Aus der Katastrophe von Fukushima lernen heißt für die einen, Nuklear-Unfällen vorzubeugen. Für die anderen gibt es nur eine logische Konsequenz: Auf Atomstrom verzichten.
„Risiko-Atomkraftwerk Cattenom sofort stilllegen!“, das forderte Ende vergangener Woche Claude Turmes. Aus Geldmangel, so die Vermutung des grünen Europaabgeordneten, werde auf dringend notwendige Investitionen verzichtet. Dabei beruft er sich auf ein von den deutschen Grünen in Auftrag gegebenes Gutachten, laut dem die Nachrüstung der Reaktoren nicht so erfolgt ist, wie es die französische Regierung nach der Katastrophe von Fukushima versprochen hatte. Der Weiterbetrieb von Cattenom sei, so Turmes, „eine nicht zu verantwortende Gefährdung der Menschen in der Region“.
Besagtes Gutachten bemängelt unter anderem, dass manche der sicherheitstechnischen Einrichtungen nicht unabhängig voneinander funktionieren und infolgedessen gleichzeitig ausfallen können, was insbesondere bei Flugzeugabstürzen und Erdbeben hochgefährlich wäre. Gegenüber der Frankfurter Rundschau erklärte der Gutachter Manfred Mertins, in Deutschland wäre Cattenom bereits zur Bauzeit nicht genehmigt worden.
Fakt ist, dass jedes Land die eigenen Sicherheitsstandards für die besten hält. Nach der Kernschmelze von Fukushima versicherte EDF, dergleichen könne in Frankreich nicht passieren. Gar keine Frage! Und wenn vor dem endgültigen Ausstieg 2022 doch noch ein deutsches AKW hochgeht, dann wird sich bestimmt ein japanischer Experte finden, der erklärt, was die Deutschen schon immer falsch gemacht haben.
Vor Ort in Fukushima erforscht Greenpeace derzeit die Auswirkungen der nuklearen Verseuchung auf den Ozean. Obwohl damals eine beispiellose Menge von radioaktivem Material ins Meer gelangte, ist Japan dabei, seine AKW wieder in Betrieb zu nehmen. Auch der jüngste Bericht der OECD-Energieagentur spricht sich keineswegs für einen Atomausstieg aus. Der Prozess, die Lektionen von Fukushima umzusetzen, müsse vorangetrieben werden, so der Tenor des Berichts. Es sei angemerkt, dass bei diesem Bericht der Generaldirektor der französischen Aufsichtsbehörde ASN federführend war.
Fukushima forever!
Tröstlich wäre diese „Aus den Fehlern lernen“-Sicherheitskultur, wenn es wenigstens zu einem „stillen“ Atomausstieg käme, also einem, bei dem die Reaktoren am Ende ihrer Laufzeit auch tatsächlich außer Betrieb gesetzt werden. Doch das Gegenteil ist der Fall – in Belgien wurden jüngst die Laufzeiten verlängert (woxx 1355). Und in Frankreich hat Umweltministerin Ségolène Royal ihre Absicht erklärt, für eine Laufzeitverlängerung um zehn Jahre grünes Licht zu geben, wenn die ASN diese genehmigen sollte. Damit aber würde die Regierung ihre Selbstverpflichtung brechen, bis 2025 nur mehr die Hälfte des verbrauchten Stroms aus Atomkraft zu gewinnen, merkt die Online-Zeitung Alterecoplus an. Um dieses Ziel zu erreichen, müssten nämlich zwei Dutzend Reaktoren in den nächsten zehn Jahren stillgelegt werden.
Das Kraftwerk an der luxemburgischen Grenze stillzulegen, ist derzeit jedenfalls nicht geplant. Im Gegenteil, die vier Reaktoren sollen in den kommenden Jahren durchgecheckt und modernisiert werden, damit sie fit für eine Laufzeitverlängerung sind. EDF ist auf der Suche nach Wohnmöglichkeiten für 2.000 zusätzliche Angestellte externer Dienstleister, die für diese Arbeiten nach Lothringen kommen sollen. Zwar hatte die ASN im vergangenen Jahr dem Kraftwerk ein schlechtes Zeugnis ausgestellt, was Strahlenschutz und Umweltschutz angeht. Doch, wie die Online-Zeitung Loractu.fr berichtet, erklärte Guy Catrix, Direktor des Kraftwerks, bei seiner jüngsten Pressekonferenz bündig: „Man hat mich nicht damit beauftragt, die Schließung von Cattenom vorzubereiten.“