GRÜNE UND GERECHTIGKEIT: Sozial, aber richtig

Dass sie das Sparpaket der Regierung kritisieren würden, das konnte man von Déi Gréng erwarten. Überraschend ist, dass sich die zeitweilig als grünliberal angesehene Partei auf ihre linken Wurzeln zu besinnen scheint.

Occupy Wallstreet, September 2011. Die wirtschaftsliberale Hegemonie wird aufgeweicht.

Ein großes Durcheinander, so lässt sich das jüngste Konsolidierungspaket der Regierungsparteien am besten beschreiben. Nicht minder konfus ist die Diskussion, die es ausgelöst hat, und in der jeder jedem vorwirft, den Sozialstaat in Gefahr zu bringen. Wie erinnerlich legte Finanzminister Luc Frieden Anfang Oktober ein erstes Sparpaket zur Haushaltskonsolidierung mit einem Umfang von über 700 Millionen vor. Das war als nicht ausreichend kritisiert worden, und zwar nicht nur von den Wirtschaftsliberalen innerhalb der CSV, sondern auch von Stimmen aus den Reihen der LSAP.

Seit dem 6. November liegt nun eine zweite Fassung des Konsolidierungspakets vor, nach der fast eine Milliarde aufgebracht werden soll. Die LSAP verteidigt es als sozial ausgewogener, die Wirtschaftsliberalen scheinen trotzdem mit ihm zufrieden zu sein. Das ganze Hin und Her hat nicht nur den Finanzminister bloßgestellt, sondern auch eine grundsätzliche Diskussion über Steuergerechtigkeit und die Ausrichtung der Sozialpolitik verhindert.

Steuern, spitze

Umso interessanter deshalb, dass sich Déi Gréng zwei Tage nach Vorlage des neuen Konsolidierungspakets mit einem Aufruf zu „intelligenten und sozial gerechten Sozialleistungen“ und „Steuergerechtigkeit“ zu Wort gemeldet haben. Anders als bei den Regierungsparteien, deren Steuererhöhungen im zweiten Sparpaket eher aus der Not geboren sind, sprechen sich die Grünen prinzipiell für eine Steuerreform aus, die mehr Gerechtigkeit herbeiführen soll: Die Mehrheit der Bevölkerung werde „moderate Steuererhöhungen“ mittragen. Bedingung sei, dass diese als gerecht und transparent empfunden und die Mehreinnahmen für Sozial- und Infrastrukturausgaben verwendet werden. Die Grünen erinnern auch daran, dass die Besteuerung des Kapitals in den vergangenene Jahren stark zurückgegangen ist. „Wie sollen aufstrebende Wirtschaftszweige unterstützt werden, wenn wir nicht die reifen Früchte dort pflücken, wo sie derzeit wachsen“, fragen sie in einer Mischung aus sozialdemokratischer Tradition und ökokapitalistischer Vision.

Begrüßenswert am zweiten Konsolidierungspaket finden die Grünen, dass bei den zusätzlichen Maßnahmen die Einnahmeverbesserungen überwiegen. Sie merken allerdings an, dass diese Steuerbelastung zu Lasten der mittleren Arbeitseinkommen gehe. Statt die nicht-progressive Solidaritätssteuer zu erhöhen, müsse die Steuertabelle „mit zusätzlichen Einkommensebenen und höheren Spitzensteuersätzen ausgebaut werden“.

Steuergerechtigkeit fordert auch Dan Kersch, Staatsrat und „enfant terrible“ der LSAP, in einer freien Tribüne im Tageblatt. Unter dem Titel „Was soll das?“ argumentiert er, dass das zweite Sparpaket keineswegs sozialer sei als das erste, und bezeichnet die 500-Euro-Mindeststeuer für Betriebe als Sarkasmus und die Anhebung des Spitzensteuersatzes als winzig. Vor allem aber lehnt er die Null-Prozent-Defizit-Strategie ab ? diese sei „ein Paradigmenwechsel, der fundamentale Elemente sozialistischer Politik in Frage stellt“. Und auch ein wenig Provokation versucht er, in der Hoffnung, eine parteiinterne Diskussion anzustoßen: „Damit dürfte dann das Wahlprogramm der LSAP für die nächsten Wahlen auch schon geschrieben sein. Gerüchten zufolge soll es auf einem gemeinsamen Kongress mit der CSV verabschiedet werden.“

Sozial, unselektiv

Kerschs Kritik erscheint als etwas zu scharf, hat doch die LSAP in der zweiten Fassung des Konsolidierungspakets weitgehend ihre Ansichten durchsetzen können. Wenn allerdings Lucien Lux die Kritiker des übermäßigen Defizitabbaus als Totengräber des Sozialstaats brandmarkt und auf Griechenland und Portugal verweist, so kann man sich wirklich fragen, wo sich die LSAP-Führungsspitze positioniert: auf Seiten der Bevölkerung, die unter den Sparpaketen leidet, oder auf Seiten der orthodoxen Wirtschaftsexperten und Politiker, die diese diktieren.

Interessanterweise sieht zumindest ein LSAP-Spitzenpolitiker dies anders: In einem Beitrag im Tageblatt warnt Arbeitsminister Nicolas Schmit vor „der Gefahr des zu rapiden und brutalen Sparens“ für die Konjunktur, und damit für die mittelfristige Haushaltskonsolidierung. Und betont, man dürfe nicht „das Sparen der vorsichtigen Hausfrau auf die Wirtschafts- und Haushaltspolitik übertragen? – eine Sichtweise, die die woxx bereits seit Jahren vertritt. Die Krise scheint die Hegemonie der liberalen Sichtweise in Wirtschaftsfragen langsam aufzuweichen.

Auch bei den Grünen kann man zwischen den Zeilen der Stellungnahme zum Sparpaket lesen, dass sie um eine neue sozialpolitische Ausrichtung ringen. Zwar handelt es sich keineswegs um ein ausgefeiltes, eindeutig linkes Grundsatzpapier ? der Text ist über weite Strecken polemisch und geht weder auf die Rolle des Bankgeheimnisses beim Steuerdumping noch auf die sozialpolitischen Probleme von Ökotaxen ein. Doch statt wie in der Vergangenheit Einzelmaßnahmen, zum Beispiel neue Steuern und kostenlose Kinderbetreuung, zu fordern, stellt die Partei nun die Frage nach der grundsätzlichen Ausrichtung der Sozialpolitik.

Mehr noch, am kommenden Montag wird die Caritas eine im Auftrag der „Gréng Stëftung“ erstellte Studie zur „sozialen Selektivität“ als Antwort auf die Haushaltsdefizite vorstellen. Bezeichnend ist, dass dieses vor kurzem noch so beliebte Zauberwort in der grünen Stellungnahme zum Sparpaket überhaupt nicht mehr vorkommt. Dafür kritisieren Déi Gréng umso heftiger die – selektiven – Erhöhungen der Chèques Service zur Kinderbetreuung. Und befassen sich mit den Steuererleichterungen und Subventionen beim Wohnungsbau – die einkommensschwache Haushalte, die zur Miete wohnen, außen vorlassen. Stattdessen fordern die Grünen „höhere Investitionen in den sozialen Mietwohnungsbau“, was wiederum „gerechte“ Steuerpolitik voraussetzt – ein Prinzip, das auch von Kersch und Schmit verfochten wird. Das wäre gewiss Stoff für eine Grundsatzdiskussion innerhalb der politischen Linken.

Am 21. November organisieren Gréng Stëftung und Caritas ein Rundtischgespräch zum Thema „Kann die soziale Selektivität den Staatshaushalt wieder ins Gleichgewicht bringen?“ (Details siehe Agendateil)


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