Flucht und Vertreibung: Elend ohne Schlagzeilen

Immer mehr Menschen weltweit sind auf der Flucht. Die internationale Aufmerksamkeit für Vertreibungskrisen geht zugleich massiv zurück, so ein diese Woche erschienener Bericht des Norwegischen Flüchtlingsrats. Am politischen Willen für substanzielle Änderungen fehlt es sowieso.

Von einem verheerenden Tropensturm betroffen: Mosambik findet sich in diesem Jahr erstmals auf der Liste der vernachlässigten Vertreibungskrisen des Norwegischen Flüchtlingsrats. (Bild: Norwegischer Flüchtlingsrat)

Nein, der Sudan findet sich nicht darunter, obwohl man es vermuten könnte: Die Rede ist vom in dieser Woche veröffentlichten Bericht über die weltweit am meisten vernachlässigten Vertreibungskrisen, der alljährlich vom Norwegischen Flüchtlingsrat (NRC) herausgegeben wird. Stattdessen führt Kamerun die zehn Länder umfassende Liste an. Auf den Plätzen zwei und drei rangieren Äthiopien und das erstmals in den Bericht aufgenommene Mosambik. Die einzigen nichtafrikanischen Länder sind Iran (Platz 7) und Honduras (Platz 9).

Mit dem Ranking möchte der NRC auf die problematische Lage in Regionen aufmerksam machen, über die medial wenig berichtet wird, die keine oder nur unzureichende Hilfe erhalten und die nur selten im Mittelpunkt der internationalen diplomatischen Bemühungen stehen. Dazu wurden insgesamt 34 Vertreibungskrisen analysiert. Dass sich Länder wie der Sudan, wo laut UN-Flüchtlingshilfswerk infolge des im April 2023 ausgebrochenen „vergessenen“ Bürgerkrieges (so die deutsche Tageszeitung „taz“) die derzeit schlimmste dieser Krisen tobt, nicht einmal in der Liste finden, verdeutlicht laut dem Flüchtlingsrat „eine harte Realität: Fast alle langwierigen humanitären Krisen werden heute vernachlässigt.“

In Kamerun wirken gleich mehrere Faktoren zusammen: So die seit Jahren andauernde Bedrohung durch verschiedene bewaffnete Gruppen in der Tschadsee-Region, zu der neben dem Tschad selbst, Nigeria und Niger auch Kamerun gehört. Insbesondere die islamistische Miliz „Boko Haram“ greift dort immer wieder die Zivilbevölkerung an. Anhaltende Gewalt gibt es auch im Nordwesten und Südwesten des Landes. Eine weitere Rolle spielt die Instabilität, die von der Situation in der Zentralafrikanischen Republik ausgeht. Zu all dem kommen noch der Hunger und die gravierenden Auswirkungen des Klimawandels. Das führte dazu, dass im vergangenen Jahr rund 3,4 Millionen Menschen schutz- und hilfsbedürftig waren, fast so viele Menschen wie die einheimische Bevölkerung zählt. Zu den 1,1 Millionen Binnenvertriebenen gesellte sich laut NRC rund eine halbe Million Flüchtlinge, die vor den Konflikten im Sudan und andernorts nach Kamerun geflohen waren. Den politischen Willen, etwas an der katastrophalen Lage zu ändern, bezeichnet der Bericht als „gleich Null“. Der Flüchtlingsrat schätzt, dass das Land aktuell nur 45 Prozent der humanitäre Hilfe erhält, die es eigentlich benötigt.

Sparen statt geben

In Mosambik befeuerten bewaffnete Konflikte und ein Tropensturm die Krise, im Iran steht die geschätzte Gesamtzahl von sechs Millionen Flüchtlingen aus Afghanistan (3,8 Millionen von ihnen verfügen über einen legalen Aufenthaltsstatus) im Mittelpunkt der Situation. Die Islamische Republik hat angekündigt, massiv Abschiebungen vornehmen zu wollen. In Honduras tragen nicht zuletzt kriminelle Banden und Kartelle zur aktuellen Lage bei. Viele Menschen machen sich auf der Suche nach einem besseren Leben und mehr Sicherheit in Richtung Norden auf; die meisten versuchen, in die USA zu gelangen. Zugleich werden viele von dort und aus Mexiko zurück nach Honduras abgeschoben.

Der Mangel an öffentlichem und politischen Interesse übersetzt sich in unzureichende humanitäre Hilfen. Einem globalen Bedarf an Finanzmitteln in Höhe von 49,5 Milliarden US-Dollar stand die geleistete Summe von lediglich 25,3 Milliarden US-Dollar gegenüber (Stand März 2025); es fehlt also knapp die Hälfte des Betrages, der allein zur Finanzierung der unmittelbaren Hilfeleistungen nötig wäre. Diese Situation wird sich aller Voraussicht nach weiter verschärfen: Neben den USA und Großbritannien haben auch EU-Länder wie Schweden, Frankreich, Holland, Deutschland und Belgien eine Kürzung ihrer Entwicklungs- und Hilfsfonds angekündigt.

Die internationale Solidarität werde durch eine zunehmend nach innen gerichtete und nationalistische Politik „in den ehemals großzügigen Geberländern“ ersetzt, so Jan Egeland, Generalsekretär des NRC, in einer Presseerklärung: „Dies verschärft die Vernachlässigung der von Krise und Vertreibung betroffenen Menschen in einer Zeit, in der eine Rekordzahl von Menschen von ihrem Zuhause vertrieben wurde.“ Laut dem vor knapp einem Jahr veröffentlichten Weltflüchtlingsbericht des UNHCR waren Ende 2023 insgesamt 117,3 Millionen Menschen auf der Flucht – 8,8 Millionen mehr als im Jahr zuvor. Allein 14 Millionen davon flüchteten innerhalb des oder aus dem Sudan.

 


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