Gemeindepolitik: Politische Misswahl

Wie schnitten Frauen bei den Kommunalwahlen ab? Der Conseil national des femmes du Luxembourg, der CID Fraen an Gender und Lëtz Rise Up wagen eine erste Analyse.

Allgemein schnitten Frauen bei den Kommunalwahlen 2023 besser ab, als noch 2017 – manche Gemeinden haben in Sachen Parität aber noch einen langen Weg vor sich. (Copyright: Laker/Pexels)

Am vergangenen Sonntag wurden zum Muttertag in vielen Haushalten Blumensträuße und an den Urnen zur Kommunalwahl Stimmen verteilt. Politikerinnen, insbesondere junge Kandidatinnen, verbuchten dabei Erfolge. In feministischen Kreisen knallen deswegen allerdings nicht die Korken, denn Luxemburg ist in der Lokalpolitik immer noch weit von Gleichstellung entfernt.

1.483 Frauen haben dieses Jahr kandidiert, 340 wurden gewählt – das entspricht einer Gewinnquote von 23 Prozent; 2017 lag diese bei 21,7 Prozent. Nur eine leichte Verbesserung also, die der Conseil des femmes du Luxembourg (CNFL) auf Nachfrage der woxx als unerheblich bezeichnet. Zu den Siegerinnen zählen übrigens Urgesteine der Lokalpolitik wie die Dauerbürgermeisterin Lydie Polfer (DP) in Luxemburg-Stadt oder die Abgeordnete und Bürgermeisterin Simone Asselborn-Bintz (LSAP) in Sanem. 2020 ersetzte sie den damaligen Bürgermeister Georges Engel (LSAP), der zum Arbeits- und Sportminister gekürt wurde; jetzt gewann Asselborn-Bintz die Wahlen.

In der kommenden Amtsperiode sind Frauen, gemessen an den aktuellen Wahlergebnissen, mit 30,6 Prozent in den Gemeinderäten vertreten. „Ce taux est loin des 40 pourcent des quotas de candidat-e-s aux élections nationales, et il est encore plus éloigné de l’égalité de représentation 50/50“, räumt der CNFL ein. Trotzdem sei die Steigerung zu 2017 und 2011 in diesem Kontext groß (2017: 24,7 Prozent; 2011: 21,50 Prozent).

Zwar haben Frauen in 42 von 102 Gemeinden über 40 Prozent der Kandidat*innen ausgemacht, doch in 58 Gemeinden standen deutlich weniger bis gar keine Frauen zur Wahl.

Und dennoch gibt es Aspekte der Kommunalwahlen, die dem Frauenrat sauer aufstoßen: Zwar haben Frauen in 42 von 102 Gemeinden über 40 Prozent der Kandidat*innen ausgemacht, doch in 58 Gemeinden standen deutlich weniger bis gar keine Frauen zur Wahl. „En comparaison avec le contexte européen et international, le Luxembourg accuse un retard dans la réalisation de l’égalité de participation des hommes et des femmes à la vie politique, bien qu’il s’agisse d’un aspect fondamental d’une société démocratique“, schreibt der CNFL. Es sei notwendig, die Ursachen für die schleppende Entwicklung im Großherzogtum auszumachen und effiziente Mittel zu finden, um das Interesse der Frauen an der luxemburgischen Nationalpolitik zu fördern. Männer müssten diese Bemühungen aktiv unterstützen, so der Frauenrat weiter.

Letzte Woche bemängelte die woxx, Gleichstellung sei ein Randthema der Wahlkampagnen gewesen. Den Eindruck teilt auch der Frauenrat und erklärt sich dies mit dem Anstieg weiblicher Kandidatinnen in den vergangenen Jahren. Das Thema sei deswegen zu Unrecht in den Hintergrund geraten. „Cette façon de faire n’est pas productive, car la représentation entre femmes et hommes aux élections locales est encore de 30 à 60 pourcent, donc loin d’être achevée.“ Durch das anhaltende Ungleichgewicht würden die Perspektiven von Frauen und ihre Prioritäten bei der Zukunftsgestaltung lokaler Gemeinschaften weiterhin ausgeschlossen.

Für den CNFL steht außer Frage, dass der Umgang der Parteien, Gemeinden und Institutionen mit Geschlechtergerechtigkeit und Frauen in der Politik die Bürger*innen beeinflusst. „Plus la commune a mis en place des mesures d’égalité, plus le nombre de femmes sur les listes des candidatures est élevé“, habe eine Analyse des Frauenrats ergeben. Dieses Jahr treffe das auf Strassen, Mamer, Steinfort, Bettemburg, Walferdingen und Petingen zu. In Strassen und Walferdingen – wie übrigens auch in Beaufort, Contern, Dalheim und Manternach – seien die Listen gar paritätisch gewesen. Gegenbeispiele liefern tatsächlich Gemeinden, in denen laut CNFL wenige Maßnahmen zur Förderung der Gleichstellung existieren. Kleine Gemeinden wie Waldbredimus, Esch-Sauer, Redingen oder die Ernztalgemeinde zählen zu jenen Orten, an denen die Wähler*innen vornehmlich für Männer abstimmen konnten.

National gesehen sei der Anteil der Kandidatinnen jedoch in allen Regionen gestiegen, vor allem im Norden von 25 (2017) auf 31 Prozent (2023). Dort standen nicht nur mehr Frauen zur Wahl – sie waren noch dazu erfolgreich. So ist die Abgeordnete und Gemeinderätin Carole Hartmann (DP) Meistgewählte in Echternach und konnte sich mit 856 Stimmen gegen den amtierenden Bürgermeister Yves Wengler (CSV) durchsetzen, dessen Amt sie übernimmt. Im beschaulichen Bech gewann ebenfalls eine Frau, die mit Anfang zwanzig eine der jüngsten Wahlsieger*innen ist: Die parteilose Jill Jackie Goeres, angehende Lehrerin, landete mit 394 Stimmen vor dem Schöffen Norbert Classen.

„Wir stellen fest, dass die Ergebnisse vereinzelter junger Frauen auffallend gut sind“, kommentieren Isabelle Schmoetten und Claire Schadeck, politische Mitarbeiterinnen des CID Fraen an Gender, die Ergebnisse. „Das gibt Mut zur Hoffnung – oder vermittelt zumindest einen Hoffnungsschimmer –, dass junge Frauen aufgrund ihrer Kompetenzen gewählt werden und das Klischee der naiven Mädchen, die nichts in der Politik zu suchen haben, nach und nach aus den Köpfen verschwindet.“ Nichtsdestotrotz sei dies „natürlich erst ein bescheidener Anfang“. Auch der Frauenrat freut sich über den Zuwachs junger Kandidat*innen (18-45 Jahre) im Vergleich zu 2017: Gehörten damals 499 Politiker*innen dieser Alterssparte an, waren es dieses Jahr 608. Noch dazu seien die politischen Newcomer*innen zu 42,57 Prozent Frauen. „Il s’agit d’une avancée importante qui renforce nos espoirs d’une plus grande participation des femmes à la vie politique locale“, schreibt der CNFL.

Die Stadt Esch versetzt jeder Euphorie allerdings einen Dämpfer, wie aus einem Presseschreiben der lokalen LSAP-Sektion hervorgeht. Zwar hat sich die LSAP in Esch zurückgekämpft und die CSV knapp hinter sich gelassen; doch einigten sich die Vertreter*innen der aktuellen Koalition (CSV, DP, Déi Gréng) bereits am Wahlabend auf die Fortsetzung ihrer Zusammenarbeit. Für Steve Faltz, Spitzenkandidat der Escher LSAP, ist das aus mehreren Gründen inakzeptabel und einer davon ist die Frage nach der Geschlechtergerechtigkeit: „Der Escher Wähler hat gezeigt, dass er Vertrauen in die Jugend hat und mehr Frauen an der Macht will: Wir haben es mit vier Newcomern unter die sieben meistgewählten Kandidaten geschafft und mit zwei Frauen in die Top fünf – die Message ist deutlich.“ Mit den zwei Frauen sind Liz Braz und Enesa Agovic gemeint. „Es ist schade, dass die politischen Entscheidungsträger dem nicht nachkommen, wenn sie so weitermachen wie bisher. In der nächsten Koalition haben demnach erneut nur Männer das Sagen.“

Das offenbart einmal mehr strukturelle Grenzen, an denen sich marginalisierte Personengruppen trotz Kompetenzen – und in diesem Fall sogar Wähler*innengunst – abarbeiten müssen. Ähnliches gilt im Hinblick auf die Repräsentation ausländischer und nicht weißer Kandidatinnen. Während der Frauenrat es einen Gewinn für die Diversität nennt, dass die Anzahl nicht luxemburgischer Kandidatinnen seit 2017 gestiegen ist, relativiert Lëtz Rise Up die Umstände. Die antirassistische und feministische Organisation äußerte sich diese Woche in einer öffentlichen Stellungnahme zu den Wahlergebnissen, die positiv beginnt: „Il n’y a jamais eu autant de personnes issues des groupes minoritaires engagé-e-s en politique au Luxembourg. (…) Au lendemain des élections communales de l’an 2023 (…) encore plus d’afro-luxembourgeois-e-s figurent parmi les élu-e-s de leur commune.“ Dazu zählen unter anderem Natalie Silva (CSV) sowie Antónia Afonso Baigne (LSAP) in Luxemburg-Stadt. Silva, Wahlsiegerin in der Gemeinde Fels, muss ihren Posten als Bürgermeisterin allerdings an die Nummer zwei, Mirko Martellini, abtreten, nachdem der Gemeinderat sich für ihn ausgesprochen hat.

„Dans quelle mesure les femmes non blanches se sentent-elles bien représentées dans le débat sur l’avortement et les soins de santé ? Qu’en est-il des personnes transgenres et non binaires ?“

Für Lëtz Rise Up ist die Repräsentation marginalisierter Personen notwendig, doch unzureichend, um Ungleichheiten zu bekämpfen. „Pire, le fait de se concentrer uniquement sur la représentation peut en fait nuire aux groupes minoritaires et à la lutte pour l’équité“, befürchtet die Organisation. Wer sich um die Repräsentation marginalisierter Personengruppen bemühe, dürfe nicht nur die Diversität vor Augen haben – es ginge um eine politische Vision, vor allem in Bezug auf Migrationspolitik, Polizeigewalt oder den Kampf gegen Rassismus in allen Lebensbereichen. Ethnische Minderheiten seien in den legislativen und exekutiven Organen zu gering vertreten, als dass sie Einfluss auf Entscheidungen hätten. Aus dem Grund stellt sich für Lëtz Rise Up die Frage nach dem Umgang aller Instanzen mit der Präsenz marginalisierter Personengruppen oder Minoritäten. Wird ihre Position mitgedacht? Die Organisation führt Beispiele an: „Dans quelle mesure les femmes non blanches se sentent-elles bien représentées dans le débat sur l’avortement et les soins de santé ? Qu’en est-il des personnes transgenres et non binaires ? Ou encore, lorsqu’un parti politique souhaite diversifier les candidat-e-s sur sa liste, celle-ci ne sera suffisamment diversifiée que si les membres et les électeur-ice-s ont confiance dans la représentativité et la responsabilité des élu-e-s.“

Eine erhöhte Sichtbarkeit, die ohne strukturelle Veränderungen einhergehe, erziele nicht die gewünschte Wirkung. „Les personnes que nous avons élu-e-s, celles qui portent notre voix, celles qui mènent le débat, ont un impact sur la façon dont nous voyons le monde“, unterstreicht Lëtz Rise Up an der Stelle. „Cette importance ne doit pas être sous-estimée.“ Zur Beseitigung historischer Ungleichheiten müssten marginalisierte Menschen und Minderheiten umfangreiche, nachhaltige Unterstützung erfahren. „L’influence des minorités doit également s’étendre aux institutions distinctes qui composent le système politique, c’est-à-dire la structure des partis, les comités, groupes de travail …“, schlussfolgert Lëtz Rise Up.

Im Hinblick auf den Respekt und die nachhaltige Inklusion marginalisierter Personengruppen und Minoritäten, darf an dieser Stelle auch der Wahlerfolg der rechtspopulistischen ADR in manchen Gemeinden nicht 
ignoriert werden. In Sanem zieht mit Mara Schammo wohl eine Frau für die Partei in den Gemeinderat, doch wird das kaum einen positiven Einfluss auf die lokale Gleichstellungs- und Integrationsarbeit haben. Immerhin vertritt die Partei, insbesondere ihre Sektion ADR-Fraen, queerfeindliche Positionen, unterstützt Geschlechterstereotype und kämpft gegen Diversität an.

Wie wichtig das immer noch ist, zeigt laut CNFL eine rezente Studie der Vereinten Nationen, nach der sich sexistische Vorurteile in den letzten zehn Jahren kaum aufgelöst hätten. Die allgemeinen Ergebnisse der Kommunalwahlen hätten gezeigt, dass sich auch in Luxemburg die Mentalität der Wähler*innen nur bedingt verändert habe, so der Frauenrat. „Nous avons besoin de politiques plus actives et plus efficaces qui sensibilisent à l’importance de voter à 50/50“, schreibt der Frauenrat. „Encourager les discussions, les campagnes de sensibilisation et l’éducation peut contribuer à briser les stéréotypes et à créer un environnement plus inclusif et plus favorable à la participation des femmes à la vie politique.“

Nach Redaktionsschluss liefen noch Koalitionsverhandlungen.

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