EU-Taxonomie für nachhaltige Finanzen: Nutri-Score für Investitionen

Die EU-Taxonomie soll erweitert werden. Ziel ist es, eine genauere und detailreichere Einteilung von Investitionen zu gewährleisten. Nun liegt ein erster Vorschlag auf dem Tisch.

Die erweiterte Taxonomie soll mit einem Ampel-System für Klarheit bei Investitionen sorgen. In Luxemburg fürchtet man sich vor Überregulierung. (Foto: CC BY 2.0 Kevan/flickr)

„Stellen Sie sich vor, das Energieeffizienz-Label für Elektrogeräte würde nur aus zwei Stufen, nachhaltig und nicht-nachhaltig, bestehen. Sie könnten einen Kühlschrank, der in der zweitbesten Kategorie ist, nicht von einem mit dem höchsten Energieverbrauch unterscheiden.“ Mit diesen Worten erklärte Sébastien Godinot die Notwendigkeit einer erweiterten EU-Taxonomie. Der Ökonom arbeitet bei der Umweltschutzorganisation WWF und ist Mitglied der Expert*innenplattform, die die EU-Kommission bei deren Erstellung berät. Godinot sprach im Rahmen einer Pressekonferenz, bei welcher der Bericht der Plattform vorgestellt wurde. Die Erweiterung soll für zusätzliche Klarheit sorgen – und private Gelder für die Energietransition locker machen.

Im Januar hatten die Expert*innen die Entscheidung der Kommission, fossiles Gas und Kernkraft in die Taxonomie aufzunehmen, scharf kritisiert. Das vor allem, weil durch die Aufnahme dieser Energieformen der Rahmen der Taxonomie unterlaufen werde. Deren Aufgabe ist es, für Klarheit auf den Finanzmärkten zu sorgen: Welche Investitionen sind nachhaltig? Dadurch sollte das im Finanzsektor oft praktizierte Greenwashing vermieden werden. Obwohl der Finanzplatz und die Regierung Luxemburg oft als besonders „grün“ verkaufen wollen, ist die Realität anders: Vorgeblich nachhaltige Luxemburger Fonds sind bei ihren Investitionen kaum von konventionellen zu unterscheiden. Das hatte eine Studie im Auftrag von Greenpeace herausgefunden.

Solche Situationen sollte die Taxonomie verhindern, indem klare und nachvollziehbare Regeln geschaffen wurden. Doch spätestens, seit die EU-Kommission mittels einer delegierten Rechtsakte Kernkraft und fossiles Gas darin aufgenommen hat, gibt es Kritik und Zweifel an der Wirksamkeit des Instruments. Energieminister Claude Turmes (Déi Gréng) nannte das Vorgehen der Kommission im Januar gegenüber der woxx „einen klaren Machtmissbrauch“ und meinte, die Kommission sei der Gaslobby auf den Leim gegangen. Kann das mit einer erweiterten Taxonomie wirklich besser werden?

Mit einer Ampel wird alles besser

Die Expert*innengruppe vertritt auf jeden Fall diese Meinung. Aus der bisher bestehenden grünen Kategorie soll eine Art Ampelsystem eingeführt werden, mit einer roten und einer gelben Kategorie. Das könnte für mehr Klarheit sorgen und Betrieben einen stärkeren Anreiz geben, möglichst schnell auf klimafreundliche Produktionsmethoden umzustellen. Außerdem plädiert das Gremium dafür, Wirtschaftsbetriebe, die keinen großen Einfluss auf die Umwelt haben, als „low environmental impact activities“ zu kennzeichnen. Ein Kindergarten, Friseurladen oder medizinische Forschung sind Beispiele für solche Aktivitäten mit niedrigem Umweltimpakt. „Die Tatsache, dass diese Aktivitäten und Maßnahmen wichtig sind, macht sie nicht grün, und sie sollten nicht als solche gekennzeichnet werden“, heißt es dazu im Bericht. Lediglich ein bis fünf Prozent aller Finanzprodukte weltweit genügen den „grünen“ Kriterien der EU-Taxonomie. Mit dem Ampelsystem und der „low impact“-Klassifizierung könnten sämtliche Wirtschaftsaktivitäten abgedeckt werden.

Rot würden jene wirtschaftlichen Aktivitäten gekennzeichnet, die einen stark negativen Einfluss auf die Umwelt und das Klima haben. Dabei wäre zu unterscheiden zwischen Tätigkeiten, die in einer CO2-neutralen Welt keine Zukunft haben, und solchen, die rasch umgestellt werden müssen. Beispiele für erstere Kategorie wären Kohlegewinnung, Torfstechen, Häuserbau in Flutgebieten oder Aktivitäten, die Ökosysteme mit hoher Biodiversität zerstören. Die Kennzeichnung soll jedoch nicht nur ein Negativ-Label sein, sondern könnte durchaus auch dazu benutzt werden, einen Weg aus dem Schlamassel aufzuzeichnen, denn auch für die Stilllegung oder Transition werden Gelder benötigt

Doch wie kann man beim Auflassen einer Kohlenmine Profite erwirtschaften? Immerhin ist das das Ziel von Investitionen. Das wäre durchaus möglich, so Sean Kidney von der Climate Bonds Initiative auf Nachfrage der woxx hin. „Mit Südafrika gibt es das ‚Rapid Transition Partnership‘, da wird mit öffentlichen und privaten Geldern ein Anlagevehikel geschaffen, um schneller aus Kohle aussteigen zu können.“ Die Gelder sollen dafür genutzt werden, erneuerbare Energiequellen aufzubauen und Arbeiter*innen dabei zu unterstützen, neue Jobs zu finden. „So eine Initiative müsste auch in Polen aufgesetzt werden, das wäre eine technische Meisterleistung“, so Kidney im Rahmen der Pressekonferenz, bei der die Expert*innenplattform ihren Bericht vorstellte. Die Taxonomie könnte auch dazu benutzt werden, ohnehin vorgesehene Schließungen zu beschleunigen und so schneller aus Klimakillern wie Kohle auszusteigen.

Die gelbe Kategorie, also jene zwischen nachhaltigen und absolut klimaschädlichen Aktivitäten angesiedelte, wäre per Definition als zeitlich begrenzt anzusehen. Um das Label zu erhalten, müsste ein Investitionsplan erstellt werden, in dem genau dargelegt ist, wie innerhalb von fünf oder zehn Jahren die Transition vonstatten geht. Die Expert*innenplattform stellt sich ebenfalls vor, dass Investitionen in der gelben Kategorie ein Governance-Konzept vorlegen müssten, das auch eine unabhängige Kontrolle vorsieht.

Foto: CC BY 2.0. NeilGHamilton/flickr

Lösung für Gas und Atom

Zusätzlich soll die Taxonomie flexibel sein. Damit ist gemeint, dass die Grenzwerte mit der Zeit immer strenger werden, sodass Betriebe sich stetig verbessern müssen, wenn sie in der „grünen“ Zone bleiben wollen. Ansonsten könnte es sein, dass sie sich mit einem gelben oder gar roten Label behaftet sehen. Für manche wirtschaftlichen Aktivitäten soll es ein „Ablaufdatum“ geben, nach dem sie nicht mehr gelb oder grün sein können: Die Stromproduktion muss zum Beispiel bis 2050 CO2-neutral sein.

„Für Betriebe ist die erweiterte Taxonomie die Möglichkeit, ihre eigenen Transitions-Geschichten zu erzählen. Aktuell haben einzelne Firmen, teilweise ganze Wirtschaftszweige, Schwierigkeiten zu erklären, wie der ökologische Umstieg für sie aussieht. Die Taxonomie könnte einerseits bei der Kommunikation helfen, andererseits aber auch ein Werkzeugkasten für die Firmen sein“, meinte Sandrine Dixson, Co-Präsidentin des Club of Rome bei der Pressekonferenz. Die Umweltwissenschaftlerin ist ebenfalls Mitglied der Expert*innenplattform. Die erweiterte Taxonomie gehe auf die gängigen Kritiken ein und sei ein fundamentaler Schritt für nachhaltige Finanzen. „Ich denke, dass die Kommission und das Parlament unseren Vorschlag umsetzen werden“, so Dixson weiter.

Allerdings betonte sie auch, dass die Entscheidung über Kernkraft und fossiles Gas bei vielen Expert*innen ein „Trauma“ hinterlassen habe. Dixson äußerte dabei auch scharfe Kritik an der Kommission: „Ich hoffe, dass dies nicht zum Symbol dafür wird, wo Europa hinsteuert: Entscheidungen werden für kurzfristige Gewinne überpolitisiert.“

In Luxemburg nichts Neues

Würden Gas und Kernkraft in der erweiterten Taxonomie anders bewertet? Gleich in der Einleitung ihres Berichtes lassen die Expert*innen dies vermuten: „Die Notwendigkeit, Übergänge anzuerkennen, die nicht von sich aus umweltfreundlich sind, wurde durch den kürzlich angenommenen ergänzenden delegierten Rechtsakt (CDA) der Kommission hervorgehoben“, steht da zu lesen. Durch die gelbe Klassifizierung würde ein „alternativer Ansatz“ für solche Wirtschaftstätigkeiten geboten, heißt es weiter im Bericht. Die Argumentation wirkt schlüssig: Dadurch, dass die Einordnung gradueller ist, ist es politisch leichter, strittige Technologien auf die gelbe Stufe zu setzen und ihren Übergangstatus damit festzulegen.

In Luxemburg war bisher wenig über die erweiterte Taxonomie zu hören. Die Luxembourg Sustainable Finance Initiative, die im Februar 2021 ins Leben gerufen wurde und eigentlich alle Akteur*innen der Industrie dazu bewegen soll, nachhaltiger zu werden, hat nicht einmal eine Nachricht dazu auf ihrer Website. Stattdessen gibt es den ersten Jahresbericht, in dem neben viel Selbstlob auch zu lesen ist, dass die Initiative eine Reihe von Webinaren zur Taxonomie veranstaltet hat. Darin wurden auch die Vor- und Nachteile einer möglichen erweiterten Taxonomie diskutiert: Man fürchte sich vor allem vor einer „Überregulierung“, das Werkzeug dürfe nicht zu komplex sein.

Diese Haltung zur Taxonomie ist exemplarisch für den Luxemburger Finanzplatz: Nach außen hin soll möglichst alles grün und nachhaltig wirken, aber zu kompliziert soll es bitte nicht sein. Dabei könnte die erweiterte Taxonomie doch eine wirkliche Chance sein: Indem jeder Wirtschaftsbereich eindeutig bewertet wird, ist es viel leichter, nicht-nachhaltige Investitionen zu erkennen. Für so manche Akteur*innen der Finanzindustrie könnte genau das jedoch das Problem sein.


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