Feministischer Sahnelikör deckt Pseudonyme auf

Der Women‘s Prize for Fiction und Baileys veröffentlichen in der Buchserie #ReclaimHerName E-Books von Frauen, die unter männlichem Pseudonym schrieben. Eine gute Sache oder Schwachsinn?

Bidlquelle: womensprize

Was hat Baileys mit Literatur zu tun? An sich nichts, doch das Getränkeunternehmen unterstützt den Women‘s Prize for Fiction. In dem Zusammenhang veröffentlichte Baileys vor kurzem die digitale Buchserie #ReclaimHerName. Die Idee: Bücher, die Frauen unter männlichem Pseudonym publiziert haben, unter ihrem Namen herauszugeben. Die E-Books stehen zum kostenlosen Download auf der Website des Unternehmens zur Verfügung.

Die Aktion weist auf ein lange Zeit weit verbreitetes Phänomen hin: Schriftstellerinnen griffen in der Vergangenheit oft auf männliche Namen zurück, um die Chancen auf die Veröffentlichung ihres Manuskripts zu erhöhen und sexistische Diskriminierung aufgrund ihrer Tätigkeit zu umgehen. Die Literaturwissenschaftlerin Lucia Hacker deckte 2007 in ihrer Magister-Arbeit „Schreibende Frauen um 1900“ auf, dass von 90 Autorinnen generell 56 unter Pseudonym schrieben – fünfzehn davon unter geschlechtsneutralem und zehn unter einem männlichen Namen. Hacker basierte sich bei ihrer Untersuchung auf den Nachlass des Lexikographen Franz Brümmer.

Der Umgang mit Literatur von Autorinnen ist auch heute noch problematisch, wie die Bewegung #dichterdran vergangenes Jahr humoristisch thematisierte. Unter diesem Hashtag parodierten Twitter-User*innen den sexualisierten Blick männlicher Literaturkritiker auf Autorinnen und ihre Bücher. Studien aus dem deutschsprachigen Raum aus dem Jahr 2018 belegen, dass vorwiegend männliche Literaturkritiker Belletristik-Rezensionen publizieren. 76 Prozent der besprochenen Bücher stammten von Autoren. Auch auf Lehrplänen, wie beispielsweise in Luxemburg, sind Autorinnen unterrepräsentiert.

Der Ansatz von #ReclaimHerName ist angesichts historischer und aktueller Umstände im Literaturbetrieb gut. Heiligt der Zweck in diesem Fall die Mittel? Die Meinungen gehen auseinander. Die Autorin Sunny Singh schreibt auf Twitter: „I publish with my nickname which is often read as masculine. It helped when I was a young journo and even – I think – now. I would not want a stranger – and esp[acially] after my death – to decide to publish me with my full name. Consent matters.“ Hacker hielt hingegen in der zuvor zitierten Studie fest, dass die meisten Autorinnen bereit waren Brümmer ihr Pseudonym für einen Eintrag in sein Literaturlexikon zu verraten. Der Unterschied: Sie haben dem selbst zugestimmt.

Die nicht genehmigte Offenlegung eines Pseudonyms ist vor allem bei lebenden Personen heikel: Die Gründe für einen Decknamen können persönlicher, beruflicher oder inhaltlicher Natur sein. Von daher hat Singh Recht wenn sie schreibt, dass das Einverständnis nötig ist. Im Falle verstorbener Autor*innen ist dies natürlich nicht möglich. Ob man es deshalb lassen sollte? Die Tatsache, dass ein Getränkehersteller sich mit einer solchen Aktion bei Feminist*innen und Autor*innen beliebt machen will ist jedenfalls absurd. Eine digitale Buchreihe zu veröffentlichen – gedruckte Bücherbände gehen nur an Bibliotheken in Großbritannien – ändert langfristig nichts an der strukturellen Diskriminierung von Autorinnen. Diese Diskussionen müssen von der Wissenschaft, den Medien, den Bildungsinstitutionen und dem Literaturbetrieb geführt werden und das nicht bei einem Gläschen Baileys auf Eis.


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