Die Mär vom Kunstrasenverbot

Die Hitze hat wohl einigen nicht sehr gut getan – aus einer Konsultierung zur Reduzierung von Mikroplastik fantasieren manche ein drohendes Verbot von Kunstrasen herbei.

Die Apokalypse droht. Nicht etwa, weil eine Million Arten vom Aussterben bedroht sind oder weil Brände in der Arktis die Klimakatastrophe noch weiter beschleunigen. Nein, die EU will Fußball verbieten! Oder zumindest Kunstrasenplätze. Seit ein paar Tagen ist die Aufregung groß. Die EU-Kommission plane, so die Annahme, ein Verbot von Kunstrasen, tausenden Sportplätzen drohe somit die Schließung.

Auch die DP-Abgeordnete Carole Hartmann scheint von der Panik angesteckt zu sein und hat eine parlamentarische Anfrage an den Sportminister geschickt, um über die möglichen Konsequenzen eines solchen Verbots aufgeklärt zu werden. Unter anderem will sie wissen, wer für die Kosten eines Austauschs aufkäme und wie viele Sportplätze in Luxemburg betroffen wären.

Es gibt nur ein einziges Problem: Es gibt keine Pläne, Kunstrasen zu verbieten. Was es bisher gibt, ist eine Konsultierung zu der Frage, wie Mikroplastik reduziert werden kann. Dass die kleinen Plastikteilchen, die durch die „Zersetzung“ von größerem Plastikabfall, aber auch durch Abrieb von Reifen entstehen, eine Gefahr für Boden und Gewässer darstellen, darüber sind sich alle einig. Bei Kunstrasen kommt meist alten Reifen gefertigtes Mikroplastik zum Einsatz, um die Rutschgefahr zu minimieren. Laut einer Studie des Fraunhofer-Instituts sind Verwehungen von Sport- und Spielplätzen die fünftgrößte Quelle für Mikroplastik in Deutschland.

Die Europäische Chemiekalienagentur Echa hat auf Bitte der Kommission seit November 2017 einen Vorschlag für ein Verbot von Mikroplastik ausgearbeitet, in dem auch Sportplätze erwähnt werden. Im Februar des gleichen Jahres veröffentlichte sie zudem einen Bericht über die möglichen Gesundheitsgefährdungen von Mikroplastik in Kunstrasen. Darin schätzt sie, dass es bis 2020 in der EU rund 21.000 Fußballfelder und 72.000 sogenannte „Mini Pitches“ mit Kunstrasen geben wird. Die Studie kam zum Schluss, dass es zwar je nach Herkunft des Mikroplastiks im Rasen die Gefahr von Haut- und Augenirritationen gäbe, das Krebsrisiko jedoch sehr gering sei.

In dem aktuellen Verbotspapier geht die Echa auch darauf ein, dass eine Übergangsfrist geschaffen werden müsse, damit alle Akteur*innen genügend Zeit hätten, um sich anzupassen. Aktuell läuft noch bis zum 20. September eine öffentliche Konsultierung, bei der der Vorschlag der Chemiekalienagentur von allen Bürger*innen der EU kommentiert werden kann. Wie die Kommission diesen Vorschlag dann umsetzt und was der Rat und das Parlament dazu zu sagen haben, steht noch in den Sternen.

Die Kommission hat indessen schon reagiert, indem sie beteuerte, kein generelles Verbot von Kunstrasenplätzen zu planen. Darin heißt es: „Die Chemikalienagentur Echa wird der Europäischen Kommission im Frühjahr 2020 ihre Ergebnisse vorlegen. Parallel läuft auch eine umfassende Folgenabschätzung der Europäischen Kommission“. Auch betont die Kommission, dass sie sich der wichtigen Rolle von Sportplätzen „bei der Förderung von körperlicher Bewegung, Gesundheit und sozialer Integration in der gesamten EU“ bewusst sei.

Insofern müssen sich einige wohl bald ein anderes Sommerlochthema suchen – immerhin sind die vielfältigen Quellen von Mikroplastik nun etwas mehr in den gesellschaftlichen Fokus geraten. Vielleicht kann demnächst darüber diskutiert werden, dass der Straßenverkehr durch Reifenabrieb der größte Verursacher von Mikroplastik in Europa ist.


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