Hassliebe zwischen den Grenzen

Die Asti und TNS Ilres veröffentlichen die letzte von drei Umfragen zum kulturellen Miteinander in Luxemburg. Dieses Mal im Fokus: Grenzarbeiter*innen und ihr nicht ganz eindeutiges Verhältnis zu Luxemburg.

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Wie empfinden Grenzgänger*innen ihre Arbeit in Luxemburg? In einer Umfrage der Asti und TNS Ilres haben 500 Grenzarbeiter*innen – 259 aus Frankreich, 131 aus Belgien und 129 aus Deutschland – ihre Eindrücke geschildert. Nach Angabe des Soziologen Charles Margue, ist es die erste Umfrage überhaupt, die den Empfindungen der Grenzarbeiter*innen nachgeht. Bis dato habe es hierzu nur Hypothesen gegeben. Es ist die letzte der drei Umfragen, die TNS Ilres für die Asti zum „Vivre ensemble“ in Luxemburg durchgeführt hat. Legt man die drei Umfrageergebnisse zusammen, ergibt sich ein unklares Bild. Besteht zwischen Ausländer*innen und Ortsansässigen eine Hassliebe?

80 Prozent der befragten Grenzarbeiter*innen, die übrigens größtenteils im Finanz- und Bausektor tätig sind, fühlen sich arbeitsrechtlich in Luxemburg gut beraten. Die große Mehrheit hat sich aus finanziellen Gründen für einen Job in Luxemburg entschieden, knapp die Hälfte zog es aus beruflichen Gründen ins Großherzogtum. Die wenigsten würden nach Möglichkeit einen Job in ihrer Heimat bevorzugen. Die Gründe hierfür wurden in der Umfrage nicht erhoben. Die meisten Grenzarbeiter*innen hegen Luxemburg gegenüber jedenfalls ein gewisses Zugehörigkeitsgefühl. Über die Hälfte von ihnen spricht und versteht mindestens ein wenig Luxemburgisch. Grundsätzlich sind die Befragten mit ihrem Job und den luxemburgischen Infrastrukturen zufrieden. Das Problem sind eher die Menschen – auf beiden Seiten der Grenzen.

Sympathische Miesepeter …

„Kalt“, „verschlossen“, „sympathique avec une tendance légère de xénophobie“: Mit diesen Adjektiven beschreiben einige Befragte die Luxemburger*innen. Wer genau mit „Luxemburger*innen“ gemeint ist, geht aus der Umfrage nicht hervor. Gleichzeitig sagen die Befragten aber auch, dass sich die Luxemburger*innen nach einem „Moien“ und einer Phase des Kennenlernens als freundlich, gar einladend entpuppen. Der letzte Eindruck scheint vorzuherrschen, denn allgemein fühlen sich die Umfrageteilnehmer*innen in Luxemburg und an ihrem Arbeitsplatz willkommen. 84 Prozent von ihnen haben Freundschaften zu Ortsansässigen geknüpft. Die wenigsten Befragten wollen allerdings in den nächsten zwei Jahren nach Luxemburg ziehen. Über ihre Gründe erfährt man in der Umfrage nichts. Die prekäre Wohnsituation in Luxemburg spielt dabei sicherlich eine Rolle. Ein klares Bild über die Beziehung zwischen Ortsansässigen und Grenzarbeiter*innen liefern diese Ergebnisse auf jeden Fall nicht.

Das erinnert an vorherige Umfrageresultate der Asti zum multikulturellen Zusammenleben in Luxemburg. Dort wurden Ortsansässige mit luxemburgischem und ausländischem Pass sowie Menschen mit doppelter Nationalität zum Verhältnis der Kulturen in Luxemburg befragt. Luxemburger*innen – ob mit doppelter oder mit nur einer Nationalität wird an der Stelle nicht differenziert – wirken auf ausländische Ortsansässige allgemein verschlossen und einladend zugleich. Dieser Eindruck spiegelt sich vor allem in der ambivalenten Haltung der Luxemburger*innen zum legislativen Wahlrecht für Ausländer*innen. Die Umfrageergebnisse der Asti zum Wahlrecht für Ausländer*innen sendeten hierzu gemischte Signale. Die Differenz zwischen dem „Ja“ und dem „Nein“ der Luxemburger*innen mit einer oder mit doppelter Nationalität ist gering, wohingegen der entsprechende Gesetzesvorschlag beim Referendum 2015 mit 78 Prozent Gegenstimmen eine deutliche Abfuhr erhielt. Interessanterweise gaben Luxemburger*innen in beiden Umfragen der Asti jedoch an, Ausländer*innen gegenüber positiv gestimmt zu sein.

… und verwöhnte Arbeiter*innen?

In der Pressemitteilung der Asti zur aktuellen Umfrage heißt es allerdings auch, die Ortsansässigen würden den Grenzarbeiter*innen zu spüren geben, dass sie Privilegien wie hohe Löhne und Sozialleistungen genießen. Sie sollten sich deshalb glücklich schätzen in Luxemburg arbeiten zu dürfen. Was die Asti nicht schreibt, aber auf der Hand liegt: Dass sie gleichzeitig unersetzlich für die nationale Wirtschaft sind, gerät dabei schnell in Vergessenheit.

Die Grenzarbeiter*innen stoßen auch in ihren Heimatländern auf Gegenwind: 62 Prozent der Befragten offenbaren, dass die Mitbürger*innen, die nicht in Luxemburg arbeiten, sie wegen ihrer Tätigkeit als privilegiert abstempeln. Die Asti schreibt in einer Pressemitteilung zur Veröffentlichung der Umfrageergebnisse ergänzend dazu: „Les citoyens vivant dans le pays de résidence du frontalier leur reprochant leur niveau de vie bien supérieur, ce qui fait grimper les prix – de l’immobilier en particulier – et l’animosité.“

2018 arbeiteten nach Angaben des Statec 192.070 Grenzgänger*innen in Luxemburg. Die Zahl stieg zwischen 2005 und 2018 jährlich durchschnittlich um 3,7 Prozent. Charles Margue schreibt in einer Carte Blanche zu den besprochenen Umfrageergebnissen, dass die Grenzarbeiter*innen inzwischen 46 Prozent der Arbeitskräfte in Luxemburg ausmachten. Die aktuelle Krise zeige einmal mehr, wie wichtig ihre Leistungen für das Großherzogtum sind. Die gesamten Umfrageergebnisse und weitere Informationen zur Reihe „Vivre ensemble“ gibt es hier.


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