Digitalpolitik: Wen würden Computer wählen?

Obwohl Digitalisierung schon mehrere Jahrzehnte lang ein Thema ist, hinken viele Parteien in ihren Programmen hinterher und haben nicht viel mehr als Schlagworte zu bieten.

Der „AI-Act“ verbietet gewisse Formen der Gesichtserkennung. Der Massenüberwachung durch große Konzerne im Internet schiebt das jedoch keinen Riegel vor. Manche Luxemburger Parteien kämpfen dagegen, anderen scheint das eher egal zu sein. (Foto: Image by Comuzi/© BBC/Better Images of AI/Surveillance View A./CC-BY 4.0)

Die EU müsse ihre Investitionen im Bereich der sogenannten „Künstlichen Intelligenz“ (KI) verstärken und die Mittel besser einsetzen. Das ist das Urteil des Europäischen Rechnungshofes, der am vergangenen Mittwoch einen Spezialbericht zum Thema veröffentlichte. Das dürfte die meisten Luxemburger Parteien freuen, denn in ihren Vorschlägen zur europäischen Netz- und Digitalpolitik findet man diese Forderung oft. Grundsätzlich bleibt jedoch, wie auch schon vor fünf Jahren (woxx 1525), bei vielen Parteien unklar, was sie genau umsetzen wollen. So hat man oft den Eindruck, dass sie sich mit Schlagwörtern wie Digitalisierung oder KI eine Aura des Modernen geben wollen, ohne jedoch eine ausgeklügelte Politik formulieren zu können oder zu wollen. Gleich drei Parteien schreiben nicht einmal eine Zeile zum Umgang mit Computern und Daten: Mir d’Vollek, die KPL und Zesummen d’Bréck.

Bemerkenswert ist auch, dass viele Parteien von einer zweifachen Transition reden: der ökologischen und der digitalen. So, als sei das Internet nicht schon vor 35 Jahren erfunden worden, Smartphones nicht schon seit 15 Jahren am Markt und der Prozess der Digitalisierung nicht schon älter als so manche Kandidat*innen. Nicht alle Parteien blicken gleich hoffnungsvoll auf neue Technologien: Der Ton, der in den Wahlprogrammen angeschlagen wird, reicht von optimistisch über warnend bis hin zu sehr pessimistisch.

Am optimistischsten ist die CSV, die „ein starkes Europa für eine starke digitale Union“ verspricht und die EU zu einer „Digitalmacht bei Schlüsseltechnologien“ ausbauen will. Wie das genau passieren soll, wird in dem eher kurzen Wahlprogramm nicht verraten, dafür werden viele Schlagworte benutzt, allen voran „KI“, die verstärkt gefördert und marktreif gemacht werden soll, einen Verweis auf den kürzlich abgestimmten „AI Act“ der EU gibt es auch. Das andere große Thema der CSV sind Quantencomputer. In diese Rechner, die die Gesetze der Quantenmechanik nutzen, um Berechnungen durchzuführen, werden große Hoffnungen gesetzt. Doch bisher wurden nur Prototypen hergestellt, einen richtigen Durchbruch gab es noch nicht. Ein Artikel in der Fachzeitschrift „Nature“ sagte 2023 sogar, Quantencomputer seien – im Moment – für nichts zu gebrauchen. Die CSV will also vor allem modern wirken, ist aber vielleicht auch einem kurzfristigen Hype aufgesessen. Die einzige Kampfansage an große Internetunternehmen ist das Versprechen, sich gegen Geoblocking einzusetzen, das es sogar in einen Wahlkampfspot geschafft hat. Diese Forderung stand bereits letztes Jahr im Wahlprogramm der CSV – wie die komplizierte Copyrightsituation etwa bei Streamingplattformen gelöst werden soll, darüber schweigt die Partei.

(Bildquelle: Clarote & AI4Media/Better Images of AI/User/Chimera/CC-BY 4.0)

Auch Fokus konzentriert sich im Bereich der Digitalpolitik beinahe ausschließlich auf KI. Die Partei lobt den „AI Act“ und sagt KI-Technologien eine große Zukunft voraus, warnt jedoch auch vor Missbrauch durch „feindliche Mächte“. Viel näherliegende und bereits existierende Probleme wie Vorurteile, die von Algorithmen übernommen und verstärkt werden, werde nicht erwähnt. Große Internetfirmen werden in Sachen Steuern erwähnt: Die europäischen Steuerzahler*innen hätten „viel zu lange unter der faktischen Steuerfreiheit der Geldunternehmen und der digitalen Riesen gelitten“.

KI und USB-C

Die DP gibt sich zwar ebenfalls optimistisch, was neue Technologien angeht, ist jedoch viel vorsichtiger und hebt mögliche Probleme hervor. Der liberalen Partei ist der Schutz des geistigen Eigentums von Künstler*innen ein wichtiges Anliegen, weswegen sie will, dass die EU stärker interveniert, wenn KI-Unternehmen, die etwa Bildgeneratoren programmieren, unerlaubt Fotos und Kunstwerke als Trainingsdaten verwenden. Die DP macht sich auch Sorgen über die Veränderungen, die durch derartige KI-Anwendungen im Kultursektor passieren. Die Bemühungen, die mit dem „AI Act“ eingeleitet wurden, sollen fortgesetzt werden. Ein weiterer Punkt, den die DP betont, ist der Kampf gegen Cyberkriminalität. Sie will außerdem „das enorme Potenzial digitaler Daten“ ausschöpfen, ohne dabei den Datenschutz zu verletzen. Dazu gehören auch Gesundheitsdaten, wie die DP betont. Ist sie bei KI-Anwendungen vorsichtiger, so scheint der Datenschutz für die DP durch gute Regulierung problemlos umsetzbar. Eigentlich zeigt der Alltag etwas anderes: Große Firmen wie Google, Meta, Amazon und Apple tracken Nutzer*innen bei jedem Schritt im Internet und auch die europäische Datenschutzverordnung bietet einen nur geringen Schutz dagegen.

Déi Gréng nehmen eine ähnlich vorsichtig-optimistische Position ein. So bezeichnen sie KI als „die wohl größte technologische Revolution seit der Erfindung des Internets“ – eine Aussage, die man bezweifeln kann – wollen sich aber gleichwohl für eine achtsame Umsetzung des KI-Gesetzes der EU einsetzen. Déi Gréng kritisieren sowohl den „amerikanischen Überwachungskapitalismus“ als auch die staatliche Kontrolle wie in China. Dem will die Partei ein europäisches Modell entgegensetzen, das einerseits auf dem „Digital Services Act“ beruht, andererseits auf einem „Gesetz zur digitalen Fairness“, das Nutzer*innen vor aufdringlichen Werbepraktiken schützen soll. Unklar ist, was Déi Gréng genau mit „aufdringlich“ meinen und ob unaufdringliche Überwachung nicht auch verhindert werden sollte.

Den Versuchen, eine sogenannte „Chatkontrolle“ einzuführen, setzen Déi Gréng ein Recht auf sichere Kommunikation und Verschlüsselung entgegen. Wenig überraschend setzt sich die Partei auch für mehr Nachhaltigkeit bei der digitalen Infrastruktur ein: Durch eine Verordnung soll der Energieverbrauch von Rechenzentren, aber auch von Kryptowährungen sinken. Einheitliche Ladekabel für Geräte wie Smartwatches, E-Reader und Kopfhörer fordern Déi Gréng ebenfalls – dabei gilt die Regelung, die USB-C-Ladekabel für Mobiltelefone vorschreibt, ebenfalls für „Tablets, Digitalkameras, Kopfhörer, Headsets, tragbare Videospielkonsolen, tragbare Lautsprecher, E-Reader, Tastaturen, Mäuse, Ohrhörer und tragbare Navigationsgeräte“. Nachbessern müsste man also nur bei den „smarten“ Armbanduhren.

Kostenloses Internet für alle

Die LSAP erwähnt KI nicht und hat einen grundlegend anderen Blick auf digitale Politik und betont den Schutz von Arbeitnehmer*innen und Konsument*innen vor den Praktiken großer Internetkonzerne. So wollen die Sozialdemokrat*innen Plattformarbeit und generell die Digitalisierung in der Arbeitswelt regulieren. Außerdem sollen die Rechte der Konsument*innen durch eine Verstärkung des „Digital Services Act“ verbessert werden. Außerdem fordert die LSAP Investitionen in digitale Infrastrukturen und einen fairen, gleichberechtigten Zugang zum Internet für alle Menschen, damit einhergehend soll das Prinzip der Netzneutralität verteidigt werden.

Ähnlichkeiten finden sich bei den Forderungen von Déi Lénk, die einen kostenlosen Basiszugang zu Telekommunikationsdiensten sowie mehr digitale Bildung fordern. Diese dürfe jedoch nicht nur die Funktionsweise bestimmter Werkzeuge erklären, sondern auch die sozialen, ökologischen und datenschutzrechtlichen Probleme im Zusammenhang damit. Die linke Partei will, dass auch digitale Dienstleistungen sich sozialen und ökologischen Kriterien unterwerfen müssen, und wollen die Monopole der „digitalen Konglomerate“ wie Google, Amazon, Microsoft, X und Apple brechen und stattdessen die Entwicklung und den Einsatz von quelloffener Software fördern. Im Bereich der KI will Déi Lénk eine „ehrgeizige europäische Regelung“ verabschieden – der „AI Act“ wird nicht erwähnt. Generell betont die linke Partei, digitale Märkte und Dienstleistungen stark regulieren zu wollen. Erfrischende Töne in Bezug auf den Fortschritt der Digitalisierung finden sich ebenfalls: „Es ist nicht mehr nötig, von einer galoppierenden Digitalisierung oder einer fortschreitenden Digitalisierung zu sprechen. Wir leben bereits jetzt in einer digitalisierten Welt.“

Die Piratepartei hat sich, zumindest was ihr Digitalprogramm angeht, auf ihre Wurzeln besonnen. Die Partei fordert, wie in ihrer Ursprungszeit, eine Lockerung des Urheberrechts: Neben einem Verbot von Kopierschutzmaßnahmen und dem Schutz von Parodien und Zitaten soll unkommerzielles Filesharing erlaubt werden. Wie die CSV sagen die Pirat*innen ebenfalls dem Geoblocking den Kampf an. Außerdem setzt die Partei einen starken Fokus auf Datenschutz und ist gegen die Chatkontrolle, den Ausbau von Videoüberwachung im öffentlichen Raum und Vorratsdatenspeicherung. In Bezug auf KI legt die Piratepartei einen erfrischenden Realismus an den Tag („diese Maschinen sind (noch) nicht wirklich ‚intelligent‘) und fordert eine Überarbeitung des „AI Acts“ sowie ein Verbot automatisierter Systeme bei der Kriminalitätsbekämpfung und Kriegsführung. Personen, deren Daten durch automatisierte Systeme ausgewertet werden, sollen darüber informiert werden müssen. Einen stärkeren Schutz für Künstler*innen, wie ihn die DP fordert, lehnen die Pirat*innen jedoch „strikt ab“.

Den Status der Digitalpartei könnte die Piratepartei jedoch bald verlieren: Auch die paneuropäische Partei Volt hat einige sehr ausführliche Kapitel zu digitalen Themen. KI-Systeme will Volt einer obligatorischen Prüfung unterziehen, damit die Privatsphäre nicht verletzt wird und Diskriminierungen vermieden werden. Ein Vorhaben, das in der Realität wohl nur schwer umsetzbar wäre. Die Partei betont auch ihr Bekenntnis zum Datenschutz. Ein ganzer Abschnitt ist dem Einsatz von quelloffener Software gewidmet, den Volt verstärken will. Software, die für den öffentlichen Dienst entwickelt wird, soll ebenfalls unter einer Open-Source-Lizenz veröffentlicht werden. Grundsätzlich ist der Ton des Volt-Wahlprogramms optimistischer als jener der Piratepartei, das Schlagwort „Innovation“ fällt sehr oft.

Warnen vor Schreckgespenstern

Die beiden Rechtsaußen-Parteien Luxemburgs, Déi Konservativ und ADR, blicken zum Teil sehr negativ auf digitale Technologien oder ihre Regulierung. Das Wahlprogramm von Déi Konservativ betont die Wichtigkeit des Datenschutzes und die Chancen sowie Gefahren von KI-Systemen. Datenschutz soll laut der Partei „wieder“ in nationalstaatliche Verantwortung, sie lehnt einen europäischen Gesundheitsdatenraum ab. Gelobt wird hingegen der einheitliche Ladestecker.

Auch die ADR sieht den geplanten europäischen Gesundheitsdatenraum sehr kritisch und will auch den Transfer von statistischen Daten an andere Staaten oder internationale Organisationen wie Eurostat restriktiver handhaben. Auch die – bereits funktionierende – Übermittlung von anonymisierten Daten von Autos wie dem Treibstoffverbrauch will die ADR nicht. Mit dem „Digital Services Act“ sieht die Partei die Meinungsfreiheit in Gefahr und spricht davon, damit sei eine „effektive Zensur“ eingeführt worden. Gemeint ist damit, dass Hasskommentare von sozialen Netzwerken schnell gelöscht werden müssen, was der ADR und ihren Wähler*innen wohl nicht gefällt. Auch im Bereich der KI sieht die ADR eher Gefahren und spricht sich für eine strenge Reglementierung aus, wenn diese in kritischen Bereichen eingesetzt werde. In ihrem Programm spricht die Partei zwar nicht über die reale Massenüberwachung im Internet, malt jedoch Schreckgespenster an die Wand, in denen Bürger*innen am Konsum gehindert würden, wenn sie ein theoretisches individuelles CO2-Budget aufgebraucht hätten.

Wie immer ist es schwierig, die sehr unterschiedlich langen und detaillierten Wahlprogramme wirklich miteinander zu vergleichen. Auffällig ist jedoch, dass nur wenige Parteien es schaffen, eine Digitalpolitik abseits von Schlagworten zu formulieren. Allerdings werden auch in diesem Bereich immer öfters die ideologischen Unterschiede und die verschiedenen Schwerpunktsetzungen sichtbar.

 

Was ist der „AI Act“?

Das KI-Gesetz der EU, auch „AI Act“ genannt, wurde am 21. Mai von den 27 EU-Mitgliedsstaaten endgültig verabschiedet und wird in zwei Jahren in Kraft treten. KI-Systeme werden in verschiedene Risikokategorien eingeteilt und entsprechend reguliert werden. Soziale Bewertungssysteme, emotionale Überwachung am Arbeitsplatz oder in Bildungseinrichtungen und biometrische Kategorisierungssysteme gelten zum Beispiel als unannehmbare Risiken und sind verboten. Als hochriskante Systeme, die streng reglementiert sind, gelten zum Beispiel solche, die Bewerbungen automatisch filtern und bewerten oder solche, die Asylfälle bewerten sollen. Aber auch sogenannte „Allzweck-KI“ wie beispielsweise ChatGPT muss in Zukunft besser dokumentiert werden. Zur Umsetzung des Gesetzes gründet die EU-Kommission ein spezielles KI-Büro.


Cet article vous a plu ?
Nous offrons gratuitement nos articles avec leur regard résolument écologique, féministe et progressiste sur le monde. Sans pub ni offre premium ou paywall. Nous avons en effet la conviction que l’accès à l’information doit rester libre. Afin de pouvoir garantir qu’à l’avenir nos articles seront accessibles à quiconque s’y intéresse, nous avons besoin de votre soutien – à travers un abonnement ou un don : woxx.lu/support.

Hat Ihnen dieser Artikel gefallen?
Wir stellen unsere Artikel mit unserem einzigartigen, ökologischen, feministischen, gesellschaftskritischen und linkem Blick auf die Welt allen kostenlos zur Verfügung – ohne Werbung, ohne „Plus“-, „Premium“-Angebot oder eine Paywall. Denn wir sind der Meinung, dass der Zugang zu Informationen frei sein sollte. Um das auch in Zukunft gewährleisten zu können, benötigen wir Ihre Unterstützung; mit einem Abonnement oder einer Spende: woxx.lu/support.
Tagged , , , , .Speichere in deinen Favoriten diesen permalink.

Kommentare sind geschlossen.