischen Parteien entwickelt die Luxemburger KP nicht von sich aus eigenständige und kritische Positionen zur Tagespolitik oder zur geschichtlichen Entwicklung, sondern lehnt sich eng an den Diskurs der Sowjetunion an. Erst als Chruschtschow 1956 zum Ende des stalinistischen Personenkults aufruft, folgt die KPL dieser Öffnung; als Breschnew jedoch 1964 die Tauwetterperiode beendet, wird es auch in Luxemburg wieder still. 1969, nach der Niederschlagung des Prager Frühlings, berichtet Jean Kill in der „Nouvelle revue internationale“ über die „hystérie anticommuniste à laquelle les événements de Tchécoslovaquie ont servi de prétexte. Les communistes luxembourgeois avaient, on le sait, donné leur soutien aux actions de cinq pays membres du Traité de Varsovie.“

1978 meint Henri Wehenkel in „Die Russische Revolution aus Luxemburger Sicht“: „Stalingrad gab jenen recht, die nie daran gezweifelt hatten, dass die Sowjetunion das sicherste Bollwerk gegen die Reaktion darstelle und dass die revolutionäre Energie des russischen Volkes trotz aller Widerwärtigkeiten nicht erloschen seien.“ Ein zentrales Beispiel für die Verteidigung des Bollwerks Sowjetunion ist der Umgang mit dem Hitler-Stalin-Pakt von 1939. 1960 heißt es in „40 Jahre kommunistische Partei“: „Um die perfiden Manöver der westlichen Staatsmänner gegen die Sowjetunion zu durchkreuzen, schloss die Sow-jetregierung mit Hitlerdeutschland einen Nichtangriffspakt ab, der den Angriff Hitlers gegen die Sowjetunion um zwei Jahre aufschob und dieser die Gelegenheit gab, die Abwehr besser zu organisieren.“ Das geheime Zusatzprotokoll, in dem die zwischen Deutschland und der Sowjetunion gelegenen Länder vorausschauend in zwei Interessenssphären aufgeteilt wurden, und das ab 1945 bekannt ist, wird allerdings nicht erwähnt.

Angesichts der Tatsache, dass sich auch Linke aufgrund dieses imperialistischen Manövers enttäuscht von der Vorkriegs-KP abwandten, rechtfertigt der damalige „Zeitung“-Redakteur Romain Hilgert im September 1989 die KPL-Haltung mit dem Argument, die Luxemburger Kommunisten hätten „den sowjetischen Schritt als eine Art Verzweiflungstat, um Zeit zu gewinnen“, begriffen. Vom Zusatzprotokoll hätten sie damals nichts gewusst. Dass die KPL auch in den folgenden Jahrzehnten der Doktrin der Sowjetunion folgte, die dessen Existenz einfach leugnete, klammert er noch aus. Erst ein Jahr später heißt es in seiner Artikelserie „70 Joer Kommunisten“: „Die Kommunistische Partei Luxemburgs leugnete jahrzehntelang Stalins Verbrechen. Und funktionierte als Kopie der Kommunistischen Partei der Sowjetunion, nach den gleichen autoritären Prinzipien, die Stalins Diktatur ermöglichten.“

Manche Altkommunisten halten dagegen noch zwei Jahrzehnte später einer nicht mehr existierenden Sowjetunion die Treue. Ali Ruckert, zu dieser Zeit Journalist bei der „Zeitung“, übernimmt in seiner 2006 erschienen „Geschichte der kommunistischen Partei Luxemburgs“ die alte mehrheitskommunistische Darstellung, die Sowjetunion sei durch den Nichtangriffspakt „der Gefahr eines Zweifronten-Krieges, den die reaktionären Kreise in Frankreich und Großbritannien geradezu herbeigesehnt hatten“ entgangen. Auf die Existenz des geheimen Zusatzprotokolls geht Ruckert nicht ein. In seiner Rede vom 8. Januar 2011 erwähnt er den Hitler-Stalin-Pakt erst gar nicht.

Perestroika in Luxemburg

Beweist die KPL weiterhin Treue zur Sowjetunion, oder zeigt sie eigenen Willen zur Erneuerung, als sie mit Gorbatschows ab 1985 einsetzender Politik von Glasnost (Transparenz) und Perestroika (Umgestaltung) konfrontiert wird? Im internen Informationsblatt „Militant“ heißt es jedenfalls 1988, unter dem Eindruck der in der Sowjetunion einsetzenden Entstalinisierung, es sei zu „tragischen Irrtümern“ gekommen: „Einer dieser tragischen Irrtümer führte zu [?] den ungerechtfertigten Unterdrückungsmaßnahmen unter Stalin, denen auch viele aufrechte Kommunisten zum Opfer fielen.“ Auch auf den Seiten der „Zeitung“ schlägt Henri Wehenkel im November 1988 kritische Töne an. Unter dem Titel „Die Enkelkinder des Roten Oktober“ heißt es: „Vieles war falsch von dem, was gesagt oder getan wurde. Falsch war die Vergötterung, das Unfehlbarkeitsdogma, der Wunderglaube an die Lösungen von oben. Alles steht heute zur Diskussion, keine Tabus!“

Auf das rasante Tempo, mit dem sich die Geschichte nun plötzlich abwickelt, ist im Westen jedoch niemand gefasst, am wenigsten die KPL. Angesichts der „illegalen Grenzübertritte“, die sich ab September 1989 in der DDR mehren, herrscht zunächst Sprachlosigkeit. Agenturmeldungen zur Ausreisewelle in der DDR werden sporadisch von Leitartikeln begleitet, in denen die Gründe für den Exodus im „Abwerben von Fachkräften aus der DDR“ gesucht werden. In seiner Ansprache auf dem Pressefest der „Zeitung“ spricht René Urbany in punkto DDR von den „gegenwärtigen Versuchen von BRD-Politikern, die DDR zu erpressen und sich in ihre inneren Angelegenheiten einzumischen“. Einige Wochen später übermittelt er als Parteivorsitzender der SED brüderliche Grüße zum 40. Jahrestag der Gründung der DDR. Nach knapper Erwähnung vom Rücktritt Honeckers am 18. Oktober aus „gesundheitlichen Gründen“, wird sein Nachfolger Egon Krenz freundlich begrüßt.

Erst nachdem am 9. November die Mauer gefallen ist, erscheinen persönliche Kommentare. In Reaktion auf einen „tageblatt“-Leitartikel von Alvin Sold drückt Serge Urbany am 13. November die Hoffnung der Linken aus, es handle sich nicht um „den Zusammenbruch des realen Sozialismus, sondern den Versuch, Ernst mit ihm zu machen“. Selbstkritisch merkt er auch an, man habe „in der Vergangenheit oft gerade in diesen internationalen Fragen das eigenständige Denken und Handeln vergessen ? im guten Glauben an vermeintliche Interessen des Sozialismus“. Am 14. November reagiert auch der Escher Stadtschöffe André Hoffmann und unterstreicht: „Wesentlich für mich bleibt, dass eben die kommunistischen Parteien selbst sich erneuern.“ Doch dass „die luxemburgischen Kommunisten mit ihrer Partei ?brechen`“, hält er für einen frommen Wunsch. In der kleinen Kommentar-Serie „Angst vor der Perestroika?“ zitiert sogar Ali Ruckert Gorbatschow und meint, eine offene Diskussion über die Ausrichtung des Sozialismus sei kein Zeichen von Schwäche, sondern von Stärke: „Denn es entspricht unseren kommunistischen Grundsätzen, offen an die Dinge heranzugehen und aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen.“

„Abschied vom Kommunismus?“

Doch noch erfasst man in der Zeitung nicht die Ausmaße des Umbruchs. So heißt es zunächst: „Wiedervereinigung ist in der DDR kein Thema“. Und Romain Hilgert hofft noch am 18. November, „den Menschen in der DDR würde es gelingen, dem Weg jenes Sozialismus zu folgen, den sie am 4. November forderten“. Am 20. November meint François Hoffmann, Chefredakteur der „Zeitung“: „Alles ist in Bewegung, das Volk hat gesiegt.“

Ausgeklammert bleiben derweil die internen Diskussionsprozesse. Dabei hat bereits im Oktober 1989 die „Ortsgruppe Luxemburg“ Richtlinien für die Parteiarbeit ausgearbeitet. Der ursprüngliche Sinn des demokratischen Zentralismus sei: „Einheitliches Handeln als Resultat der Meinungsvielfalt und einer offenen Diskussion, und nicht umgekehrt.“ Als Resultat der internen Debatte verabschiedet der Kongress der Kommunistischen Partei im November 1990, kurz nach dem Tod des Vorsitzenden René Urbany, eine Grundsatzerklärung, die ebenfalls auf Erneuerung setzt. Und obwohl bereits am 8. Dezember Aloyse Bisdorff zum neuen Präsident eines Zentralkomitees gewählt wird, in dem Erneuerer und Konservative sich die Waage halten, ist Romain Hilgert im Januar 1991 in seiner Artikelserie „70 Joer Kommunisten“ noch optimistisch. Der Kongress in Bettemburg habe „die radikalsten Änderungen in der siebzigjährigen Geschichte der KPL“ angenommen: „neue demokratische Statuten, eine neue Grundsatzerklärung, erstmals freie und geheime Wahlen zu allen Parteigremien“. Mit der von Herbst 1991 bis Januar 1992 erscheinenden Artikelserie „Abschied vom Kommunismus?“ unternimmt André Hoffmann schließlich als erster den Versuch, innerhalb der „Zeitung“ eine tieferschürfende Auseinandersetzung um Geschichte und Ausrichtung des Kommunismus und der KPL in Gang zu bringen.

Doch der Spaltungsprozess hat bereits begonnen. Eine Reihe von Mitgliedern haben bereits die Partei verlassen ? etwa der spätere Sozialist Dan Kersch, der laut GréngeSpoun nach der tumultartigen Landeskonferenz vom 25. März 1990 keine gemeinsame Basis mehr sieht „für eine Zusammenarbeit mit Leuten, die lauthals oppositionelle Meinungen auspfeifen, verhöhnen und niederschreien“.

1994 treten KPL und Lénk zu den Landeswahlen auf getrennten Wahllisten an, 1999 gibt es jedoch noch einmal gemeinsame Listen. In einem Interview in der „Zeitung“ unterstreicht der damalige KPL-Präsident Aloyse Bisdorff, „die „Zusammenarbeit auf der Linken“ bedeute „keineswegs ein Verschwinden der KPL, weder als Organisation noch als wesentlicher Träger der marxistischen Ideologie“. 2004 schließlich, fünfzehn Jahre nach dem Fall der Mauer, scheint der Bruch definitiv vollzogen.

Wer wird das letzte Wort behalten? Die Partei, die sich laut Ali Ruckert, „weiterhin zur Geschichte der KPL und zur Geschichte der kommunistischen Bewegung bekennt“ sie aber auf ihre Weise darstellt? Oder die andere, die diese Geschichte nicht mehr als die ihre versteht?

Zum Weiterlesen: Über die persönlichen Erinnerungen der Mitglieder der KPL an den Fall der Mauer berichtete Bernard Thomas 2009 in der woxx Nr. 1034, S. 8-11 „Beton“.


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