Esch 2022: Eigenlob stinkt

Esch 2022 zieht eine Zwischenbilanz zum Kulturjahr. Ein Interesse an einem ausgewogenen Resümee, das auch Kritik miteinbezieht, besteht vonseiten der Organisator*innen offenbar nicht.

Entpuppt sich Esch 2022 schon jetzt als Erfolgsgeschichte? Im Juli wurden die Ergebnisse einer Umfrage zur Zufriedenheit mit den Angeboten von Esch 2022 veröffentlicht, im August weitere zur öffentlichen Wahrnehmung der Minett-Region. Die Befragten zeigen sich darin von den Veranstaltungen begeistert. Manche lassen sich gar dazu hinreißen, vom Wandel des Minetts von einer Industriebrache zum kulturellen Hotspot zu träumen.

Für beide Umfragen haben Mitarbeiter*innen des Meinungsforschungsinstituts Ilres Personen vor Ort befragt, die gerade eine Veranstaltung von Esch 2022 besucht hatten. Diese Personengruppe macht den Großteil der über 1.000 Umfrageteilnehmer*innen aus. Der Rest setzt sich aus Personen zusammen, die beim Ticketkauf für ein Esch 2022-Event einer Befragung zustimmten. Esch 2022 hat sich also bewusst dafür entschieden, erst mal den Personen auf den Zahn zu fühlen, die ohnehin Interesse an dem Event haben. Kann man machen, doch das Resultat spiegelt dann wohl kaum wider, wie die Bewohner*innen Luxemburgs generell zur Umsetzung des Kulturjahres stehen.

Es geht primär um Vermarktung.

Esch 2022 sorgte bereits in der Planungsphase durch fragwürdige Personalentscheidungen und Finanzierungsanforderungen an die Kunstschaffenden für Diskussionsstoff. Und auch jetzt, sieben Monate nach Auftakt des Kulturjahres, gibt es weiterhin Kritik an dessen Ausrichtung und Durchführung. So kürte die konservative britischen Tageszeitung „The Telegraph“ Esch im April zur langweiligsten europäischen Kulturhauptstadt – neben Esch sind nämlich auch noch Novi Sad (Serbien) und Kaunas (Litauen) dieses Jahr Kulturhauptstädte. Auf Medienplattformen sind ebenfalls negative Kommentare zu lesen. In einem Beitrag auf RTL Today hieß es rezent: „This year it is a waste of time and resources. Whoever is organising this event, they should never organise anything again!“ Die Suche nach Events sei umständlich, der Kalender im Netz veraltet und das Angebot öde. Wer die Internetseite aufruft, wird rasch bemerken, dass die Kritikpunkte nicht völlig aus der Luft gegriffen sind.

Solche Erfahrungen tauchen in der Zwischenbilanz nicht auf. Dabei sind sie mindestens genauso relevant, wie das Lob derer, die alle Hürden überwunden und eine Veranstaltung von Esch 2022 besucht haben. Zur internen Bewertung sind Eindrücke von Besucher*innen sicherlich wichtig. Für eine kritische Bestandsaufnahme, auch was die tatsächliche Reichweite des Spektakels anbelangt, eignen sie sich jedoch nicht. Dafür bräuchte es eine breit angelegte Studie, die dort nachhakt, wo es weh tut: Aus welchen Gründen bleiben manche Menschen den Events fern? Welches Fazit ziehen die Kulturschaffenden, die die Projekte stemmen? Verschafft Esch 2022 einem Publikum Zugang zu Kultur, dem dieser bisher verwehrt blieb? Immerhin hat Nancy Braun, Leiterin von Esch 2022, eine solche Hoffnung in den Medien geäußert.

Die Veröffentlichung derart selektiver und dadurch tendenziöser Umfragen rückt Esch 2022 hingegen in ein schlechtes Licht: Den Organisator*innen geht es primär um Vermarktung. Besonders die Frage, warum manche Menschen kein Event von Esch 2022 besuchen, hätte beispielsweise mithilfe eines Aufrufs zur Umfrageteilnahme per Postwurfsendung eher beantwortet werden können. Das Argument, dass ein solcher Versand Papierverschwendung sei und einen hohen Kostenfaktor darstelle, könnte dabei übrigens nicht ohne Weiteres geltend gemacht werden: In der Gemeinde Sanem, die von Juni bis Juli im Mittelpunkt des Kulturjahres stand, gingen allen Haushalten ungefragt satirische (oder war das ernst gemeint, lieber Patrick Galbats und lieber Daniel Wagener?) Urlaubs-Postkarten des ehemaligen Bürgermeisters und heutigen Arbeitsministers Georges Engel, Poster-Pakete und eine fiktive Dorfzeitschrift zu. Vielleicht nimmt deren Redaktion ja Leser*innenbriefe entgegen, die kritischere Eindrücke von Esch 2022 vermitteln.


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