KANZLER-DEMONTAGE: Ich-AG in der Krise

Was Rot-Grün in Deutschland fehlt, ist vor allem ein Konzept. Doch weder ein Lügenausschuss noch eine „konservative Revolution“ kann den Deutschen auch nur einen Hoffnungsschimmer auf bessere Zeiten verheißen.

Wenig Hoffnung auf besinnliche Weihnachtstage dürfte dieser Tage der deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder hegen. Sollte tatsächlich der von der CDU geforderte Lügenausschuss noch dieses Jahr seine Arbeit aufnehmen, könnte es in der Winterpause zu wachrüttelnden Pressemitteilungen kommen.

Ein solcher Untersuchungsausschuss ist nicht nur ein Novum in der Geschichte des Bundestages. Die Idee zu dessen Einführung ist an Absurdität kaum zu übertreffen. Möglicherweise wird die SPD in den nächsten Wochen den glorreichen Einfall haben, eine ähnliche Instanz rückwirkend für die 16 Jahre lang amtierende Kohl-Regierung auf die Beine zu stellen. Allein die legendäre Wahl nach dem Mauerfall, die mit einer regelrechten Desinformationskampagne im neu dazu gewonnenen Ostwahlland einherging, dürfte genug Stoff bieten, um jeden Lügendetektor an die Grenzen seiner Kapazitäten zu bringen.

Doch was passiert dann? Ist der Wahlbetrug einmal schwarz auf weiß bewiesen, geht unwillkürlich der vielzitierte Ruck durch die Republik? Wohl kaum, denn, schließlich haben die deutschen WählerInnen spätestens nach der CDU-Spendenaffaire gezeigt, dass sie in Sachen Betrug relativ hart im Nehmen sind. Eine weitere Regierung, die lügt, dürfte da tatsächlich nur noch wenige aufrechte DemokratInnen schockieren. Die medienwirksame Einführung des innovativen Lügenausschusses dient letztendlich nur einem Zweck: Sie ist eines von vielem Beweisstücken für die peinliche Einfallslosigkeit der Opposition.

Derweil sorgt die rot-grüne Regierung ganz alleine dafür, dass es mit ihrem Image kontinuierlich bergab geht. „Schröders Autorität schwindet“, titelt die Süddeutsche, „Hält der Kanzler durch?“, unkt die Bild. Gerhard Schröder steht mit dem Rücken zur Wand und knallt den GenossInnen konstruktive Feststellungen wie „Ich als Person habe die Wahl gewonnen, nicht die Partei“ vor den Latz. Bedingungslos den Worten ihres Chefs folgen wollen jedoch nicht mehr alle Köpfe der SPD. Ausgerechnet jetzt rührt sich Widerstand, hinsichtlich der Schwäche des bislang unantastbaren Kanzlers wittern so manche ambitionierte SozialdemokratInnen ihre Stunde.

So macht sich dann jedes Parteimitglied je nach Bedarf seinen eigenen Reim auf Grundsatzfragen wie etwa nach der Vermögenssteuer. Nach dem plötzlichen Kurswechsel des Kanzlers bleiben vor allem die SPD-PolitikerInnen, denen im Februar Wahlen ins Haus stehen, bei ihrem Ja zur Wiedereinführung dieser Steuer. Dass die Regierungspartei noch nicht einmal in diesem Punkt mit einer klaren Position aufwarten kann, ist ebenfalls nur ein Beispiel für Konzeptionslosigkeit, in diesem Fall des rot-grünen „Projektes“. Gegen Letzteres sollen indessen „Bürger auf die Barrikaden“ gehen: Der emeritierte Geschichtsprofessor Arnulf Baring hat zur konservativen Revolution, „zum Aufstand gegen das erstarrte Parteiensystem“ aufgerufen. „Schluss mit lustig“, meint Baring und fordert unter anderem „massenhaften Steuerboykott“. Baring darf seine rechtsextreme Vorstellungen eines autoritären Staates, mit dem er eine „DDR light“ verhindern will, in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung breittreten. Ein Protest-Projekt, das sich nahtlos in die Liste der aktuellen politischen Dummheiten einreihen kann. Gründe, eine Revolte gegen Rot-Grün anzuzetteln, gibt es natürlich mehr als genug. Wirklich gute werden derzeit jedoch trotz geballten Unmuts im Land leider nur selten genannt. Und einer Aufruhr von rechts dürften innerhalb des rot-grünen Projektes nicht nur Hardliner wie Otto Schily etwas abgewinnen können.


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