Gemeindepolitik: Gleichstellung – ein Accessoire?

Mitte der 1990er-Jahre rief der Conseil national des femmes du Luxembourg die Gemeinden zur Stärkung der Gleichstellungsarbeit auf. In seinen aktuellen Wahlforderungen bedauert der Rat die Ausweitung der Aufgabenbereiche kommunaler Gleichstellungsbüros. Wie geht es den Gleichstellungsbeauftragten damit?

Gleichstellung wählen: Zur Zeit ist Gleichstellungarbeit in den Gemeinden fakultativ und kann von politischen Entscheidungsträger*innen mehr oder weniger beliebig ausgelegt werden. (Copyright: Isabel Spigarelli)

Es sind nur noch wenige Tage bis zu den Kommunalwahlen am Sonntag und die größten Prioritäten sind klar: sozialer Wohnungsbau, Sicherheit, Umweltschutz … Kommunale Gleichstellungspolitik scheint hingegen eher ein Randthema, das sich schlecht auf Wahlbannern macht. Dabei hat der Conseil national des femmes du Luxembourg (CNFL) bereits im März seine Forderungen für eine andere Wahl – und zwar die Parlamentswahlen im Oktober – präsentiert, in denen die Gleichstellungsarbeit in den Gemeinden eine wichtige Rolle einnimmt.

Es ist ein Themenschwerpunkt, der den Frauenrat schon seit Jahrzehnten umtreibt: Bereits 1995 lancierten der CNFL, das europäische Netzwerk „Les femmes dans la prise de décision“ und das „Syndicat intercommunal des villes et des communes“ (Syvicol) eine Aktion zur Förderung der kommunalen Gleichstellungspolitik. Diese wurde von den Ministerien für Gleichstellung, Inneres und Arbeit unterstützt. Jede Gemeinde wurde dazu eingeladen, im Gemeinderat eine*n „délégué(e) politique chargé(e)“ zum Vorantreiben der Gleichstellung zwischen Frauen und Männern in der Gemeinde zu benennen. Diese Person soll unter anderem garantieren, dass der Aspekt der Geschlechtergerechtigkeit bei jeder Abstimmung und Entscheidung im Gemeinderat berücksichtigt wird. Darüber hinaus plädierte der Verbund damals für die Gründung einer „Commission consultative d’égalité entre femmes et hommes“, die mindestens zur Hälfte aus Frauen besteht. Große Gemeinden wurden außerdem dazu aufgefordert, eine Dienststelle für die Gleichstellung zwischen Frauen und Männern einzuführen, geleitet von qualifiziertem und bezahltem Personal. Die gegründeten Abteilungen arbeiten in der Regel mit dem Schöff*innenrat zusammen, der sie beispielsweise mit der Erarbeitung eines lokalen Aktionsplans für die Förderung der Gleichstellung oder aber der themenbezogenen Veranstaltungsplanung beauftragt.

Nach den letzten Kommunalwahlen 2017 haben 48 Gemeinden mindestens eine oder mehrere dieser Maßnahmen umgesetzt. 30 haben eine*n „délégué(e) politique chargé(e)“ ernannt; 36 eine Kommission für Gleichstellungsfragen gegründet. Auf der Website des CNFL sind aktuell außerdem dreizehn „Services de l’égalité entre femmes et hommes“ vermerkt. Die Gleichstellungsbeauftragten stehen seit 2004 regelmäßig über das „Réseau national des chargé·es de mission à l’égalité entre femmes et hommes“ in Kontakt. Die Zusammenarbeit beschreiben alle von der woxx befragten Beamtinnen als hilfreich und konstruktiv; der Kontakt mit dem Gleichstellungsministerium sei in der Regel eher punktuell.

Haben viele Gemeinden inzwischen ein politisches oder administratives Organ, das sich der Gleichstellungspolitik annimmt, verfügen die wenigsten über einen Aktionsplan – nach der interaktiven Karte „Megacommunes“ des Ministeriums für die Gleichstellung zwischen Frauen und Männern sind es zwölf. Im Gegenzug fällt im Austausch mit einzelnen Gleichstellungsbeauftragten etwas anderes auf: In ihren Kompetenzbereich fällt längst mehr als nur die Umsetzung in Bezug auf Frauen und Männer. Ein Punkt, den der Frauenrat in seinen aktuellen Wahlforderungen kritisiert. Dort heißt es, im Laufe der Jahre seien die Aufgaben der Gleichstellungsbüros erweitert worden, ohne ihre finanziellen Mittel aufzustocken und das zum Nachteil des Aspekts der Geschlechtergerechtigkeit.

Diese Befürchtung spiegelt sich allerdings nur zum Teil im Gespräch mit den Gleichstellungsbeauftragten. Aus Bettemburg – übrigens eine der ersten Gemeinden, die 1989 eine Abteilung für Gleichstellung einführte – gibt es jedenfalls Entwarnung. Dabei kümmern sich dort die zuständigen Beamtinnen Deborah Semedo und Lotti Stemper in Teilzeit neben der Gleichstellungspolitik auch noch um Integration, Inklusion, Senior*innen, Jugend, Menschen mit Behinderung, LGBTQIA+ – Belange, Diversität, Anti-Diskriminierung und Menschenrechte. Personalmangel oder finanzielle Engpässe gebe es aber nicht.

„Wir wollen neue Aktivitäten entwickeln, teilweise bittet oder beauftragt der Schöff*innenrat uns, neue Gemeinschaftsprojekte einzugehen. Dadurch steigt das Arbeitspensum kontinuierlich an, während nur wenige Aufgaben wegfallen.“

Ähnliches ist in Sanem zu vernehmen: Annick Spellini ist neben ihrer Ressortchefin Nathalie Morgenthaler (CSV) alleinige Gleichstellungsbeauftragte in Vollzeit. Über diesen Posten hinaus, der den Kampf für mehr Diversität im Allgemeinen beinhaltet, koordiniert sie seit Kurzem auch den Bereich Sport. Was auf den ersten Blick zusammenhanglos erscheint, ist auf zwei Initiativen zurückzuführen: Spellini unterstützte als Gleichstellungsbeauftragte den in der Gemeinde Sanem ansässigen inklusiven CrossFit-Verein „Iron Sparks“, der die Beteiligung marginalisierter Menschen großschreibt; bei der Ausarbeitung der „Charte à l’égalité entre les femmes – hommes dans le sport“ der Gemeinde Esch waren Spellini sowie Morgenthaler zum Ideenaustausch vertreten. „Ich kann Ihnen versichern, dass meine Arbeit als Gleichstellungsbeauftragte dadurch nicht zu kurz kommt“, betont Spellini. Momentan seien die finanziellen Mittel und die Personalressourcen ausreichend, was sich in den Folgejahren durch erhöhte politische Ansprüche an die Gleichstellungsabteilungen und die wachsende Bevölkerung der Gemeinde aber natürlich ändern könne.

Deutlich kritischere Töne gibt es aus Esch und Düdelingen. Nicole Jemming, Gleichstellungsbeauftragte der Gemeinde Esch, merkt der woxx gegenüber an, ihre Abteilung stehe im Hinblick auf Personalressourcen und im Vergleich zu anderen Gemeinden zwar gut da, aber: „Es reicht trotzdem nicht aus, wenn weitere Bereiche ausgebaut werden sollen: Weiterbildungen, interne Begleitung und Beratung im Kontext von Gender Mainstreaming, die Auseinandersetzung mit LGBTIQ+-Fragen. Auch die Eröffnung der Maison de la diversité verlangt uns weitere Personalressourcen und finanzielle Mittel ab.“ Die Maison de la diversité wurde im Mai vorgestellt und soll künftig auf der Escher Place de la Résistance ein Ort des Austauschs rund um Antidiskriminierung sein.

Foto: Isabel Spigarelli

Auch in Düdelingen bedarf es bald mehr Personalressourcen: Hier setzt sich die Abteilung für Chancengleichheit aus insgesamt drei Personen in Teilzeit zusammen, darunter die Abteilungsleiterin Annabelle Laborier-Saffran. „Wir wollen neue Aktivitäten entwickeln, teilweise bittet oder beauftragt der Schöff*innenrat uns, neue Gemeinschaftsprojekte einzugehen. Dadurch steigt das Arbeitspensum kontinuierlich an, während nur wenige Aufgaben wegfallen“, schreibt sie der woxx. Eine gesunde Work-Life-Balance lasse sich aufgrund von Abend- und Wochenendveranstaltungen schlecht einhalten, deswegen sei die Aufstockung des Personals wichtig. „Finanziell sind wir gut aufgestellt, was unsere Projekte angeht“, so Laborier-Saffran. „Wir arbeiten aber auch nur mit dem Budget, das uns zur Verfügung steht.“ Bei Gemeinschaftsprojekten, in denen Gleichstellung nicht an erster Stelle stehe, gebe es gesonderte Budgets; für größere Umfragen oder Studien bräuchte es zusätzliche Gelder.

„Wir sind überzeugt, dass die höhere Anzahl von Mandatsträgerinnen in der Gemeinde einen Mentalitätswechsel in den kommunalen Verwaltungen herbeiführen und den Stellenwert der Gleichstellungsabteilungen innerhalb der Ratshäuser stärken würde.“

Annick Spellini spricht sich trotz des erhöhten Arbeitspensums dafür aus, Gleichstellungsarbeit nicht nur auf die Ungerechtigkeiten zwischen Geschlechtern zu beschränken. „Es gibt sicherlich Organisationen, die sich für separate Abteilungen zur Gleichstellung von Frauen und Männern sowie Diversität aussprechen, bei uns werden die Bereiche aber zusammen gedacht“, führt sie aus. An dieser Stelle ist interessant, dass die Regierung dies auf nationaler Ebene in der noch laufenden Legislaturperiode anders sieht: LGBTIQA+-Dossiers und Inklusion fallen in den Zuständigkeitsbereich des Familienministeriums. Taina Bofferding (LSAP), amtierende Gleichstellungsministerin, will der kommenden Regierung die Entscheidung über das Zusammenlegen der Dossiers überlassen – dies teilte sie im April in der Abgeordnetenkammer mit, als dort ambitionslos über die Prioritäten und Herausforderungen der nationalen Gleichstellungspolitik debattiert wurde.

Der Frauenrat setzt sich in seinem Forderungskatalog zu den Parlamentswahlen jedenfalls eher für die Beibehaltung der kommunalen Büros ein, die sich explizit mit Geschlechterfragen beschäftigen. Synergien seien zwar wichtig und durchaus denkbar, jedoch müssten die Abteilungen dafür über die nötigen Mittel und einen klaren Aktionsplan verfügen. Davon abgesehen wünscht sich der CNFL Parität in allen kommunalen Beratungskommissionen. In den Gemeinderäten ist es darum aktuell auch schlecht bestellt: Im Januar bestanden diese nur zu 24,8 Prozent aus Frauen. In Bettemburg, um nur ein Beispiel hervorzuheben, setzt sich der Gemeinderat zurzeit aus fünfzehn Personen zusammen, davon sind zwei Frauen. Das sei nicht mehr zeitgemäß, finden Deborah Semedo und Lotti Stemper. „Wir sind überzeugt, dass die höhere Anzahl von Mandatsträgerinnen in der Gemeinde einen Mentalitätswechsel in den kommunalen Verwaltungen herbeiführen und den Stellenwert der Gleichstellungsabteilungen innerhalb der Ratshäuser stärken würde“, schreiben sie. Letzterer hat sich laut allen von der woxx befragten Gleichstellungsmitarbeiterinnen in den vergangenen Jahrzehnten zwar grundsätzlich verbessert, doch würden Gleichstellungsfragen in anderen Abteilungen nach wie vor nicht selbstverständlich mitgedacht. „Die Gleichstellungsarbeit wird öfter als Accessoire wahrgenommen statt als wesentlich für das Funktionieren einer Gemeinde“, erklärt Annabelle Laborier-Saffran. „Aus dem Grund wird sie oft vernachlässigt.“ Umso wichtiger sei es, dass Politiker*innen sich klar für Gleichstellung positionierten. Sie müssten sich aktiv an der Umsetzung der Gleichstellungsarbeit beteiligen und ihr so zu der notwendigen Relevanz verhelfen.

Der Wille politischer Entscheidungsträger*innen ist in der kommunalen Gleichstellungspolitik auch an anderer Stelle relevant: Es gibt keinen legalen Rahmen, der die Missionen der Gleichstellungsabteilungen definiert, die Förderung der Chancengleichheit in den Gemeinden ist fakultativ. Die Auslegung der Gleichstellungsarbeit hängt also mit den Politiker*innen an der Macht zusammen. „Das hat zur Folge, dass der Gemeinde- oder Schöffenrat über den Aufgabenbereich entscheiden kann“, weist Jemming auf die Konsequenzen für die Angestellten hin. „Dadurch entsteht manchmal die Situation, dass der Abteilung für Gleichstellung alle möglichen Missionen zugeteilt werden, die ihren Kompetenzbereich überschreiten und wofür es dann an Personal mangelt. In dem Fall ist es schwer eine nachhaltige, zusammenhängende Genderpolitik voranzutreiben.“ Das unterscheide die Abteilungen für Gleichstellung von anderen Gemeindediensten, deren Zuständigkeitsbereich klarer bestimmt sei. Der Frauenrat verlangt deshalb im Zuge der nächsten Legislaturperiode einen gesetzlichen Rahmen für kommunale Kommissionen und die Abteilungen für Gleichstellung.

Nicole Jemming zählt weitere Punkte auf, die sich in den nächsten Jahren in der kommunalen Gleichstellungspolitik ändern müssen: Sie fordert unter anderem die gezielte Unterstützung von marginalisierten Personengruppen und Umfragen bei den Bürger*innen, um ihre Bedürfnisse im Hinblick auf Gleichstellung besser greifen zu können. Für Annick Spellini ist die größte Herausforderung am Ende aber erst mal eine ganz andere – nämlich der Ausgang der bevorstehenden Kommunalwahlen. „Wer ist dann am Ruder?“, fragt sie sich. „Davon hängt unsere Zukunftsperspektive ab. An Motivation und Ideen fehlt es jedenfalls nicht.“

Frauen in der Gemeindepolitik (Stand: Januar 2023)

16 Bürgermeisterinnen (15,6 Prozent)
37 Schöffinnen (16,4 Prozent)
224 Gemeinderätinnen
(29,2 Prozent)

Quelle: communes.cnfl.lu


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