Auf Netflix: Ladies First: 
A Story of Women in Hip-Hop

Zum 50. Jubiläum des Hip-Hop 
veröffentlicht Netflix die Mini-Dokuserie „Ladies First: A Story of Women in Hip-Hop“ und wirft damit einen afro-feministischen Blick auf die Szene.

Von Anfang an ganz vorn dabei: Frauen haben den Hip-Hop entscheidend mitgeprägt, wie die Netflix Mini-Dokumentarserie „Ladies First: A Story of Women In Hip-Hop“ offenbart. (imdb.com/Netflix)

„Who said the ladies couldnʼt make it, you must be blind”, rappten Queen Latifah und Monie Love 1989 in ihrem Song „Ladies first“. Die Rap-Legenden lagen goldrichtig mit ihrer Aussage, wie die gleichnamige Mini-Dokumentarserie „Ladies First: A Story of Women in Hip-Hop“ von dream hampton („Surviving R. Kelly“), Hannah Beachler („Black Panther“) und Raeshem Nijhon („Growing Up“) in vier Folgen auf Netflix vorführt: Heute zählen Rapperinnen, besonders Schwarze Künstlerinnen, zu anerkannten Stars der amerikanischen Hip-Hop-Szene, doch der Weg dahin war steinig.

Hip-Hop wurde maßgeblich von Afroamerikaner*innen begründet und geprägt, genauso wie der dafür typische Sprechgesang, der unter anderem auf das jamaikanische „toasting“ zurückzuführen ist. Dabei singen und sprechen Menschen zur Instrumentalversion eines Songs. In „Ladies First“ kommen demnach zurecht fast ausschließlich nicht-weiße Künstlerinnen und Musikexpertinnen aus den USA zu Wort. Den Anfang machen die Pionierinnen des Hip-Hop, die die Subkultur seit den 1970er-Jahren beeinflussen.

Vorreiterinnen

Als Beginn der Hip-Hop-Kultur gilt offiziell der August 1973: DJ Kool Herc begann als einer der ersten DJs nur die Beats von Funk-, Soul- oder Discostücken zu wiederholen, statt das gesamte Lied abzuspielen. Auf seinen Block Partys – für die USA typische Feiern, bei denen Menschen aus einem Häuserblock zusammenfinden – tummelten sich die ersten Breakdancer*innen, deren Tanzstil zur Hip-Hop-Kultur gehört wie auch Graffiti. Hinzu kommen die „Masters of Ceremony“, kurz MCs. Anfang der 1970er-Jahre begleiteten sie die DJs bei ihren Auftritten, um die Menge bei Laune zu halten. Eine davon war Sha-Rock aus dem Süden der Bronx: Sie ist die erste weibliche MC, die auf einer Vinylplatte („Rapping and Rocking the House“ von Funky Four + 1) aufgezeichnet wurde. Das war im Jahr 1979.

In den Anfangsjahren bestimmten weitere Frauen das Genre, etwa Roxanne Shanté oder MC Lyte. Shantés musikalischer Schlagabtausch mit dem Hip-Hop-Trio U.T.F.O ging als „Roxanne Wars“ in die Musikgeschichte ein: 1984 konterte die damals vierzehnjährige Shanté den Rappern, die auf der B-Seite ihrer Platte „Hanging Out“ eine gewisse Roxanne besangen – sie lehnte ihre Annäherungen ab. Der siebenminütige Song, den Shanté aus dem Stegreif rappte, hatte Erfolg. Das Trio U.T.F.O setzte die Konfrontation auf seiner nachfolgenden Platte fort, weitere Lieder unterschiedlicher Künstler*innen folgten. Heute gilt der Streit als einer der ersten „rap beefs“. MC Lyte ist hingegen die erste Rapperin, die ein Soloalbum veröffentlichte. Mit zwölf nahm sie ihre erste Single auf, 1988 dann ihr Album „Lyte as a Rock“. Die bereits erwähnte Queen Latifah legte ebenfalls einen Meilenstein: Sie erhielt 1993 als erste Frau Gold für ein Rap-Album („Black Reign“).

Die Musikerinnen sind in der Serie durch Einzelinterviews, Mitschnitte ihrer Auftritte oder ihre Bewertung durch Musikexpertinnen präsent. Die bedeutenden Männer der Szene tauchen auf, doch immer nur in Bezug zu ihren weiblichen Kolleginnen. Das ist besonders lehrreich für Menschen, die Vorurteile gegenüber der Szene haben: Immerhin ist Hip-Hop ein Musikgenre, das die breite Masse vor allem mit Machos, Frauenfeindlichkeit und der Zementierung toxischer Rollenverhältnisse assoziiert. „Ladies First“ dreht den Spieß also um, ohne die Schattenseiten der Kultur auszublenden.

Die finanzielle und körperliche Ausbeutung von Frauen in der Musikindustrie kommt zur Sprache. Mehrere Rapperinnen berichten von Knebelverträgen, andere von körperlicher Gewalt und Unterstützung gegen Sex. Diese Aspekte sind eng mit dream hamptons Karriere verknüpft, denn sie steckt nicht nur hinter der Mini-Dokuserie „Surviving R. Kelly“ (2019), sondern kommentierte als eine der ersten Personen öffentlich den Angriff auf die Rapperin Dee Barnes: Diese wurde in den 1990er-Jahren von der Hip-Hop-Legende Dr. Dre auf einer Party misshandelt. Dr. Dre wurde für seine Tat verurteilt, seiner Karriere schadete dies allerdings nicht – dabei war er in der Folge mehrfach gewalttätig gegenüber Frauen. Dieser Vorfall, die Sexualverbrechen des ehemaligen Sängers und Rappers R. Kelly, aber auch die Schussverletzungen der Rapperin Megan Thee Stallion durch den Rapper Tory Lanez werden in der Serie analysiert.

2020 gab Stallion bei einer Polizeikontrolle zunächst an, sich die Verletzung durch einen Tritt in Glasscherben zugezogen zu haben – eigenen Aussagen nach, um sich und ihre Mitfahrer*innen vor Polizeigewalt zu schützen. Als sie später die Wahrheit offenbarte und es zum Prozess gegen Lanez kam, erlebte Stallion vor allem in den sozialen Medien eine Hetzkampagne: Ihre Glaubwürdigkeit wurde hinterfragt, die Geschehnisse kleingeredet. Im August diesen Jahres wurde Lanez zu zehn Jahren Haft verurteilt.

Hampton, Beachler und Nijhon stilisieren die Rapperinnen bei all dem nicht als passive Opfer, sondern betonen die Kraft der Überlebenden und die Solidarität der Frauen. Einige von ihnen haben ihre eigenen Labels gegründet, sich geschlossen hinter Barnes oder Stallion gestellt und vielversprechende Kollaborationen sowie Verträge ausgeschlagen, weil diese ihren Anforderungen nicht gerecht wurden.

Der Aufbau der Serie ist hervorragend gelungen, und es mangelt darin nicht an Höhepunkten: Zum Beispiel beleuchten die Künstlerinnen die kulturelle Aneignung der Hip-Hop-Kultur, die mit der Kommerzialisierung der Subkultur und der ungleichen Bewertung von Frauendarstellungen einhergeht. An einer Stelle heben sie etwa hervor, dass nicht-weiße Rapperinnen für ihre Freizügigkeit oder explizite Textstellen kritisiert werden, während weiße Stars wie Miley Cyrus damit Erfolge feiern.

Zwar kommt das vorgenannte Thema zu kurz, dafür legen die Serienmacherinnen mit einem weiteren interessanten Aspekt nach – der Sichtbarkeit queerer Rapperinnen. Diese seien immer Teil der Szene gewesen, jedoch insbesondere von den Männern unterdrückt und diskriminiert worden. Eine davon ist Queen Latifah, über deren sexuelle Orientierung jahrzehntelang spekuliert wurde. Erst 2021 bekannte sie sich öffentlich zu ihrer Ehepartnerin, der Choreografin Eboni Nichols. In der Serie sprechen darüber hinaus Da Brat und Chika über ihr Coming-out und darüber, inwiefern ihre sexuelle Orientierung in ihre Songs einfließt. Einziger Wermutstropfen: Künstlerinnen mit queeren Geschlechtsidentitäten fehlen.

Manchen Kritiker*innen ist „Ladies First“ nicht politisch genug, auch wenn aktivistische Rapperinnen darin auftauchen. Das mag Ansichtssache sein, denn gesellschaftspolitisch relevant ist die Serie allemal. Viel wichtiger ist ohnehin, was für einen Unterschied es immer wieder macht, Geschichte aus der Sicht marginalisierter Menschen zu erzählen und Produzent*innen aus den besagten Personengruppen den Vortritt zu lassen. Letzten Endes geht es in „Ladies First“ nämlich um so viel mehr als bloß um 50 Jahre Hip-Hop, sodass auch Menschen, die mit der Musikrichtung nichts anfangen können, auf ihre Kosten kommen.

Auf Netflix.

Cet article vous a plu ?
Nous offrons gratuitement nos articles avec leur regard résolument écologique, féministe et progressiste sur le monde. Sans pub ni offre premium ou paywall. Nous avons en effet la conviction que l’accès à l’information doit rester libre. Afin de pouvoir garantir qu’à l’avenir nos articles seront accessibles à quiconque s’y intéresse, nous avons besoin de votre soutien – à travers un abonnement ou un don : woxx.lu/support.

Hat Ihnen dieser Artikel gefallen?
Wir stellen unsere Artikel mit unserem einzigartigen, ökologischen, feministischen, gesellschaftskritischen und linkem Blick auf die Welt allen kostenlos zur Verfügung – ohne Werbung, ohne „Plus“-, „Premium“-Angebot oder eine Paywall. Denn wir sind der Meinung, dass der Zugang zu Informationen frei sein sollte. Um das auch in Zukunft gewährleisten zu können, benötigen wir Ihre Unterstützung; mit einem Abonnement oder einer Spende: woxx.lu/support.
Tagged .Speichere in deinen Favoriten diesen permalink.

Kommentare sind geschlossen.