Gegenwartskunst: Brandfleck, oder die Essenz der Malerei

Sie war radikal, destruktiv und hielt nur kurz an: die französische Kunstbewegung „Supports/Surfaces“. Im Musée national d’histoire et d’art Luxembourg sind zurzeit Werke der Gründungsmitglieder Claude Viallat und Patrick Saytour zu sehen. Eine Ausstellung, die mehr Show-off als Kulturvermittlung ist.

„Brûlage“ von Patrick Saytour ist eins der spannendsten Werke der Ausstellung „Supports/Surfaces: Claude Viallat & Patrick Saytour“, die sich zwei Gründungsmitgliedern der avantgardistischen Kunstbewegung widmet. (Foto: Tom Lucas)

1968 erschüttern Protestbewegungen von Student*innen und Arbeiter*innen Paris. In Südfrankreich finden etwa zur gleichen Zeit zwölf Künstler zusammen, die die traditionelle Malerei radikal in Frage stellen und sie dekonstruieren. Es ist der Beginn der avantgardistischen Bewegung „Supports/Surfaces“. Unter den Gründungsmitgliedern befinden sich Claude Viallat und Patrick Saytour. Zwei Künstler, denen das Musée national d’histoire et d’art Luxembourg (MNHA) derzeit eine Ausstellung widmet. Im Fokus stehen Neuerwerbungen der letzten Jahre.

„Ihre Arbeit war von Anfang an geprägt von einem Interesse an der Materialität, einem lyrischen Umgang mit der Farbe und weitreichenden Vorstellungen davon, was ein Gemälde ausmacht“, steht in einem der wenigen Begleittexte zur Ausstellung. Daher auch der Name der Bewegung: Die Künstler reduzierten die Malerei auf wesentliche Bestandteile – die Leinwand als Oberfläche und den Keilrahmen als Träger – und versuchten diese Form durch ihre Offenlegung zu dekonstruieren.

Wem das zu abstrakt klingt, braucht nur einen Blick auf die Werke von Viallat und Saytour zu werfen, um zu verstehen, was gemeint ist. Viallats Kunstwerke hängen schlaff und schwer von den Ausstellungswänden herab. Oft sind es Stoffe, bunt bemalt mit vagen Formen, manchmal aber auch nur ein verzerrtes Netz aus Knoten. Alles ist offen, nichts in Rahmen gepresst.

Ähnlich verhält es sich mit Saytours Werken, einige Schritte weiter. Saytour war der Bewegung gegenüber kritisch, nahm laut Kurzbiografie eine marginale Position ein. Seine Arbeiten sind von maritimen Motiven und einem Zusammenspiel der Texturen, Formen und Farben geprägt. „Untitled“ erinnert mit seinen Holzplanken, den Netzen und gerafften Stoffen an ein Schiffswrack inmitten von Schaumkronen. Es ist durch die Anordnung von Materialien, die miteinander kontrastieren, aber auch als Bruch mit harmonischen Kompositionen lesbar.

Zerstörung ist auch eins der zentralen Themen in „Brûlage“ von Saytour: ein Bild von Brandflecken auf einer Blümchentapete. Es ist ein weiteres Werk, das einerseits durch seine materielle Beschaffenheit besticht, andererseits durch seine vielfachen Deutungsmöglichkeiten. Geht es um verlorene Unschuld? Um Zäsur oder die Abkehr von der Sittlichkeit?

Es mag gut sein, dass dieses und andere Werke Fragen bei den Besucher*innen aufwerfen, doch es ist gleichzeitig frustrierend, dass das MNHA auf die wenigsten eine Antwort gibt. Das MNHA verschenkt die Gelegenheit, die Bewegung politisch einzuordnen und die Werke in einen historischen Kontext zu setzen. Zwar wird zu Beginn der Ausstellung in einem kurzen Wandtext darauf hingewiesen, dass sich Frankreich zum Zeitpunkt der Entstehung der Bewegung in Jahren „schneller und tiefgreifender“ Veränderungen befand, weiter ausgeführt wird das aber nicht. Genauso kurz wird die Tatsache erwähnt, dass die Autonomie der Kunst zu der Zeit weltweit angefochten wurde.

„Die Künstler der Gruppe stellten auch den Kunstmarkt sowie bestimmte Regeln zur Datierung und Signierung von Werken in Frage. Sie wollten zu einer Art reduktiver und essentieller Kunstpraxis zurückkehren“, heißt es in dem Ausstellungstext. Doch auch das wird nicht weiter ausgeführt, genauso wenig wie die angesprochenen Konflikte innerhalb der Gruppe.

Für ein Publikum, das sich mit der Bewegung und dem (kultur-)politischen Kontext, in dem sie entstanden ist, auskennt, ist das nicht weiter tragisch. Für Menschen, die sie erst entdecken, sind diese spärlichen Hintergrundinformationen jedoch unbefriedigend. Das MNHA rühmt sich damit, eine der „wichtigsten öffentlichen Sammlungen von Supports/Surfaces Werken europaweit“ zu besitzen. Mit der Schau vermittelt das Museum vor allem seinen Stolz auf die Sammlung, nicht aber ein ausführliches Wissen über die Bewegung und die zwölf Gesichter dahinter.

Bis zum 24. Oktober im Musée national d’histoire et d’art und dauerhaft in 3D-Ansicht auf der Website des MNHA. Nach dem 24. Oktober auffindbar im Archiv.

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